Category Archives: Kultur

Allgemein Blättern & Rauschen Kultur Menschen

„Es spricht nicht!“ – Neues von der Reinigungskraft !

Published by:

Also diese Reinigungskräfte…!

Frau Herta Gebert heißt die unsere, und wir hatten verschiedentlich über sie berichtet. Vielleicht ist durchgedrungen, dass ihre Fähigkeiten am Wischmop eine merkwürdige Entsprechung finden im Geschriebenen, das sie uns von Zeit zu Zeit auf den (abgestaubten) Tisch legt. So erst jetzt wieder, als sie mit einer – nun ja – kleinen Kurzgeschichte aufwartete, die uns so gefallen hat, dass wir sie hier gern auf unserer Website platzieren. Es scheint sich um eine Geschichte aus dem Leben ihrer Familie zu handeln, was umso erstaunlicher ist, als dass sie über ihre Familie bis dato nie ausführlich gesprochen hatte. Da kann man mal sehen!

Hier also die kleine Geschichte:

 

 

 

Es spricht nicht                                                                                                           

Vater spricht, Mutter spricht, aber das Kind spricht nicht. Da hilft auch kein aufmunterndes Lachen; weder Musik, Rufen, Scherzen – keine Reaktion. Das Kind, das demnächst drei Jahre alt wird, bleibt stumm. Zwar hat man den Eindruck, dass es mit seinen dunklen Augen die Welt draußen durchaus wahrnimmt. Besonders wenn es Bobbycar fährt meinte man von ihm schon leise, an ein Motorgeräusch erinnernde Geräusche gehört zu haben. Das wohl. Nur sprechen tut das Kind nicht.

Das ist umso bemerkenswerter, als dass seine zwei Jahre ältere Schwester in ihrer sprachlichen Entwicklung einen altersgerechten Verlauf verzeichnet. Sie ist lebendig und aufgeweckt undredet mit allen. Mitunter wird es einem fast schon zu viel, weshalb die Nachbarin einmal anmerkt, das Mädchen plappere ständig. Man kann es halt niemandem recht machen, denkt die Mutter und schweigt.

Und doch bleibt das Schweigen des anderen Kindes ihr eine ständige Sorge. Dabei lässt sie nichts unversucht.

So hatte das Kind erst neulich einen bunten Plastik-Laptop von „Toys are us“ geschenkt bekommen. Als dessen herausragende Eigenschaft erweist sich seine Fähigkeit zu einer Art Kommunikation mit dem Menschen. Dabei handelt es sich um eine Art ‚Frage – Antwort’ Spiel. Das in kindgerechten Farben gehaltene Gerät vermag auf eine vom Kind gestellte Frage weitestgehend sinnvolle Antworten zu geben. Diese liegen im Inneren des Gerätes auf einer Festplatte bereit.   Fragt das Kind z.B. seinen Laptop: wo ist deine Mutter? Dann erhält es zur Antwort: in der Küche. Die Frage nebst dazugehöriger Antwort wird sodann von dem Spielzeug mit einem jauchzenden Geräusch belohnt.

 

Aber auch andere Fragen sind möglich. Etwa nach dem derzeitigen Aufenthaltsort des Vaters. Bei dieser Frage wartet das Gerät sogar mit zwei möglichen Antworten auf. Entweder sagt eine quäkende Stimme: „Er ist im Kontor“ oder aber „Das Auto ist in der Werkstatt“. Auch dann gibt’s wieder ein jauchzendes Geräusch zur Belohnung. Offensichtlich alles richtig. Kurz: eine Fülle von Möglichkeiten könnte einem jungen dialogbereiten Menschen den Weg aus der sprachlichen Isolation weisen. Das ist viel Aufwand; das Gerät war ja auch nicht billig.

Doch alles vergeblich. Das Kind bleibt stumm.

Einmal versucht es die Familie mit einer aufwändig inszenierten Geburtstagsfeier. Doch zeigt es sich, dass die Anwesenheit so vieler möglicher Spielkameraden in der Wohnung das Kind eher verschreckt, als es zum Sprechen zu verleiten. Auch während der Feier, in Anwesenheit unzähliger Spielkameraden, geht eine seltsame Stille von ihm aus.

