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Der Mann ganz vorn 3

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Der Mann ganz vorn  Folge 3

 

Diesen Geruch wurden wir während des ganzen Rennens nicht los. Noch bei der späteren Heimfahrt roch es im Auto, als würden wir in einem Klepper Faltboot sitzen.

Noch aber waren wir abgelenkt, auch wenn es ein weit verbreiteter Irrtum ist, anzunehmen, dass ein F 1 Rennen eine spannende Angelegenheit sei. Nach Aussagen von kompetenten Freunden beeindrucke zwar die offensichtliche Geschwindigkeit der Rennwagen, nicht aber deren eventuell spannende Jagd nach Podestplätzen. Unmittelbar nach dem Start, so erzählten sie mir, begebe sich das Feld in eine das ganze Rennen über anhaltende Unübersichtlichkeit, aus der einen ausschließlich das Verfolgen des Events mittels der zahlreich aufgestellten großen Bildschirme hinweg tröste. Da es sich hierbei im Wesentlichen um die zeitgleiche Fernsehübertagung handele, stelle sich über die Dauer des Rennens drängend die Frage, weshalb man den häuslichen Bereich eigentlich verlassen hatte. Zwei Ausnahmen gäbe es allerdings. Wirklich einzigartig, so hört man, sei wegen des Glamours und des Lärms der GP von Monaco. Weiter bemerkenswert sei zudem der GP von Belgien in Spa, bei dem die Boliden an Start und Ziel vorbeijagten, um dann, aus der Senke kommend, die langgezogene, rechts hoch führende ‚Eau Rouge‘ mit etwa 300 Km zu durchpfeilen, wobei die Fahrer einen Augenblick lang freie Sicht in den Himmel hätten, ja, es wäre, als ob sie sich an der Formation der Wolken orientierten, bevor sie in den Wäldern der Ardennen verschwänden, eine Faszination, die oft genug allerdings durch die dort üblichen Wetter- kapriolen geschmälert würde.

Nicht ganz so dramatisch erlebt allerdings der Rennfan das Kurvengeschlängel des GP von Deutschland auf dem Hockenheimring, dessen Inneres ‚Motodrom‘ genannt wird und in dem wir uns mit unseren Freikarten eingefunden hatten. Dort saßen wir nun leidlich kommod. Ausnahmsweise sollte es ein wahrhaft denkwürdiges Rennen werden, denn nach Lage der Dinge galt es als ausgemacht, dass der eigentliche Favorit, Michael Schuhmacher, seinen bisherigen Siegeszug würde fortsetzen können. In einer Art vorgezogener Euphorie verwies mein Mitbesucher auf die beiden mitgeführten Bierbüchsen und gab sich zuversichtlich, dass wir diese nach dem abzusehenden Sieg von Michael Schumacher trinken würden. Die hätten wir uns dann schließlich auch verdient; wir würden dem Sieger aus der Ferne zuprosten.

Und in der Tat sprach wenig für den Benetton-Pilot Gerhard Berger. Quälend lang, nämlich während der drei vorhergegangenen Rennen, hatte er wegen einer Kiefernhöhlenentzündung sein Cockpit einem Ersatzfahrer überlassen müssen. Zudem war zweieinhalb Wochen zuvor auch noch sein Vater bei einem Flugzeugabsturz in den Alpen ums Leben gekommen. Und doch – entgegen aller widriger Umstände und zum Erstaunen der meisten – stellt Gerhart Berger seinen Benetton B 197 auf die Pole Position, was aber meinen Begleiter in Erwartung des sicherlich unmittelbar bevorstehenden Sieges von Michael Schuh-macher nicht wirklich beunruhigen konnte.

Vom ersten Startplatz also ins Rennen gehend, war es aber erstaunlicherweise Berger, der von Anfang an das Rennen kontrollierte. Da er in seiner Rennstrategie einen zweimaligen Halt eingeplant hatte, musste er im Verlauf des Rennens siebzehn Sekunden gut machen. So viel würde er für einen zusätzlichen Reifenwechsel brauchen. Doch platzt bei Überrunden des Boliden von Magnussen dessen Motor, so dass der bis dato führende Berger mit ca 300 Km in eine Wand aus Ölgischt raste, unsicher, ob sich dahinter nicht noch ein defekter Wagen verbirgt. Ein kurzes Zögern, dann waren vier Sekunden verschenkt. Anders als Berger bleibt Giancarlo Fisichella, der damals Zweite, voll auf dem Gas. Das Rennen galt zu dem Zeitpunkt als ziemlich sicher verloren, doch hatte sich Fisichella aus später nicht mehr nachvollziehbaren Gründen beim Durchfahren der Unfallstelle einen Plattfuß eingefangen, und so gewann Gerhard Berger entgegen aller widriger Umstände den damaligen GP von Deutschland. Michael Schumacher erbt nach dem Ausfall von Fisichella den 2. Platz.

