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Hauptsache lustig.

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Wer sich integrieren will, muss nicht unbedingt lustige Lieder singen können. Aber gut wär’s schon.

Ein Dönerverkäufer 1855

Soll keiner sagen, dass unsere Türken keine lustigen Leute seien. Gut – vielleicht nicht so lustig wie etwa die Tiroler, die es wegen ihrer durchgängig guten Stimmung sogar zu einem eigenen Lied gebracht haben. Das geht so: „Die Tiroler sind lustig die Tiroler sind froh“. Wer das singt, spürt schon, was es mit den Menschen dort so auf sich hat. Irgendwie nur schade, dass so lustige Leute wie die Tiroler keine richtigen Deutsche sind. Gerade an Tagen wie diesen könnte wir solche Deutsche nämlich gut gebrauchen, gerade jetzt, wo viele unserer Landsleute das Leben eher traurig finden. Denn wer jemals in Tirol Skiurlaub gemacht hat, der weiß, wie es sich anfühlt, von einem braungebrannten tiroler Skilehrer beim Apres Ski so richtig bespaßt zu werden. Danach weiß er, wie es bei einem zünftigen Almdudler zugeht: so richtig lustig halt.

Jetzt aber müssen wir nochmal auf unseren Anfang zurück kommen, wo wir von den türkischen Mitbürgern gesprochen hatten. Solch eine tiefe Fröhlichkeit ist nämlich von unseren türkischstämmigen Mitbürgern nicht zu vermelden. Wenn wir sie in ihrem Imbiss stehen sehen, fällt uns vieles ein, nicht aber, wie heiter es ist, sein Leben mit einem Dönerspieß im Rücken zu verbringen. Aber vielleicht wird das ja noch.

Ganz anders verhält es sich mit den Zuwanderern der ersten Stunde, den Italienern, die schon kurz nach dem Krieg als ‚Gastarbeiter‘ zu uns gekommen waren. Freilich muss man sagen, dass es für sie zu Anfang auch nicht so furchtbar lustig war. Wenn man sich damalige Dokumentationen anschaut, ahnt man, wie übel es ihnen anfänglich erging. Angereist in Zugwaggons der Holzklasse, lebten sie zunächst noch in Baracken. Gewaschen hatte man sich im Freien. Sieht man heute die damaligen Filmsequenzen, muss es ihren, weit ab von Bella Italia, anfänglich ziemlich schwer gefallen sein, an die Segnungen des deutschen Wirtschaftswunders zu glauben.

Das wurde erst besser, als die ersten von ihnen sich einen Opel Kadett leisten konnten, den sie wie alle Deutsche jeden Samstag wuschen. Da hatten sie aber schon nach einer Lokalität Ausschau gehalten, in die sie recht zügig einen Pizzaofen einbauten. War der Ofen endlich da, besorgten sie sich aus Italien Bilder vom Vesuv und vom Ätna. Weiter bezogen sie aus der alten Heimat Gipsfiguren von halbnackten griechischen Göttinnen und bastverkleidete Chiantiflaschen, die, leer getrunken, als Kerzenhalter schnell den Weg auch in unsere Kellerbars fanden. Die von uns den Krieg überlebt hatten, fanden das wunderschön.

Nun muss man sich so einen Pizzabetreiber im Nachkriegsdeutschland nicht als geborenen Ober vorstellen, aber lustig war das schon, wenn unser Mann aus Palermo schon früh durch’s Lokal wuselt, die Sonne Italiens beschwört und gute Laune verbreitet. Später ließ sich der Italiener von uns auch noch vertraulich duzen („Was machst du mir heute“?), worauf  dem deutschen Stammgast zwar nicht das Messer im Sack, so doch das Herz aufging.