Eines Tages aber bemerkt die Mutter, dass der Kleine mit großem Interesse in einer Modezeitschrift blättert. Offensichtlich hat die dort abgebildete Trachtenmode seine ganze Aufmerksamkeit erregt. Doch selbst der Besuch von Loden-FREY und der Ankauf eines kleinen putzigen Trachtenanzugs vermag die Situation nicht nachhaltig zu verbessern. Angesichts der nach wie vor unbefriedigenden Situation rät der Kinderarzt, das Kind in eine Kinderkrippe zu geben. Doch sollte es nicht eine x-beliebige sein. Er hat das ‚was im Auge, wie er sagt..

Und in der Tat scheint es sich dabei um eine Einrichtung zu handeln, die ihren exzellenten Ruf auch verdient. Helle, freundliche Räume, zudem pädagogisch geschultes Personal, kurz: eine Umgebung, der man sein Kind gern anvertraut. Zudem – sagt die Krippenleiterin – stünde immer ein Arzt bereit, falls die Situation es erfordere, was aber noch nie vorgekommen sei. Sie ist eine diplomierte Sozialpädagogin. Aber, fügt sie hinzu – man weiß ja nie. Und: sicher ist sicher. Darüber hinaus empfiehlt sich die Einrichtung durch einen wirklich großen Parkplatz, ist also mit dem Fahrzeug leicht anzufahren. Aber auf eines, sagt die Leiterin, muss sie jetzt aber noch unbedingt hinweisen, und sie wisse nicht, ob sie, die Mutter des Kindes, das schon weiß: es ist eine englischsprachige Einrichtung, d.h., man spricht mit den Kindern ausschließlich englisch.

Nach Rücksprache mit ihrem Mann entschließt man sich, das Kind in die Hände des Hortes zu geben, wo es dann auch aufs freundlichste aufgenommen wird. Selbst nach einer Woche vermag die Leiterin der englischsprachigen Krippe auf Nachfrage nichts Verhaltensauffälliges an dem Kind feststellen. Nur sprechen tut es halt noch nicht.

Durchaus nicht unwillig, lässt es sich täglich von seiner Mutter morgens in die Krippe chauffieren und gegen Spätnachmittag nach Hause verbringen. Auch spielt es fleißig mit den anderen Kindern. So weit wäre also alles in Ordnung.

Leider aber bleibt das Kind auch weiterhin stumm.

Bis an einem hellen, kalten Sonntagmorgen. Die Sonne wirft ihre klaren Strahlen durch das noch mit Weihnachtssternen dekorierte Fenster des Kinderzimmers. Träumerisch an einem Faden von der Decke hängend, baumelt vor dem Fenster ein geschliffener Glasstein. Er bündelt die Sonnenstrahlen und projiziert regenbogenfarbene Lichtflecken an die weiße Wand. Alles ist still.

Da kann man deutlich hören, wie der Kleine sagt: „Yes, Sir“.

Die Mutter blickt auf, aber sie versteht nicht. Sie kann kein Englisch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

/

 

 

Allgemein Auswärts Essen & Trinken Kultur

Zwei Täler weiter

Published by:

Noch blüht er im Verborgenen: der Kraichgau. Ein Besuch.

Im Badischen gibt es Landschaften, die findet man nicht so einfach. Nach denen muss man eher ein bisschen suchen. Obwohl zentral gelegen, kann man sie leicht übersehen. Anders als z.B. der Kaiserstuhl, die Ortenau oder das Markgräferland liegen sie sozusagen im Windschatten der touristischen Aufmerksamkeit. Der Kraichgau ist eine solche. An der Landschaft kann’s nicht liegen, denn die, zwischen Karlsruhe und Sinsheim gelegen, ist sanft hügelig und wunderschön, also eine traumhafte Cabrio Strecke. Ihren südlichen Anfang nimmt die Landschaft in Karlsruhe, dessen Ortsteil Durlach bei der Expedition in die Heimat ein gutes Basislager bietet. Hier z.B. der „Blaue Reiter“, der, obwohl ein ‚Business Hotel’, mit einer komfortablen Bleibe aufwartet. Der Service ist überaus freundlich und individuell. Das Haus liegt in einer ruhigen Nebenstraße und hat zudem noch den Vorzug, neben sich noch einen Biergarten zu beherbergen, der, nicht übermäßig laut, zum Bierimperium ‚Vogelbräu’ gehört. Ins Bett danach ist’s nicht allzu weit…

Kloster Maulbronn

Doch sollte man sich nicht zu früh festsitzen. Es wartet – eh man’s vergisst! – der Kraichgau, den man sinnvollerweise zunächst einmal vom Süden her anfährt. Hier wartet auf den kunst- und historienbeflissenen, vielleicht auch frommen Besucher das Kloster Maulbronn, das als das kompletteste und besterhaltendste Kloster nördlich der Alpen gilt. Ein Film über Hildegart von Bingen wurde dort, in historischer Kulisse, gedreht.

