Category Archives: Auswärts

Allgemein Auswärts Essen & Trinken

Der Gnadenhof

Published by:

Zu Gast im KREITERHOF. Von der Freude, dem Verstreichen der Zeit bei einem Glas Gutedel zuzuschauen

Wer kein Blick für die tieferliegenden Strukturen hat, könnte das, was er hier auf dem Gelände sieht, als ein jesusmäßiges Durcheinander halten. Traktoren, Motorsägen, Heiligenbildern, Geweihe und jeden Menge anderer Gegenstände bevölkern das Gelände. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn nur wer all das hier als Teil einer höheren Ordnung akzeptiert, wird einsehen, warum alles gerade hier seinen Platz hat, ja unbedingt hier sein muss.

Was also ist das für ein Ort? Er liegt in einem kleinen Talgrund in der Nähe des vormals revolutionär umtriebigen Kandern im Markgräferland, dort, wo der aufsässige Hecker in der Badischen Revolution partout nicht einsehen wollte, warum die Fürstenherrschaft noch länger dauern sollte. Dahinter steckte also schon damals ein harter Kopf. So einer brauchte schon ein ordentliches Ziel.


Ein solches hatte offensichtlich auch der Herrscher über das hier so großzügig bemessene Gelände. Er heißt Armin Kreiter, ist 1963 in Lörrach geboren und zog 1989 als ausgebildeter Landwirtschaftsmeister zunächst einmal mal hinaus in die Welt, um sie gründlich kennenzulernen. Als Entwicklungshelfer hatte es ihn damals zunächst nach Nepal verschlagen; später dann nach Sambia. 1996 kam zurück und beschloss, hier in Egerten seine nähere Heimat zu besiedeln.

Als erstes machte er sich dran, den heimatlichen Betrieb – den 200 Jahre alten Kreiterhof – umzustrukturieren, um auf seinem Grund und Boden erst einmal eine Weinschenke zu eröffnen. Diese diese sollte ihm ermöglichen, sein Erbe zu pflegen und auch davon zu leben. Seit dieser Zeit gibt es dort, was man hier schätzt. Auf der Karte stehen Gerichte wie „frische Blut- und Leberwurst“, auch gebratene Forelle. Selbstverständlich gibt es Wurstsalat und den obligatorischen Flammenkuchen, letzterer natürlich in je verschiedenen Varianten. Und damit der Besucher das Ganze nicht trocken zu sich nehmen muss, wird das Gebotene mit den ortsüblichen Weinen umspielt. Mit Spätburgunder, einem Rose und natürlich dem heimischen Gutedel.

Gereicht wird das Ganze bei guter Witterung vor dem alten Haus, wo an Bänken und Tischen der Blick des Gastes wohlgefällig auf Speisen und Getränken ruht und kaum einer sich der freundlichen Frage verschließen kann, ob hier noch frei sei? Ist das Wetter nicht so freundlich zieht es einen ins Innere des Hauses, in die große, gute Stube, die früher ein Stall, jetzt aber aber eine rechte Wirtschaft ist. An ihre Vergangenheit erinnern an noch immer die an den Balken angenagelten Blechschilder, wo noch heute die Namen der Kühe zu lesen sind. Die damals fleißig Milchgebenden hießen GRETH, RÖSI, FLECK und LIESI, weshalb wir hier mit dem Nennen ihres Namens dankbar gedenken wollen.

Der Herr des Hauses und seine Heilige

Der Wirt und seine Muttergottes


Begleitet man den Gastgeber nach oben, in den zweiten Stock, betritt man eine große Stube, ein Saal, wo der Herr des Hauses Schätze gehortet hat, die von der großen Verbundenheit des Hausherren mit dem Haus, der Landschaft und ihrer Geschichte erzählt. Altes Werkzeug, Kuhglocken aus ferner Zeit, ein Kinderschlitten, Hämmer, Äxte, ein gebrannter Schlussstein mit den Initialien der Brenner mit dem Datum: 1809. Es ist eine Art Schatzkammer der Erinnerung. Z.B. dieser Ehevertrag von 1816, der mit großen Zugeständnissen an den Bräutigam die Braut – einer Notiz nach nicht die hellste und zudem mit dem ‚Makel‘ eine unehelichen Kindes behaftet – schmackhaft machen sollte.