Dass sich so ein italienischer Pizzabetreiber alsbald vollständig integriert fühlte, verdankte er allerdings noch einem anderen Sachverhalt, dessen integratives Wirken man nicht  unterschätzen sollte. Es war die italienische Musik, die uns Deutschen das süße Leben unter der südlichen Sonne vorgaukelt. Titel wie „Oh mia bella Napoli“, „That’s Amore“ und „Oh sole mio“, mögen hier stellvertretend stehen, aber auch Interpreten wie der ewig lachende und zähnebleckende Adriano Celentano („Azurro“), wie Ricci & Poveri („Felicita“) und Rocco Granata („Marina“). Sie alle formten ein Bild von Italien, das bald auch kräftig in den deutschen Nachkriegsschlager überschwappte. Bis heute prägte es das positive Bild von unserem südlichen ‚Nachbarn‘. Dabei geholfen hat auch, dass die Sänger und Sängerinnen Italiens ihre Hits bald auch auf Deutsch sangen. Kam dazu dann auch noch so ein kleines unschuldiges Liedchen wie „Zwei kleine Italiener“, dann war man dem Gastarbeiter von Herzen gut. Irgendwie hieß man ihn willkommen und war froh, wenn er seinen Ofen für uns anwarf. Daran etwas ändern konnte nicht einmal die später gar nicht mehr so lustige Cornelia Froboess, die sich bis heute für den ‚Kleinen Italiener‘ schämt. Ohne es zu wissen, hat sie mit ihren kleinen albernen Liedchen dazu beigetragen, dass die Integration der italienischen Mitbürger gelang.

Ganz anders als z.B. bei unserem türkisch-berliner Taxifahrer, der – steigt ein Fahrgast zu – gut daran tut, die Lautstärke seines Autoradios runterzufahren. Mag ja sein, dass das, was da aus dem Autoradio tönt, von vielem erzählt, nicht aber davon, wie schön es doch sein kann, wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.







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In einem andern Land

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Die lustigen Zimmerleute von Tübingen

220px-ZimmererSiegelWenn unsereiner die kleine Stadt verlässt, die ja so schön ist, dass man ihren Namen zwei Mal nennen muss, dann sollte es sich bitte schön doch lohnen. Tübingen z.B. wäre schon mal so eine Reise wert. Tübingen! Stadt der Philosophen, der verblichenen Denker und eines grünen Oberbürgermeisters mit dem Namen Boris Palmer, der aber noch lebt. Ernst Bloch aber ist tot, Hans Mayer weilt schon lange nicht mehr unter uns, und Walter Jens ist nach langer Krankheit im letzten Jahr verstorben. Wollte man diese Geistesgrößen früher treffen, musste man nur in der Osiander’schen Buchhandlung in der Metzgergasse vorbeischauen. Da konnte man an manchen Tagen dem Weltgeist beim Teetrinken zuschauen.

Aber das ist ja nun schon ein Weilchen her. Nix mehr mit Weltgeist beim Tee. Dann also das Alternativprogramm. Ich beschließe, ein mir empfohlenes Restaurant in der Ammergasse aufzusuchen. Dort gibt’s zwar allenfalls Himbeergeist, dafür aber Maultaschen und Schwabenbräu, serviert von einer Bedienung, die wieder einmal bestätigt, dass Freundlichkeit in schwäbischen Wirtschaften allenfalls ein formlos erklärter Gewaltverzicht ist. Diese sicherlich nett gemeinten Grobheiten wurden aber mehr als wettgemacht durch den Unterhaltungswert zweier Zimmerleute, die sich am Nachbartisch über die Figur des Widerstandskämpfers Graf Stauffenberg in die Haare gerieten. Der eine sagte, für ihn sei Stauffenberg ein Held. Der andere bezeichnete ihn als Arschloch. Damit war der Begrifflichkeit genüge getan und man konnte ans Streiten gehen.

Ich möchte hier nicht die Auseinandersetzung in allen Verästelungen wiedergeben. Nur soviel: nach heftigsten Wortwechseln mit angedrohten Schlägen kam es zu guter Letzt dann doch noch zu einer Versöhnung. Ob darüber die Figur Graf Stauffenbergs auf der Strecke geblieben war, hatte ich irgendwie nicht ganz mitbekommen, steht aber zu vermuten. Mittlerweile hatte sich zudem noch die Bedienung vor mir aufgebaut und bellte: „Zahle“, wobei ich nicht wusste, ob dies als Frage oder Befehl zu verstehen war.

Was mir aber noch deutlich in Erinnerung geblieben ist, war der Satz, den der eine Zimmermann dem anderen fröhlich versöhnt zurief. „Woisch was: jetzt trinksch ä klöis Bier auf mei Rechnung“.Dieser an sich schlichte Satz bedarf aus gegebenem Anlass – noch sind wir in der Denkerstadt Tübingen! – der hermeneutischen Deutung. „Woisch was“ (das weist auf den Hammer hin, der gleich kommt). „Jetzt trinksch…“ (ich trinke nicht mit) „ä klöis Bier“ (kein großes, sondern ein kleines Bier) „auf mei Rechnung“. Der Bestellende ist also zahlungswillig und zahlungsfähig.