Nicht selten, dass die Tragödie des Verlierers im Gemütszustand eines trauernden Fans ihre schmerzliche Entsprechung findet: so etwa muss man sich die Verfassung meines Hauptabteilungsleiters vorstellen, der, mit zwei Freikarten gesegnet, eben noch fidel neben mir auf hartem Beton sitzend, sich dann aber durch einen Platzregen unmittelbar vor dem Start gezwungen sah, sich in seinen gummierten Anzug zu zwängen, fortan nach altem Gummi roch, sich im Laufe des Events sich aber wieder berappelte, um letztlich doch noch erleben zu müssen, dass sein Favorit entgegen aller Erwartungen doch nur Zweiter wurde. Was umso schmerzlicher ist, als es doch heißt, dass der Zweite der Erste der Verlierer ist.

Da im Verlauf des Rennens die Sonne wieder hervorgekommen war und jetzt gnadenlos auf uns alle niederbrannte, hatten wir uns der dampfenden Regenkleidung entledigt. Sie lag neben uns wie zusammengeschobene Fallschirme nach einem Absprung. Daneben auch unser Picknick-Korb mit dem eingeknöpften blau-weißen Futter und den Resten des Butterbrotpapiers. Weiter waren da auch die zwei Bierdosen, die, noch immer leidlich kühl, entgegen ursprünglicher Absicht dann aber doch nicht getrunken werden sollten.

Denn schließlich hatte Schumi, von meinem Begleiter auf einmal wieder Michael Schumacher genannt, das Rennen ja nicht gewonnen.

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„Chateau Lafite“ – angesichts der derzeitigen Lage: ein Gedicht

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Etwas andere Zeiten erfordern etwas andere Verse. Deshalb hier ein Gedicht, das bereits vor längerer Zeit verfasst, unserer Meinung nach ganz gut zur derzeitigen Lage passen könnte. Eine kleine Anmerkung noch scheint uns geboten: es ist ironisch gemeint. Denn noch sollte man nicht verzagen. Noch immer gilt das englische Wort: „Keep calm and carry on“…

 

 

                     Chateau Lafite

                              Wenn dumpf die Armut sich erhebt,

                            und düster hinterm Fenster steht.

                             Wenn Hunger in den kalten Stuben,

                                   sich paart mit dem Gestank der Gruben:

                                    hienieden gibt’s nicht Wein noch Brot,

                                 vom Osten naht der schwarze Tod.

                          Der Krieg mit seiner harten Hand,   

er peinigt unser Vaterland.     

Kein Gott, der jetzt vom Himmel blickt,

uns Hilfe, Trost und Heimat schickt!

Vom Firmament, da regnets Feuer,

verteuert uns die Hühnereier.

Die ganze Welt ist aus dem Tritt.

Ich dekantier’ ‘Chateau Lafite’.

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Ein wichtiger Schnitt in die Zukunft

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In letzter Zeit versuche ich verstärkt, mich umweltpolitisch korrekt zu verhalten. Unbeeindruckt von neu ausgewiesenen Bohrlizenzen in den Weiten Amerikas, vom Abholzen der Wälder Amazoniens, aber auch vom demnächst ans Netz gehende Kohlekraftwerk Datteln, habe ich für mich ein neues, bislang völlig unbeachtetes Feld umweltkorrekten Verhaltens entdeckt: der Briefumschlag.

Kaum beachtet finden wir an seiner Frontseite inmitten von Papier ein Sichtfenstern aus Cellophan (Plastik), das – wollen wir der Enkelgeneration die Zukunft nicht verbauen – einer gesonderten Entsorgung zugeführt werden sollte. Wir haben einerseits also einen, wenn auch kleinen Teil Plastikmüll. Andererseits haben wir aber auch wiederverwertbares Papier, wobei man noch unterscheiden könnte zwischen normalem Umschlagpapier, also weiß gebleicht (gutaussehend) und Papier, das in seiner bräunlichen Konsistenz wahrscheinlich für alle, einschließlich Veganer, noch gesünder, also rundum verträglich ist.