Weiter findet sich dort der Urlaubsschein eines Soldaten von 1870 – 27 Männer der Gemeinde waren „im Feld geblieben“, wie es so lapidar heißt. Nicht weit davon das Kanapee der Luise Kreiter, das sie 1915 mit in die Ehe brachte und auch der alte Feldmantel des endlich heimgekehrten Urgroßvaters nebst der Krücke, die ihm half, weiterhin durchs  Leben zu gehen. Er hatte ein Bein verloren.

So vieles Beschauenswertes findet sich dort, auch und vor allem eine geschnitzte spätmittelalterlich Mutter Gottes, die, von schlichter Volksfrömmigkeit, mit ihrem Kind in einem gläsernen Behältnis thront. Von dort aus scheint sie über die Schätze der Vergangenheit zu wachen.

Armin Kreiter hätte all dies gern in ein kleines Heimatmuseum gegeben. Dessen Platz war schon bestimmt; der Bau auch schon beantragt. Doch malten die Mühlen der Verwaltung nicht langsam, sondern gar nicht. Das Fräulein vom Amte hatte keine Möglichkeit gesehen, dem Vorhaben, anders als die ansässige Mutter Gottes, ihren Segen zu geben.

So bleibt es im Talesgrund erst einmal alles beim Alten. Auch so ist man hier angekommen. Nicht zum Suchen, nicht zum Finden. Nein, zum Sein. Keine Schraube muss fürchten, aus dem Schatten ans Licht gezerrt zu werden. Hier herrscht ein einvernehmliche Zuendegekommensein. Alles zu seiner Zeit. Alles an seinem Platz.

Armin Kreiter lässt seinen Blick schweifen, nimmt noch einen Schluck Gutedel, betrachtet das Ganze mit Wohlgefallen und resumiert: „Ich bin halt ein Jäger und Sammler“.










Kreiterhof Weinschenke
Wollbacherstrasse 1
79400 Wollbach-Egerten
07626 591
Info@Kreiterhof.de

 

Allgemein Auswärts Menschen

Mit Tempo Richtung Zukunft

Published by:

In Basel ansässig: die größte Ferrari Niederlassung der Schweiz  

Niki Hasler ist ein überaus zurückhaltender, fast still wirkender Mann. So ist es mehr als verständlich, dass er so gar nichts hat von einem jener hochdrehenden Zwölfzylindermotoren  der Marke, die er vertritt: Ferrari. Das muss der auch nicht. Denn die Ferrari Niederlassung in Basel ist eine der größten Ferrari Händler der Schweiz; mithin ist er also ein wichtiger Teil einer Erfolgsgeschichte der Marke Ferrari, was sich in nicht geringem Maß am derzeitigen Aktienkurs ablesen lässt.

Die Niederlassung gibt es seit 2002. Begonnen hatte man mit sieben Personen. Mittlerweile wurde personell kräftig aufgestockt. In dem hellen, mit Showflächen reichlich gesegneten Gebäude lesen mittlerweile dreißig Angestellt den Kunden jeden Wunsch von den Augen ab. Die Anzahl der im letzten Jahr verkauften Fahrzeuge, bleibt diskret ungenannt. Doch darf man davon ausgehen, dass der massiv gestiegene Aktienkurs von Ferrari in den Verkaufszahlen der Firma seine verdiente Entsprechung findet.