Lässt man die wahrhaft beeindruckende Anlage schweren Herzens hinter sich, geht’s jetzt tief ins Herz des Kraichgaus, nach Knittlingen, ganz in der Nähe von Bretten gelegen. Ein historisch bedeutendes Städtchen, das sich zudem noch rühmen darf, der Geburtsort eines allseits bekannten Kraichgauers zu sein: Johann Georg Faust, Dr. Faust also, was soviel heißt wie ‚der Glückliche’.

Dr. Faustus. Noch vor der Explosion.

Die Handygeneration dürfte ihn nicht mehr kennen. Dieser Dr. Faustus jedenfalls war der Alchemie verfallen und diente ansonsten Johann Wolfgang von Goethe als Urgestalt seines ‚Faust’. Er starb 1541 in Staufen, vermutlich durch eine Explosion, was uns stets daran erinnern sollte, mit Böllern sorgfältig umzugehen. Die ‚Zimmer’sche Chronik sagte denn auch, er sei ein gar „wunderbarlicher

Das Faust Museum in Knittlingen

nigromanta gewest“, was auf andere bedeutende Kraichgauer nur eingeschränkt zutrifft. Hier wären zu nennen die beiden dort lebenden Mitglieder der Flippers („Weine nicht, kleine Eva“ & „Die rote Sonne von Barbados“), Bernd Hengst und Olav Malolepski. Der Dritte im Bunde, Manfred Durban, ist leider bereits verstorben. Seine Frau aber hat in Knittlingen ein Flippers Museum gegründet. So viel erst mal zur Musik.

Doch muss hier noch ein weiterer bedeutender Kraichgauer, Dietmar Hopp, erwähnt werden. Bei ihm handelt es sich um einen der Mitbegründer der Firma SAP, der sich zudem noch als Mäzen des Fußballvereins TSG Hoffenheim verdient gemacht hat.

Erst durch diesen Kraftakt gelang es, diese wunderbare Landschaft so recht ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken. Wer bisher gefragt wurde: Kraichgau wo? musste fortan nun nur noch sagen: Hoffenheim, und es ward Licht. So gesehen, könnte man   diese   wunderbare   Landschaft   mit   einem   schlum-mernden Dornröschen vergleichen, dessen Schlaf bislang ihre Schönheit verbarg. Doch hat sich in den letzten Jahren auch noch ein anderer dran gemacht, an der Bettstatt der schönen Jungfer zu rütteln: Heinz Heiler. Auch er, ein erfolgreicher Unternehmer, hielt es für geboten, seinem Kraichgau etwas zu geben. Eine ‚Genusswelt’ sollte es sein, die, tief im Inneren der sanft hügeligen Landschaft gelegen (fast hätten wir ‚versteckt’ gesagt), als eine Art Leuchtturm fungieren könnte.

Neben einem Hotel mit 31 Zimmern und ambitionierter Gastronomie finden wir denn auch einen großzügigen Golfplatz, der mit seinen 18 Löchern internationalem Standart entspricht. Und in der Tat sind es nicht selten beruflich erfolgreiche Bewohner schöner, aber eben noch nicht so bekannter Landstriche, die sich für ihre Heimat engagieren und stark machen. Es hat den Anschein, als wäre es ihnen ein Bedürfnis, an der Schönheit ihrer Gegend auch andere teilhaben zulassen.