Lange, fast allzu lange hatte ich mich mit den Kassenbons beschäftigt, die ich in völliger Unkenntnis der Situation entsorgungstechnisch dem Papier zugeordnet hatte. Welch ein Irrtum! Erst eine auf Druck von Umweltverbänden breit angelegte Informationskampagne der Bundesregierung hatte hier jüngst Klarheit geschaffen. Diese Kampagne wies mir in einem sicherlich kleinen Punkt einen klaren Weg ins umweltverträgliche Verhalten des 21. Jahrhundert. Seitdem schmeiße ich die Zettel einfach weg.

Anders als die Kassenbons hat sich das Thema Umschläge für mich noch nicht gänzlich erledigt. Selbst der ‚Umweltkalender’, den die Stadt alljährlich den Bürgern und Bürgerinnen zukommen lässt, gibt hier keine Handreiche. Doch betrachte ich dieses Schweigen als eine stumme Aufforderung, hier selbstständig tätig zu werden.

Dessen eingedenk greife ich gern zur ortsansässigen Zeitung, dessen Kulturteil ich doppelt falte. Dann nehme ich den ersten Umschlag – ich lasse in der Regel mehrere zusammenkommen – und lege ihn auf die Zeitungsseite, so dass ich eine feste, aber auch elastische Unterlage habe. Dann greife ich zu einem kleinem Teppichmesser und führe vier entschlossene Schnitte, froh, dass mir die Theaterkritik des Lokalblattes insoweit Unterlage gibt, dass der kräftige Schnitt nicht bis zur Schreibtischunterlage führt. Mittels dieser Schnitte trenne ich das Cellophanfenster aus dem Umschlagpapier. Dann säubere ich den Plastikrand von Papierresten. Beides kann unmittelbar dann umweltpolitisch korrekt entsorgt werden. Hier Plastik, dort Papier. Ein, wie ich meine, so einfaches wie effektives Verfahren.

Da ich während dieses Vorgangs regelmäßig Radio höre, vernehme ich eben, dass immer noch nicht endgültig geklärt ist, wie das mit dem Atommüll und seiner Entsorgung weitergeht. Aber dazu lass ich mir auch noch etwas einfallen.

 

 

 

 

 

 

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„Freude in das Kinderland“

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Wie die Hohner Melodica einmal die deutschen Kinderzimmer zum Klingen brachte

Ein Herr Dr. Dorner war 1958 Leiter der Abteilung Metallbau-Akkordeon bei der Firma Hohner.  Um die Firma zukunftssicher zu machen, kümmerte er sich vorrangig um die  Entwicklung neuer Instrumente. Das Gestalten der Zukunft – eine durchaus verantwortungsvolle Aufgabe.

Und doch: wer Zukünftiges denken soll, darf den Blick ruhig auch einmal auf die Vergangenheit richten. Dort richtete sich sein Blick womöglich auf den  Urahn der Dynastie, Matthias Hohner, der 1833 geboren war und mit seiner Gattin Anna dreizehn Kinder hatte. Vielleicht war es gerade diese Vorstellung, dass in grauer Vorzeit – das Land war arm – auf der Baar dreizehn junge Münder am selben Blockflötenmundstück nuckelten? Jedenfalls reifte in dem Ingenieur, neben der Erfindung der Melodica, auch die Idee, das Instrument mit unterschiedlich farbigen Mundstücken auszustatten. So konnte man  drohende innerfamiliäre Verwerfungen vermeiden. Ein Kind, ein Mundstück.

So war es das Jahr 1958, als Hohner das erste Instrument der neuen Instrumentenreihe, die SOPRANO MELODICA, auf den Markt brachte. Ein Instrument mit „Stummeltasten“ aus der Familie der Blasharmonikas, das „den eingeblasenen Luftstrom durch Drücken einer Taste in eine Kanzelle fließen“ lässt, so der damalige Prospekt. Ihr Klang ähnelte schon damals dem Klang eines Akkordeons. Ansonsten liegt man nicht falsch, wenn man in einer Melodica die neuzeitliche Fortschreibung der Idee ‚Flöte‘ sieht. Nicht zu teuer, leicht zu transportieren, einfach zu spielen. Das Plastikinstrument schlug damals ein wie die sprichwörtliche Bombe. Das war schon mal ein guter, ein sehr guter Anfang.