Bei uns im Badischen hätte es geheißen: „Jetzt trinken wir ein Bier“. Dann wäre klar gewesen: zunächst einmal ist das ein ganz normaler Vorgang. Weiter: wir trinken zwei Gläser Bier und zwar große. Im übrigen trinke ich mit, und das ganze geht natürlich auf meine Rechnung.

Soweit, so badisch.

Irgendwie muss man sie einfach lieben, unsere Schwaben…!

Allgemein Essen & Trinken Gastbeiträge

Auf der Durststrecke durchs Hungergebirge

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Wanderfreunden dringend zu empfehlen: Rucksack und Picknickkorb 
 
Das Wandern ist bekanntlich nicht nur des Müllers Lust, sondern auch Badener und Touristen schätzen die reizvollen Touren rund um Baden-Baden – nicht zuletzt deshalb wurden im Zuge des Welterbe-Zuschlags historische Spazierwege wieder ansprechend hergerichtet. Wer also das Glücksspiel scheut, sich mit Flieger oder Bahn an ein fernes Urlaubsziel zu begeben, hat wunderbare Naherholungsziele unmittelbar vor der Haustür. Eine Wanderung zur Yburg oder zur Burg Alt-Eberstein, gemütlicher Aufstieg zum Alten Schloss, Tagesausflug zur Roten Lache, Abwärtsroute vom Merkur zur Nachtigall, alles gut ausgeschildert und familienfreundlich angelegt – und auch noch sehr figurfreundlich, denn auf zünftige Bewirtung muss mittlerweile an vielen einst schon fast legendären Zielpunkten verzichtet werden.

Ein abendliches Viertele auf der traumhaften Terrasse der Yburg hatte für viele Kurstädter Kultstatus, und von der Erinnerung an die  leckeren Torten auf der „Roten Lache“ zehrt so mancher ehemaliger Stammgast noch heute, während der nüchterne Internet-Hinweis „dauerhaft geschlossen“  (auch die „Nachtigall“!) den Appetit auf eine Wanderung mit kalorienreicher Belohnung dämpft. Ein schöner Ausblick entschädigt ja für manche Anstrengung, aber ein gut gezapftes, kühles Bier ist auch eine Augenweide, die gern durch Gaumenfreuden abgerundet würde.

Kultstatus – nicht nur dank der Fernsehvergangenheit – genoss bis vor einem Jahr auch der „Forellenhof“, dessen schattige Terrasse  auf den Spaziergänger gr0ßen Reiz ausübte. Geschlossen ist nun auch das Restaurant im Alten Schloss, das sich als noble Event-Location zu etablieren versucht. Der Kiosk vor der Ruine hat zwar Getränke, einfache Speisen und Kuchen im Angebot, aber so recht festsetzen mag man sich an dem zugigen Plätzchen jetzt nicht mit. Mehr Glück hat der Ausflügler im „Scherrhof“, der mit dem Dienstag auch nur einen Ruhetag pro Woche hat, aber nur von 12 Uhr bis – laut Homepage – „ Feierabend“ geöffnet hat. „Feierabend“ war kürzlich bei einem Anruf an einem Sonntag bereits um 19.30 Uhr. Vor dem Aufbruch zu einer noch bestehenden Einkehrmöglichkeit wie „Schwanenwasen“ oder „Bütthof“ empfiehlt sich ohnehin die Nachfrage nach den Öffnungszeiten – einige Betriebe decken nur an drei Tagen in der Woche den Tisch, sind dann aber so gefragt, dass eine Reservierung angebracht ist.

„Selbst ist der Wirt“ wäre eine kostengünstige Alternative: Picknickkorb oder Rucksack mit deftiger Wandererkost und Getränken in Kühlflaschen, die an schattigen Plätzchen ausgepackt und genossen werden. Dahin müssen sie allerdings erst einmal transportiert werden … Absolut keine Option ist angesichts der Waldbrandgefahr der Würstchengrill auf einem Rastplatz.
Die Gründe für die Verknappung des kulinarischen Wanderangebots liegen laut Auskunft des Hotel- und Gaststättenverbands – wie so viele anderer Negativentwicklungen – zum großen Teil in der Pandemie: Während des großen Lockdowns sahen sich viele Köche und Servicemitarbeiter nach alternativen Arbeitsplätzen um – händeringend werden nun Ersatzkräfte gesucht, um den Betrieb halbwegs aufrecht erhalten zu können. Nicht zu stemmende Pachtgebühren, aufwändige Umbaumaßnahmen, gesundheitliche Einschränkungen – alles verständlich, aber betrüblich, wenn der potenzielle Gast mit knurrendem Magen und trockener Kehle vor verschlossener Tür steht.
Umso tröstlicher mutet dagegen ein Ort an, den der Fremde wohl nicht gleich mit zünftiger Bewirtung assoziieren würde: Der Baden-Badener Hungerberg trägt seinen Namen zu Unrecht, denn ausgerechnet dort wird im schönsten Biergarten Baden-Badens an sechs Tagen der Woche geschlotzt, gefuttert und gefeiert. Feierabend ? Selten vor Mitternacht.