Tatsächlich aber gibt es da noch einiges zu tun. Wer um die Mittagszeit auf der Suche nach einem offenen Wirtshaus durch die malerischen Dörfchen fährt, braucht eine geraume Zeit und ein gutes Auge, um eine offene Gaststube zu finden. So scheint es nicht zu weit hergeholt, die „Heitlinger Genusswelt“ als den Anfang eines Bemühens zu sehen, dies zu ändern. Anfänglich noch eher bescheiden, hat sich dies alles zu einem gastronomischen Zentrum erster Güte entwickelt, was ohne ein entsprechendes Engagements des Initiators so nicht möglich geworden wäre. Dies „Genusswelt“ umfasst zunächst eben diesen Golfplatz, der, seit 1996 im Familienbesitz, auch von der Familie selbst betrieben wird. Ebenso verhält es sich mit dem zeitgemäß modernen Hotel mit seinen 31 Zimmern nebst Gastronomie; dies gibt es seit 2014. Und dann das Weingut Heitlinger, ein Winzerbetrieb mit stolzen 120 Hektar, eine Fläche, die man für Biertrinker vielleicht dahingehend etwas bebildern sollte, dass ein durchschnittlicher Weinbaubetrieb mit 10 ha schon eine beachtliche Größe aufweist. Die Größe jetzt noch in Fußballfelder umzurechnen, ersparen wir uns hier als Freunde des Weingenusses taktvoll…

Weingut Schloss Ravensburg

Die gesamte Rebfläche war auch mehr geworden durch eine Gelegenheit, die sich dem Betriebsbesitzer 2009 ergab. Da nämlich stand das nicht zu weit entfernt gelegene „Weingut Burg Ravensburg“ (Vorsicht: hat mit dem oberschwäbischen Ravensburg nichts zu tun!), seit 770 Jahren und 23 Generationen im Familienbesitz, zum Verkauf. Wer hätte da nicht zugegriffen…

Da bot es sich an, den Geschäftsführer des dortigen Betriebs, Claus Burmeister, als Garant der Qualität mit einzubinden; so fügte sich alles auf’s Beste. Weshalb seit geraumer Zeit der gesamte Winzerbetrieb geadelt wird mit der Auszeichnung VDP, also mit der Mitgliedschaft im Verband der deutschen Prädikatsweingüter. Die renommierte Weinfachfrau, Natalie Lumpp bescheinigt denn auch dem hochkarätigen Weinmacher, er habe „das absolute Gespür für die richtigen Reben am richtigen Standort. Hier zahlt sich aus, dass er sich überaus intensiv mit dem Rebmaterial beschäftigt“. Und was die Roten betrifft, hier könnten die Heidlinger Weine den Franzosen absolut die Stirn bieten.

Hat man sich dann in konzentrischen Kreisen und behutsam von außen dem Inneren des Kraichgau genähert, öffnet sich plötzlich eine ganz eigene Welt, die von außen so garnichts ahnen lässt, von ihrer landschaftlichen Schönheit, von ihren sanften Weinbergen. Die erzählt noch von ganz anderen Dingen als von SAP und Cloud. Wenig auch vom TSG Hoffenheim mit seiner Fähigkeit, die Räume eng zu machen und mit köperbetontem Offensivspiel die Fans zu begeistern. Auch lassen wir zunächst mal die ‚Rote Sonne von Barbados’ untergehen und lauschen auch nicht der weinenden „Kleinen Eva“.

Nein. Es ist Zeit und Gelegenheit, einen langen Augenblick lang das stille Zentrum einer Landschaft zu genießen, die so viel mehr zu bieten hat, als Markenzeichen und Aushängeschilder. Denn dort, im Kraichgau, lohnt es sich wirklich, die vielbeschworene Expedition in die Heimat.

Denn dort gibt es viel mehr zu sehen. Kucken wir’s uns an!

 

Allgemein Gastbeiträge Kultur

Flotter Vierer und tanzende Geister

Published by:

In Baden-Baden: Festspielhaus und Kurhaus trotzen der Corona-Krise auf ihre Art

„Ein Freund, ein guter Freund…“ Heinz Rühmanns Filmhit aus „Die drei von der Tankstelle“ (anno 1930) müsste Festspielhaus–Intendant Benedikt Stampa eigentlich in diesen Wochen dauernd vor sich hinsummen. Ohne Freunde, laut Rühmann „das beste auf der Welt“ stände der Baden-Badener Musentempel in Corona-Zeiten deutlich schlechter als ohnehin bescheiden (wie alle anderen Kulturunternehmen weltweit) dar. Der Pandemie war es auch geschuldet, dass die Feier zum 25-jährigen Bestehens des Freundeskreises schlichtweg ins Wasser fiel. Das gab es nur bei der Pressekonferenz zum Jubiläum, in der sowohl der aus Berlin zugeschaltete Vorsitzende des Freundeskreises, Dr. Wolfgang Schäuble als auch sein Stellvertreter Dr. John Feldmann im Namen der 1590 Mitglieder unverbrüchliche Treue schworen. Die „alten“ Freunde haben sich bisher auch im Krisenjahr spendabel gezeigt: In den 14,3 Millionen Euro, die sie seit 1995 aufbrachten, ist über eine Million Euro an Mitgliedsbeiträgen und Spenden enthalten. Mit einem Glas Sekt wurde dann doch noch mit Benedikt Stampa angestoßen – gefeiert wird vorerst virtuell im Internet: Unter www.festspielhaus.de/foerderung sind Bilder, Videos und Texte, die an besondere Highlights des vergangenen Vierteljahrhunderts erinnern, zu finden. Und der sichtlich gerührte Intendant versprach: Sobald es wieder geht, werden wir mit unseren wunderbaren Künstlern nachfeiern.“

Bei dieser Nachfeier dürfte ein ganz besonderer Freund samt Anhang nicht fehlen: Der wunderbare Hamburger Ballettchef John Neumeier hat mit seinem „Ghost Light“ ein Lichtchen der Hoffnung im Festspielhaus entzündet. Das weltweit erste Tanz-Werk zur Corona-Krise , aufgeführt unter strikten Corona-Regeln im sparsamst besetzten Opernhaus, begeisterte das Publikum, das ursprünglich in diesem Herbst unter anderem die Hamburger Version der „Kameliendame“ erwartet hatte. Von der Elbe zur Oos spannt sich ein solides Band der Freundschaft, das möglicherweise durch die aktuelle Lage noch fester geworden ist. „Ghost Light“ hat nicht nur in künstlerischer Beziehung neue Maßstäbe gesetzt – die Organisatoren und das Publikum haben bewiesen, dass sich mit den Corona-Auflagen leben und Kunst genießen lässt – mit Disziplin, auf Distanz und höchstens mit Premierenfieber am Eröffnungsabend.

Während Festspielhaus und auch Theater ihre Lösungen der Publikumsplatzierung gefunden haben, steht das Kurhaus vor noch größeren Herausforderungen: Welttanzgala und Silvesterball ohne eigene Betätigung der Tanzfans auf dem geliebten Kurhausparkett? Zum Stillstand verdammte Tanzbeine im Mauerblümchen-Modus? Die Baden-Baden Events haben für beide Galas ein Konzept erarbeitet, dessen Umsetzung alles andere als einfach ist: Auf der großen Tanzfläche werden bei „Souldance“ Zweiertischchen stehen – die Shows finden nur auf der Bühne statt. Vierertische flankieren die Fläche in gebührendem Sicherheitsabstand voneinander. Zum Trost für das erzwungene Stillsitzen wird ein Drei-Gänge-Menü serviert, das beliebte Glas Sekt zum Willkommen beim Schaulaufen im Foyer wird am Tisch serviert, wo dann auch die obligatorische Maske fallen darf. „Fraternisieren“ der Gäste durch Wechsel des Platzes ist ebenso verboten wie das Aneinanderrücken von Tischen. So richtig spannend wird es aber erst zum Jahreswechsel: Für diese für viele Gäste wichtigsten Nacht des Jahres können nur Vierertische gebucht werden. Pech für Paare oder gar Singles. Und was ist eigentlich mit den schon vor dem Lockdown verkauften Eintrittskarten im Doppelpack? Freundschaften dürften stark strapaziert werden, wenn von drei Ehepaaren, die traditionell ihren Sechser-Tisch buchen, ein Paar daheim bleiben soll. Warum ausgerechnet an diesem Tag keine Zweiertische wie bei „Souldance“ angeboten werden? Kostengründe führen die freundlichen Damen an den Vorverkaufsstellen unter Berufung auf „ganz oben“ an. Stellt sich also die Frage, ob das feierwillige Pärchen sehr tief in den Geldbeutel greift, einen Vierertisch für Show und Gala-Menü ohne Tanz ordert und auf Verstärkung durch ein bekanntes Paar zum „flotten Vierer“ hofft, oder ob es sich nicht gleich eine Alternativlösung für traute Zweisamkeit in festlichem Rahmen sucht.