Doch ließ der schöne anfängliche Erfolg die Entwickler nicht ruhen. Schon 1961 schob man eine neue Variante nach. Die PIANO MELODICA. Sie bot zum ersten Mal eine vollwertige Klaviertastatur, war also irgendwie ‚erwachsen‘. Und doch war 1975 die Konkurrenz noch hart wie Holz. 4,3 Millionen Menschen hatten sich der Blockflöten verschrieben, die mit ihrem freundlich frömmelnden Holzton vergleichsweise bieder tönte. Alsbald aber lagen über eine Million Melodicas in deutschen Kinderzimmern. Entweder vom Christkind gebracht oder vom Vati gekauft. Das deutsche Kind war jetzt im Melodica Rausch. Orchester bildeten sich, Kinder musizierten; in Kindergärten, in Schulen, in den Wäldern. Überall wurden jetzt Mundstücke fröhlich eingespeichelt.

Und wie immer mal wieder, hatte die Firma Hohner das Glück des Tüchtigen. So etwa, als eines Tages Stevie Wonder das Hohner Clavinett für sich entdeckte und der Firma einen wahren Verkaufsboom verschaffte. In den 80er Jahren war der Funk ohne das Clavinett kaum vorstellbar. Ob Stevie Wonders ‚Superstition‘, Tina Turners ‚Nutbush City Limits‘ oder Pink Floyd ‚Shine On You Crazy Diamond‘ – wenige Produktionen kommen zu dieser Zeit ohne das Produkt aus Trossingen aus. Selbst dann, als die westdeutschen Kinderzimmer eine gewisse Melodica – Sättigung erreicht hatten, wurde kräftig weiterentwickelt. Nun aber für gehobene Bedürfnisse. Es entstand das ‚Piano 36 Professional‘ und andere, denn jetzt – oh Wunder! – hatte die die Popwelt das Instrument entdeckt. UB 40, Joe Jackson und die Bots, die Hooters und Depeche Mode, sie alle sahen in der Melodica eine willkommene Abrundung ihrer Klänge. Glückliche Zeiten!

Heute ist die Produktlinie auf drei Sparten zusammengeschmolzen, darunter das Modell ‚Airboard‘ in seiner bunt-ansprechenden Farbgebung ‚Rasta‘. Andere sind hinzugekommen. Mittlerweile gibt es auch einen sog. Anblasschlauch, der das kinderverbindende Mundstück überflüssig macht – obwohl es noch auf Lager ist! Selbst die Firma Hammond, bekannt durch Ihre legendäre Hammond Orgeln, hat nunmehr ein ähnliches Instrument im Angebot, freilich ungleich teurer.

Die Firma Hohner aber, jetzt in taiwanesischem Besitz, entwickelt weiter. Neue Produkte kommen auf den Markt, aber man kann fragen, ob die Melodica zu alter Blüte findet. Neue Instrumente wurden seither entwickelt. Keyboards wurden billiger, in ihren Möglichkeiten vielfältiger. Heute werden pro Jahr noch etwa sechzigtausend Melodicas hergestellt, ein deutlicher Rückgang. Warum ist nicht mehr alles so wie früher?

Darüber haben schon viele räsoniert. Z.B. der kaum entnazifizierte Chronist des Hauses, August Lämmle. Der machte schon Mitte der sechziger Jahre in seinem Band „Matthias Hohner – Leben und Werk“ den „Rückgang der Kinderzahl in allen Kulturstaaten“ für derlei Trends verantwortlich. Dadurch sei das Geschäft nicht einfacher geworden, denn schließlich will die Industrie „doch mit ihren Erzeugnissen in erster Linie vor allem Freude in das Kinderland tragen“.

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Der Dichtungsring – Erster Teil

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Warum die poetischen Zeugnisse einer ganz normalen Werktätigen wert sind, veröffentlicht zu werden

Das ist nicht Frau Gebert mit ihrem Wischmopp, sondern Apollo, der Gott des Dichtens, mit seiner Lyra. 