Irene Schröder

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Der Knopf im Ohr Teil 1

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So hörte Beethoven

Schon am Vorabend war die Weinstube gut besucht. Es herrschte eine angenehm gedämpfte Stimmung. Auf den Tischen standen Kerzen, von irgendwoher kam leise Musik. An den wenigen besetzten Tischen wurde ausnahmslos Wein getrunken. Auch der Wirt hatte sich ein Schluck eingeschenkt. In der Schwingtür, das Lokal gegen die Küche abschließend, tauchte kurz die Chefin auf. Sie war herb aber unersetzlich. War ihr Mann für die gute Stimmung im Lokal zuständig, kümmerte sie sich um die Buchhaltung. ‚Das Geld wird am Schreibtisch verdient‘, sagte sie. Aus der Küche kommend, streifte ihr Blick kurz die Gäste, erfasste beiläufig den möglichen Umsatz, und kam dann für die Dauer einer Millisekunde auf dem halb gefüllten Weinglas ihres Mannes zu ruhen.

Schon hatte sie sich zum Gehen halb nach hinten gedreht, da öffnete sich die Tür des Lokals. Der dunkelrote Samtvorhang – er stammte aus einem Ausverkauf des Theaters – bauschte sich, zwei Hände suchten den Vorhang zu teilen, bis in einem Schwall kalter Luft ein mächtiger Mann in der Weinstube stand. Hinter ihm noch eine Person, seine Begleiterin, schmal und vom Vorhang noch halb verdeckt. Erst als er ganz im Lokal stand, trat sie aus seinem  Schatten. Davor, vollständig übersehen zu werden, bewahrte sie allein ihr quergestreift schwarz-gelber Pullover, der irgendwie an die Biene Maja erinnerte.

Schnaubend legte der Mann seinen dunklen, mächtigen Mantel ab. Auch ohne ihn wirkte er sehr groß. Kahler Schädel, breite Schultern. Der massige Bauch lappte schwer über einen schmalen Gürtel. Dazu trug er breite, ausgetretene schwarze Schuhe.

Jeder Zoll seiner Erscheinung wies ihn als eine jener Personen aus, die die Nachjelzinaera in die Geldmetropolen Europas gespült hatte. Sein Hemdkragen war offen, die Krawatten hing auf Halbmast. Ohne zu fragen nahm der Gast am einem der Tische Platz. Mit dem Fuß schob er seiner Begleiterin wortlos einen Stuhl hin. Sie sollte sich wohl setzen.

Dann rief er nach der Bedienung und fragte, ob es hier eine Kleinigkeit zu Essen gäbe. Das mit dem Trinken sehe er ja. Kleine Karte, die hat man hier ja auch, oder? Und zu seiner Begleiterin blickend, sagte er: „Du isst ja mit“.

„Ich möchte heute nicht so viel essen, Sie sehen ja“, wandte er sich an das Ehepaar am Nachbartisch, die damit nicht gerechnet hatten. Den Satz verdeutlichend hatte er auf seinen mächtigen Bauch gedeutet. Als er merkte, dass die Herrschaften an einem Gespräch keineswegs interessiert waren, ließ er den Arm wieder sinken und widmete sich der mittlerweile eingetroffenen Speisekarte.

Er schob die Brille hoch, so dass sie schräg auf der Stirn saß, studierte das Angebot und sagte einmal mehr sich bestätigend: „Du isst ja mit“. Ihr Einverständnis voraussetzend nickte er. Er würde sich mit seiner Begleiterin eine Portion teilen.