Niki Hasler gibt an, dass 2023 in Maranello etwa dreizehntausend Autos gefertigt wurden, die – so wie in Basel – nicht nur durch die schiere Schönheit und Kraft den Kunden für sich einnehmen, sondern auch durch das Wissen um ihre Exklusivität, den Reiz der Verknappung. „Der Zauber der Begehrlichkeit soll unbedingt gewahrt bleiben“, sagt Niki Hasler und lächelt. Schließlich verkauft er nicht nur Autos, sondern auch hochmotorisierte Träume.

So einen hatte der Kunde möglicherweise lange in sich getragen, bevor er sich eines schönen Tages entschlossen hatte, den Traum wahr werden zu lassen und sich in der Hardstraße in Basel einzufinden. Dort scheint man bereits auf ihn gewartet zu haben. „Taylor-made“ ist das Schlüsselwort, mit dem Niki Hasler den Reiz einer möglichen Individualisierung andeutet. ‚Maßgeschneidert‘ also kann der Ferrari werden, in wunderbar vielen Fällen also nicht nur „von der Stange“. Allein schon die Anzahl möglicher Farblackierung! Waren ganz zu Anfang der Firmengeschichte die Wagen noch vielfarbig – weiß, silbern, blau – verengte sich das in den 80er Jahren aufs obligatorische Rot. Heute hat man’s gern wieder bunter. Immerhin: wer trotzdem noch ins Rot verschossen sein sollte kann auch heute noch ‚sein‘ Rot unter dreißig (!) Rottönen wählen, von möglichen Sonderlackierungen gar nicht zu reden. Warten also lohnt sich.
Dass Ferrari darüber hinaus noch mit Sondermodellen aufwartet, sollte hier durchaus angemerkt werden.

Diese aber glänzen nicht nur mir zusätzlichen Sonderfarben, sondern vor allem mit das Wissen, dass sie nicht jeder bekommt. Die Modelle MONZA Sp 1 & Sp2 z.B. gab es in der limitierten Zahl von fünfhundert. Jedes einzelne Modell war damals 1,4 Millionen Franken teuer, doch werden solche Modelle eher zugeteilt als verkauft. Der zahlungskräftige Kunde darf erst nach sorgfältiger Prüfung sich glücklich schätzen, zu den Auserwählten zu gehören. Da muss er sich Fragen gefallen lassen wie z.B. die: hat er bereits schon mehrere Ferraris, steht er loyal zur Marke? Ist von ihm kein Weiterverkauf des Ferrari zu befürchten, will er damit nicht handeln? All das nämlich sind Charaktereigenschaften, die den Kunden in den begnadeten Zustand versetzen, mit einer Sonderedition bedacht zu werden. Keineswegs in Betracht kommt also ein Kunde, der „nur die Kirsche auf der Torte“ sucht, so Niki Hasler.

Dass der Akt des Zuteilung eine nicht immer leichte Aufgabe ist, räumt der Ferraristi ungefragt ein. Nicht alle Kunden bringen das dafür nötige Verständnis auf, sind sie doch angetreten, sich die DNA der Marke implantieren zu lassen. Adlige und Finanzadlige, Unternehmer, Ärzte, kurz viele, die gewohnt sind, dass man ihre Wünsche erfüllt, und zwar subito. Nicht so angesichts des springenden Pferdes. Gerade hier, in einer solchen Situation, scheinen alle Menschen gleich zu sein. Verständlich, dass in diesem Umfeld die Frage nach Rabatten etwas zutiefst Verstörendes haben muss, so, als wäre diese Frage dem Ernst der Situation in keiner Weise angemessen.