Vorgestern war unsere Reinigungskraft, Frau Herta Gebert, merkwürdig still. Das ist gar nicht ihre Art. Meistens ist sie lustig, sorglos und – im Rahmen ihrer körperlichen Möglichkeiten – irgendwie leicht und unbeschwert. Das mag ich an ihr. Vor allem, weil man weiß, dass es kaum Schlimmeres gibt, als eine schlechtgelaunte Reinigungskraft. Dann wird nicht sauber geputzt, staubige Ecken bleiben unbesucht und manchmal fällt auch noch eine Vase runter.

Also hatte ich vorsichtig nachgefragt, ob es einen Grund dafür gibt, dass sie so ist, wie sie ist. Liegt es vielleicht am Herbst mit seinem Laub in der Allee und dem Nieselregen? Und: könne ich ihr vielleicht helfen? Wollen wir reden? Liegt etwas an? Vielleicht steckt hinter ihrer Nachdenklichkeit ja auch der Wunsch nach einem neuen Wischmopp?

Zunächst schien sie fast etwas ungehalten. Auf mein bohrendes Nachfragen erfuhr ich aber, dass sie Gedichte schreibt, zwar nur so für sich. Sie hätte sich nun schon seit Langem mit der Frage beschäftigt (ich glaube, sie sagte gequält), ob wir auf unserer Website nicht mal das eine oder andere ihrer Gedichte veröffentlichen könnten? Schließlich würden wir übers Jahr so Vieles veröffentlichen: Interessantes, aber auch nicht so Interessantes, Witziges und überhaupt nichts Witziges, manchmal Starkes aber oft auch Schwaches. Plötzlich verstummte sie, weil sie ahnte, dass ihre Ausführungen vielleicht wenig zielführend sein könnten. Jedenfalls, fuhr sie fort, hätten ja viele Dichter mal klein angefangen. Goethe vorneweg, aber auch Federico García Lorca. Dann solle man Jorge Luis Borges nicht vergessen, dessen Frühwerk sie ganz besonders schätzte. Und dann erst Mark Twain! Ob ich gelesen hätte, was der über die Baden-Badener geschrieben hatte? Und was ist mit Henscheid, der viel zu früh Verstorbene? Grass – nun ja, Grass. Aber Nietzsche! „Ich sage nur: Nietzsche“, sagte sie und schürzte die Lippen, als hätte sie ein ‚Mon Cherie’ im Mund.

Das mit dem Wischmopp war mir auf einmal sehr peinlich, denn nun entdeckte ich Frau Gebert von einer bislang unbekannten Seite. Während sie täglich so stumm vor sich hin putzt, macht sie sich also nicht nur tätigkeitsbezogene Gedanken, sondern sie schmiedet offensichtlich auch noch eigene Verse; sie macht sich einen Reim drauf. So gesehen verweist das Schwenken des Staubwedels noch auf Qualitäten ganz anderer Art.

Die Frage stellte sich für uns letztendlich ja so: sind wir groß genug, angesichts eigener Unzulänglichkeiten, wirkliche wahre Größe zu erkennen? Und wenn ja, dieser dann auch Raum zu geben? Und zwar nicht nur zum Putzen! So scheint es uns ein Gebot der Fairness, unseren Lesern die Chance zu eröffnen, Ausschnitte aus dem poetischen Werk einer stillen Reinigungskraft kennenzulernen und so das Dichtwerk dieser weithin unbekannten Frau auf diese Weise einer größeren Öffentlichkeit zugängig zu machen.

Da das Ganze ja einen Namen haben muss, haben wir diesen Gedichte-Zyklus jetzt mal den „DICHTUNGSRING“ genannt, was zum einen ein Arbeitstitel ist, zum anderen aber auf ihren fortwährenden Kampf mit einem tropfenden Wasserhahn verweist.

So. Genug geredet. Jetzt das erste Gedicht von Frau Gebert! Weitere werden im Laufe der kommenden Woche folgen. Sie können sich schon mal darauf gefasst machen.

 

 

Relativer Fliegenflug

Die Fliege denkt:

Einsteins Physik!

Ich flieg im Raum

Und krieg nichts mit.

Lang leb’ ich nicht,

dann ist’s zu spät.

Ich pfeif’ auf Relativität.

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