 

Irene Schröder

Fotos: P_Ghost-Light-27-©-Kiran-West.jpg

Allgemein Gastbeiträge Kultur

Maßvolles Miteinander

Published by:

 Das Festspielhaus Baden-Baden geht „scheibchenweise“ in die neue Saison

Betont munter und mit Maske trat Festspielhausintendant Benedikt Stampa vor die coronamäßig weitläufig auseinander platzierte Presserunde, um die Planung für die neue Saison vorzustellen – in kleinen Dosen, immer die Corona-Ungewissheiten im Blick. Die gute Nachricht: Es geht weiter in Deutschlands größtem Opernhaus – und zwar soweit bisher absehbar – am 8. Oktober mit einem Knalleffekt: Hamburgs genialer Ballettchef John Neumeier ließ sich schon zu Beginn der Corona-Krise zu einem neuen Werk inspirieren, das den strengen Abstandsregeln entspricht: „Ghost Light“ ist allerdings kein Totentanz, sondern knüpft höchst lebendig an die amerikanische Bühnentradition an, nach Ende von Proben oder Vorstellungen ein einsames Licht auf den Brettern, die die (Kunst-) Welt bedeuten, brennen zu lassen.

Die Chance, dieses ungeheuer zeitgemäße Stück live in Baden-Baden erleben zu können, sind allerdings nicht groß: Gerademal 500 Zuschauer dürfen statt der üblichen 2500 Personen im Auditorium verteilt sitzen. Vorrang bei der Platzvergabe haben die Inhaber der Karten für die eigentlich geplante „Kameliendame“ in der Version des Hamburg Balletts – und die Vorstellungen waren bereits so gut wie ausverkauft. Wer nicht zu den Glücklichen im Saal zählt, muss aber trotzdem nicht auf dieses mit großer Spannung erwartete Tanztheater verzichten: Arte zeigt die Baden-Badener Premiere live im Internet. Daran anschließend erleben wir sie im Fernsehen.

Die Platzreduzierung ist aber nur eine der vielen Komplikationen, die einem normalen Spielbetrieb widersprechen: Benedikt Stampa und sein Team haben ein Hygienekonzept vor und hinter der Bühne erarbeitet, das von allen Betroffenen auch ein gehöriges Maß an Disziplin erfordert. „Die Kunst ist es, mit Maß und Mitte zu einem neuen Miteinander zu finden. Das beziehe ich auf das physische Beisammensein von Menschen in Foyer und Zuschauersaal, aber auch auf das Miteinander von Veranstaltern und Künstlern.“
Maßarbeit ist auch bei den Finanzen angesagt – ohne Überlebenshilfe von Stadt und Land wäre der Betrieb laut Stampa nicht aufrecht zu erhalten gewesen. Bekanntlich hatte die Stadt Baden-Baden vereinbarungsgemäß zum 1. Juli das Festspielhaus für 18,4 Millionen Euro erworben. Vier Millionen Euro Finanzspritze kamen aus Stuttgart. Stampa nutzte die Gelegenheit, in seinen Dank auch die Förderer und Freunde des Hauses einzubeziehen: „Ohne die Geduld, die Spenden und die Solidarität der vergangenen Monate wäre es nicht möglich gewesen, an ein Programm im Herbst zu glauben.“
Dass Maß, Mitte und Miteinander keineswegs Mittelmaß bedeuten, beweist das zweite Herbstfestival: Thomas Hengelbrock und das Balthasar-Neumann- Ensemble gestalten ein hochkarätiges Allerheiligen-Wochenende, unter anderem mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms. Dazwischen gastieren die Bamberger Symphoniker mit Star-Cellistin Sol Gabetta am 23. Oktober und die ukraininsche Geigerin Diana Tishchenko mit einer Matinee am 25. Oktober.
Und wie geht es weiter? „Scheibchenweise“ soll ab Mitte September das weitere Programm bekanntgegeben werden – immer unter der Voraussetzung, dass nicht ein zweiter „Lockdown“ die Hoffnungen zunichte macht. Eines dürfte aber schon heute feststehen: „Schwanensee“ oder „Nussknacker“ werden in diesem Jahr nicht ihren traditionellen Weihnachtszauber entfalten dürfen. Aber: „Das Mariinsky-Ballett ist ungeheuer flexibel und kreativ“, tröstet Benedikt Stampa Ballett-Fans – und wohl auch sich selbst. Vielleicht gibt es ja statt der unglaublich disziplinierten Tänzermassen brillante Soli und Pas de deux – die Vorfreude stirbt zuletzt.