Ferrari IST Italien, so die teure DNA der Marke. Doch getreu dem Spruch aus Lampedusa’s ‚Leopard‘: „Es muss sich alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist“ – ändert sich derzeit Vieles. Hatte der frühere Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo noch kategorisch ausgeschlossen, dass in Maranello je ein SUV vom Hof rollt, so hat sich das unter dem derzeitigen Máximo Líder Benedetto Vigna geändert. In der langen Reihe der Ferrari Granden ist er ausdrücklich kein Motorhead, sondern Physiker und kommt von einem italienisch-französischen Halbleiterhersteller. So gibt es seit 2022 auch den Ferrari „Purosangue“, der mit seinen 725 PS für sich in Anspruch nehmen darf, der stärkste aller SUVs zu sein. Anfänglich durchaus skeptisch, hat das Vorgestellte dann auch Hasler überzeugt, sieht er doch in dem Viersitzer durchaus einen reiner Sportwagen, der gleichzeitig aber aufzeigt, was Ferrari eben auch kann: die ganze Familie beschleunigen.

Angesichts dieser Modellpalette kann der Schweizer ‚Official Ferrari Dealer‘ getrost nach vorne blicken. Von Basel aus ist er Frankreich wie Deutschland gleichermaßen nah, aber auch der ganzen Schweiz zu Diensten. Wessen Ferrari z.B. im Tessin nach einem Kundendienst verlangt, darf darauf zählen, dass sein Wagen mit Transporter abgeholt und wieder zurückgebracht wird. So setzt man der Beschwerlichkeit der Entfernung den Segen des Service entgegen. Pferde wollen halt gepflegt sein.






















 

Allgemein Auswärts Institutionen Menschen Stadtstreicher Texte / Poesie

Post von der Katz´

Published by:

Es dürfte unbestritten sein, dass der Umzug in ein Alten- oder Pflegeheim zu den einschneidendsten Ereignissen  im Leben eines Menschen zählt. Herausgerissen aus den liebgewordenen vier Wänden, findet er sich wieder in einer gänzlich neuen Umgebung, die ihm zunächst völlig fremd erscheint. Da ist es gut, wenn er beim Umzug in den neuen Lebensabschnitt zumindest das eine oder andere ihm Vertraute mitnehmen kann. Hier ein silbergerahmtes Foto der Enkel, dort das Blaupunktradiogerät mit dem die Programmstärke anzeigenden ‚Katzenauge’ oder, was am besten wäre, er könnte die  Katze gleich selbst mitnehmen. Dass dies in manchen Häusern bereits heute möglich ist, durfte die ältere Dame in einem Altenpflegeheim im Markgräflerland erleben. Dort erlaubte man ihr, ihre geliebte Katze auch weiterhin bei sich zu behalten.

Dies war umso problemloser, da es sich bei ihr um ein ebenso schönes,  wie verschmustes Tier handelte, das sich – wen wundert´s – der Sympathie und Zuneigung der vielen älteren Damen erfreute. So konnte die Katze fortan zur Verschönerung des Alltags zahlreicher Menschen maßgeblich beitragen.

Nun geschah es aber, dass die Eignerin der Katze eines Tages starb. Ungeachtet des Todes der vormaligen Besitzerin strich die Katze wg allgemeiner Beliebtheit aber auch weiterhin von Zimmer zu Zimmer, wo man sie unentwegt mit den üblich eigenartigen Zischlauten („bsbsbsbsbsss“) ins Innere der Zimmers lockte. Dort wurde sie gestreichelt. Man wird nicht zu weit gehen, wenn man  diese Form der Zuneigung seitens der Heiminsassen als durchaus lebensverschönernd, ja, lebensverlängernd betrachtet.

In der auch auf einer Pflegestation durchaus herrschenden Hierarchie konnte fortan diejenige Pflegebedürftige punkten, auf deren Schoß die Katze sich möglichst lange schnurrend aufhielt. „Bei mir“, so war dann manchmal zu hören, „hat es die Katze halt am besten“. Die Verweildauer der Katze wurde so unausgesprochen als positiver Akt gedeutet. Sie legte Zeugnis ab von der emotionalen Fähigkeit der streichelnden Heimbewohnerin. In der Welt der freundlich dekorierten Zimmerfluchten einer Pflegestation konnte dies durchaus als prestigeförderndes Merkmal gelten.