Die wurde, zusammen mit einem zweiten Teller und dem Besteck, auch bald gebracht. Ebenso der Wein. Obwohl er keine Flasche bestellt hatte, inszenierte er zunächst eine Art Verkostung. Er hielt den einfachen Tafelwein gegen das Licht, schwenkte ihn im Glas, und beroch ihn dann mit knolliger Nase. Kein Kork. Großes Geschmackskino. Gut so. Die Bedienung ging, der Gast trank, und auch die Frau bekam ihren Schluck ins Glas.

Nach einer gewissen Zeit bestellte der Gast „einen zweiten Halben“. In der Weinstube hatte der Lärm zwischenzeitlich zugenommen. Offensichtlich wurde es dem Gast jetzt wohl doch etwas zu laut. Er trug ein Hörgerät und nestelte an seinem Ohr herum. Zunächst versuchte er, die Lautstärke des Geräts dem Lärm der Umgebung anzupassen. Scheinbar ohne Erfolg. Er beschloss, die beiden kleinen Hörgeräte, die ihm bei geringerer Lautstärke offensichtlich gute Dienste geleistet hatten jetzt erst mal aus dem Ohr zu nehmen.

Die Bewegungen verrieten eine gewisse Beiläufigkeit. Anscheinend machte er das öfters. Zunächst legte er die beiden kleinen Knöpfe vorsichtig auf den Tisch, aber da sie so rund waren, machten sie keine Anstalt, dort auch liegen zu bleiben. Also legte er die unscheinbaren Teilchen weiter oben hin, neben den leergegessenen Teller, auf dem sich noch übriggebliebene Speiserest befanden. Petersilie, blassrote Tomaten und hellgrüne Ziergurken. Ein Salatblatt lappte über den Tellerrand und verdeckte das eine der beiden Hörgeräte.

Er müsse jetzt mal um die Ecke, sagte er zu seiner Frau und entschwand in Richtung der Toiletten….

Demnächst Teil 2. HIER.

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„Mit Siebeck, das ist meine herrlichste Zeit gewesen“! Folge 1

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Vom Reisen und Speisen: Barbara Siebeck – die Frau an der Seite von Wolfram Siebeck

Hoch droben, über dem kleinen ortenauer Städtchen Mahlberg thronend, hat das stolze Schloss schon viel gesehen. Da war zunächst das Jahr 1223, in dem der Stauferkaiser Friedrich II dem Ort das Stadtrecht verlieh. Auf dem Weg zum Reichstag in Worms nahm er hier, standesgemäß in Begleitung von Löwen und Giraffen, zunächst Quartier, zog dann aber weiter. Später, es war viel später, nämlich 1985, fassten andere, nämlich Wolfram Siebeck und seine Frau Barbara, den ehemaligen Herrschaftssitz ins Auge. Anders aber als der Stauferkaiser waren sie gekommen, um zu bleiben.

Und in der Tat hat der Ort einiges für sich. In der Mitte von Baden, nahe Frankreich und der Schweiz, dabei nicht zu weit weg von Oberitalien, schien es dem damals bereits prominenten Gastrokritiker ein idealer Platz, mit der ihm eigenen fast schon biblischen Strenge, sein Werk fortzusetzen und den Deutschen kulinarisch die Leviten zu lesen. Wolfram Siebeck, das sollte hier gleich angeführt werden, war damals schon einer, von dem manche sagten, er sei einer der einflussreichsten deutschen Journalisten überhaupt gewesen. Er war es, der den Deutschen in zahlreichen Artikeln und den damals ersten Kochsendungen im Fernsehen viele Jahre lang den guten Geschmack lehrte. Dem Ess-Geschmack. Zum Teufel mit den fetten Soßen, keine dicke Pampe. Das ‚Russische Ei’ – soll dahin gehen, wo es herkommt. Königinpastete? Pumpernickelbrot mit Fiegenpilzdeko? Kalter Hund? Ach nööö…Statt dessen französische Küche, ambitioniert, nicht überkandidelt.

Und mit dabei am Tisch immer seine Frau Barbara, die jüngst ein Buch veröffentlicht hat, das den Titel trägt ‚Die Siebeck’, worin sie sich, fernab vom derzeitigen Zeitgeist, nicht scheut ihr, Leben in nahezu symbiotischer Zweisamkeit mit Wolfram Siebeck zu beschreiben und zu definieren.