Irene Schröder

Die Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kiran West 

Allgemein Gastbeiträge Kultur Malen & Schnitzen

Baden in Schönheit

Published by:

Dass „Baden in Schönheit“ mit Baden-Baden in unmittelbarem Zusammenhang steht, ist fast schon selbstverständlich. Dass gerade diese Ausstellung über die Optimierung des Körpers im 19. Jahrhundert  unter Corona-Vorzeichnen aber neue Aktualität gewinnt, war bei der Planung noch nicht abzusehen. Die Entwicklung des von Gott gegebenen Leibs zum selbstverantwortlich gestählten und gepflegten Körper mit Hilfe von Technik und Medizin entspricht nämlich nicht nur dem Konzept des Museums, sondern spannt den Bogen zur Gegenwart: Was You-Tube-Nutzern ihr Fitness-Video war den körperlich weniger als früher beanspruchten Bürgern des 19. Jahrhunderts ihr illustriertes Gymnastikprogramm.

Geräte wie der samtbezogene Rumpfdrehstuhl dienten als Vorläufer des Fitness-Studios der Körperoptimierung, Prothesen ersetzten, was Krieg oder Unfall dem Körper geraubt hatten. Das große Corona-Zauberwort „Hygiene“ zog mit Badezimmern samt Wasserklosetts in die Wohnungen ein. Badehäuser und Schwimmbäder erlebten ihre erste große Blütezeit. Sportliche Betätigung im Wasser und an der frischen Luft – sogar hüllenlos, aber natürlich nach Geschlechtern getrennt – war „in“, ebenso Behandlungen mit Strom für mehr Vitalität. Das Korsett sorgte als „shape wear“ quer durch die sozialen Schichten für schlanke Damentaillen, Paraffin als frühe Botox-Variante für straffe Gesichtszüge. Auch Verschwörungstheorien gehören keineswegs exklusiv ins Corona-Umfeld: Kokovone Menschen schworen auf die Kokosnuss als einzig wahres Lebensmittel, büßten allerdings im Aussteiger-Domizil in der deutschen Kolonie Neu-Guinea einiges an Gesundheit ein.
Wie eine Schnittstelle zwischen den Bereichen „Kunst“ und „Technik“, beziehungsweise Medizin wirkt Julius Kollmanns Buch „Plastische Anatomie des menschlichen Körpers für Künstler und Freunde der Kunst“ aufbauend auf Zeichnungen Michel Angelos. Die befreiten Körper in der Natur, vor allem beim Baden, wurden ein großes Thema, von Künstlern wie Ludwig von Hoffmann oder Sascha Schneider nicht länger nach klassischem Ideal sondern durchaus realistisch gemalt. Skulpturen von Karl Albiker und Aristide Maillol zeigen „echte“ Menschen in natürlicher Bewegung statt in erstarrter Pose.. Nicht nur Maler und Bildhauer huldigten dem unverpackten Körper: Das neue Medium Fotografie entwickelte bald eine eigene Variation – die Pornografie. Die „Schmuddelecke“ in der Ausstellung ist nachdrücklich für Kinderaugen gesperrt.
Neue gesellschaftliche Entwicklungen rufen in jeder Epoche sofort auch die Karikaturisten auf den Plan. Matthias Winzen hat einem seiner besonderen Lieblinge dieses Genres viel Platz im Museum eingeräumt: Honoré Daumier ätzte mit spitzer Feder über die Absonderlichkeiten der Menschen im Bad – Mark Twain sparte auch nicht mit bissigen Kommentaren.
Im Dreiklang des Kooperationsprojekts „Baden“ mit Stadtmuseum und Kunsthalle entfaltet das LA8 seine ganz spezielle Sichtweise auf „Körperwelten“, ergänzt durch einen – wie üblich exzellent gestalteten – Katalog. (Bis 23. Februar 2021). Irene Schröder

  • Archive

  • Besucher

    Total Visitors
    868674
    554
    Visitors Today
    69
    Live visitors