Nun war aber dem aufmerksamen Pflegepersonal nicht entgangen, dass sich die Verweildauer der Katze auf je einzelnen Schößen ungleich verteilte, d.h. es gab Heiminsassinnen, die in zunehmendem Maß von dem Schmußebedürfnis der Katze profitierten. Zunächst wurde dies auch mit übergroßer Freude registriert, was sich aber alsbald ins Gegenteil verkehrte, wenn die Heiminsassin nämlich bald darauf verstarb und  den Streicheldienst zwangsläufig ein-stellte.

In den Schwesternzimmern wurde dies zunächst augenzwinkernd registriert, eine Eigentümlichkeit, der man anfänglich kaum Beachtung schenkte. Ja, es wurden sogar Witze gerissen, wie denn der Pflegedienst mit seinen Härten von Zeit zu Zeit durchaus nach heiteren Momenten verlangt. Anfänglich gab das möglicherweise zu erwartende Ableben einer Person nach dem häufigen Besuch der Stationskatze noch Anlass zu spaßigen Wetten. Einmal wurde eine  eintreffende Vorhersage sogar mit einer Geschenkpackung ‚MonCherie’ entlohnt!

Allmählich sensibilisiert, verdichtete sich der Verdacht, dass mit dem häufigen Besuch der Katze das baldige Ableben der Besuchten einherging. Dies veränderte die Stellung der Katze innerhalb der Abteilung aufs nachdrücklichste. Was zunächst das Personal noch zu Späßen ermunterte, wurde durch die zunehmenden Regelhaftigkeit und deren empirische Unterfütterungen bitterer Ernst.

Dabei wurde der Kreis der dies Ahnenden  zunehmend größer. Es war nicht mehr auszuschließen,  dass der Verdacht, innerhalb der Station eine behaglich schnurrende Todesbotin zu beherbergen, bis zu den Pflegeinsaßen durchsickerte.

So entschloss sich die Heimleitung zur großen Irritation und Trauer der Heimbewohner, die Katze in ein anderes Heim zu geben.

Wobei angefügt werden muss, dass es sich dabei um ein Tierheim handelte.

Allgemein Auswärts

Genuss in vollen Zügen

Published by:

Wenn einer eine Reise tut: mit der Bahn von München nach Stuttgart

München in diesen Tagen. Alles liegt unter einer dicken Schneedecke begraben. Über der Stadt wölbt sich ein kalter blauer Himmel, doch wen das Reisefieber packt, dem wird ganz anders. Wetterbedingt herrscht null Zugbetrieb. War die Großwetterlage noch winterlich schön, geriet der Rest dann aber eher nicht so toll. Gestern zumindest ging erst einmal gar nichts. Absolute Stille. Heute dann vorsichtiges Anfahren. 11.30 h sollte der erste Zug von München nach Stuttgart abgehen. Seitens der Bahn versprochen war zumindest schon mal Vollauslastung . Kein Wunder, dass die Fahrgäste das Versprechen wörtlich nahmen und nachschauten, ob das auch stimmt. Und in der Tat herrschte am Bahnsteig auch reges Gedränge, und es zeichnete sich recht schnell ab, dass der Zug überfüllt sein würde.

Wie oft zu Stoßzeiten standen die Leute dann auch in der Gängen, saßen auf Koffern oder versuchten, sich sonst irgendwie zu positionieren. Wer Glück hatte, fand einen Platz im Speisewagen. Alles also wie gehabt, wenn zur Urlaubszeit die Reiserei losgeht und die Bahn zu ihrem alljährlichen Erstaunen von den Fans überrannt wird. 