Dabei wirkt sie im persönlichen Gespräch fast ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Liegt aber nicht an ihr, sondern am derzeit herrschenden Zeitgeist. Was oberflächlich betrachtet als Ausdruck des überwunden geglaubten Gestrigen zu bewerten wäre, entpuppt sich im Gespräch als ein gänzlich emanzipiertes ‚Ich wollte das so’. Vielleicht war die Waldorfschule in Worpswede daran schuld, dass sie früh schon ihrem Kopf folgte. Mit sechzehn hatte sie beschlossen, dass die Schule so recht doch nicht für sie tauge, was durchaus auf das Verständnis ihrer Mutter stieß, die ohnehin der Ansicht war, dass es zuhause und in der elterlichen Galerie mehr zu lernen gäbe. Kunsthandel war das Thema, dem sie sich, mit achtzehn Jahren bereits nach Berlin gezogen, mit großer Begeisterung widmete. Dort trifft sie 1959 den amerikanischen Fotografen Will McBride, mir dem sie in rascher Abfolge drei Kinder bekommt („Ab 25 hat man dann Zeit für sich“), um sich dann bereits1969 von ihm zu trennen. Danach heiratet sie Wolfram Siebeck.

Will man sich Barbara Siebeck nähern, wäre es hilfreich, beim Betreten der Wohnung auf dort ausliegende Zeitschriften zu achten. Dort finden sich mehrere Ausgaben der Zeitschrift TWEN, die, den damaligen Zeitgeist inhaltlich und grafisch definierend, von 1960 bis 1971 den Deutschen zeigte, wo’s zeitgeistmäßig langgeht. Im Nachhinein betrachtet, scheint es, als hätten sich bei diesem Projekt die Lebenslinien einer ganzen Generation gekreuzt. Zumindest aber die von McBride, Siebeck und Barbara Wilke, die spätere ‚Siebeck’. Sie war das Postergirl, das Gesicht der damaligen TWEN Zeit („androgyne Kindsfrau“), die in dem ikonografischen Titelblatt der schwangeren Barbara, Hose offen, den Bauch haltend ihren Ausdruck fand.

Sie macht heute, irgendwie hanseatisch, kein Aufhebens drum, und doch scheint sie es in sich zu tragen, das Selbstverständnis einer Frau, die sich um nichts zu scheren scheint, und schon gar nicht dann, wenn es ihr etwas nicht passt. Mit drei Kindern und dem zweiten Mann – sie findet diesen Ausdruck schrecklich – zog sie zunächst nach Starnberg, um dort eine Galerie zu eröffnen. Im Angebot die großen Namen, David Hockney, Max Ernst und Horst Jansen. Bald danach also Wohnsitz in Mahlberg.

Dort gefällt es der Familie gut, aber man hält auf Distanz. Dass man in dem kleinen Ort integriert war – nein, das könne sie nicht sagen. Man war ja auch viel weg. In der Zeit lebten sie wie in einem Ballon. Freunde in München, in Starnberg und in Paris. Dabei ihre Mutter in Staufen. Und dann all das Reisen und die Speisen! Drei bis vier mal die Woche, dem Ruf des Guide Michelin folgend. Das muss man mögen. Manchmal war selbst ihr das zu viel, worauf es schon mal passieren konnte, dass sie am festlich gedeckten Tische einfach in Ohnmacht fiel. Hätte sie aufgegeben, wäre das schlecht angekommen. Der Gatte hätte womöglich gefragt: „Was ist denn das für eine Tusse?“

Und doch war es ihre Bühne, ihre gemeinsame Leidenschaft. Schon das Betreten des Restaurants und die üppigen Blumengebinde im Eingang! Dort schon zu ahnen die festlich gedeckten Tische, die Kerzen, das polierte Besteck und das Glitzern der Gläser. Großes Kino. Begrüßung durch den Chef, Aufmarsch des Personals, der Sommelier präsentiert die Weinkarte. Und von allem nur das Beste. Es war ihr Beruf, ein Himmel voller Sterne. ‚Der Siebeck’ mit Weste, alles ein bisschen Englisch. Rote Socken, gelbe Socken. Seine Hemden aus London, ihr Kleid aus Frankreich. Man findet es mehr als passend, wenn sich der Gast dem Anspruch der Küche gemäß kleidet.

„Ein normales Lokal ist Zeitverschwendung“, sagt sie, und sie sagt es so selbstverständlich, dass man einen kurzen Augenblick lang geneigt ist, ihr zuzustimmen.

 

Demnächst mehr. Hier. Teil 2 („Alles Majo, oder was?“)

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