Aber diesmal sollte es etwas anders laufen. Da nämlich teilt der Zugführer über Lautsprecher mit: solange nicht jeder auf einem Platz sitze, könne der Zug sich nicht in Bewegung setzen. Dies geschehe aus Gründen der Sicherheit; es wäre zu unserem Besten. Nichts geht mehr. Keiner bewegt sich. Der Zugführer bleibt stur. Minute um Minute verrinnt. Der Zug steht. Kein Schaffner weit uns breit. Mittlerweile sind 35 Minuten verstrichen. Der Zug steht; zu unserer aller Sicherheit. Droht Achsenbruch? Alle sind genervt, vor allem auch jene Passagiere, für die das Reisen mit der Bahn auf Koffern bislang die übliche Fortbewegung war. Jetzt droht man nicht fixierten Fahrgästen per Lautsprecher sogar mit dem Hinzuziehen eines Ordnungsdienstes.

Den Rausschmiss vor Augen, habe ich mich gerade noch auf einen freien Platz in der 1. Klasse gerettet. Neben mir auf dem Boden sitzt eine Junge Frau. Sollten die angekündigten Polizeikräfte sich nähern, überlege ich, sie durch das Überwerfen meines Mantels vor einem eventuellen Zugriff zu schützen. Vielleicht passt sie in meinen Koffer? Man sollte sie verstecken. Vielleicht schmeißt man mich aus dem Zug, weil ich unerlaubt sitze oder im Begriff bin, Beihilfe zu widerrechtlicher Beförderung zu leisten?

Nach einer Stunde dann die Abfahrt. Zu einem fröhlichen Hallo bleibt keine Kraft mehr. Das, was jahrelang üblich war – das Reisen in übervollen Zügen –, solle auf einmal nicht mehr erlaubt sein? Ein Scherz? Es muss eine Verordnung in Kraft getreten sein, von der bislang niemand wusste.

Angesicht der schwerwiegenden Situation muss ein Verdacht hier freilich erlaubt sein: wäre es möglich, dass die Bahn kurz vor den anstehenden harten Tarifverhandlungen  noch versucht, Ballast abzuwerfen?

Allgemein Auswärts Menschen

Flucht und Vertreibung

Published by:

Wie ich einmal nach Kehl kam

Wer fliehen will, sollte wissen, womit und wohin. Ich stand am Bahnhof in Baden-Baden und wartete auf den Zug Richtung Süden, nach Freiburg. In einiger Entfernung sah ich eine Kollegin, die wie ich auf den Zug wartete, und in deren Gesellschaft ich keinesfalls die nächste Stunde verbringen wollte. Sie war ein hasenzähniges Wesen mit meist etwas zu langen Röcken. Sie gab sich leutselig,  immer bestrebt, sich mit jedwelchen Kollegen auf eine vermeintliche Kumanei einzulassen. Man durfte ihr aber nicht trauen. Mit ziemlicher Sicherheit würde sie mich über die Dauer der gesamten Fahrstrecke mit mir noch nicht bekannten Interna aus dem Betrieb versorgen. Mir drohte eine Stunde Langeweile. Die von ihr verbreiteten Gerüchte würden mich, je nachdem was sie mir erzählte, ratlos oder wütend machen.

Zum Glück rollte jetzt der Zug ein. Ich war fest entschlossen, mich durch möglichst schnelles Zusteigen ihrem Blick zu entziehen. Klassisches Fluchtverhalten

Nachdem die Wagentür sich hinter mir geschlossen hatte, entspannte ich mich. Fürs erste war ich gerettet. Der Zug war gut besetzt. Zunächst musste ich über zwei glatzköpfige Jugendliche steigen, die es sich, auf dem Boden sitzend, im Eingangsbereich bequem gemacht hatten. Immerhin fuhr der Zug gleich los, und bei den vielen Waggons, die zwischen meiner Kollegin und mir lagen, schien es eher unwahrscheinlich, dass sie sich zu mir durchkämpfen würde. Außerdem konnte sie mich nach Lage der Dinge ja nicht gesehen haben.

Nach längerem Suchen hatte ich einen freien Platz erspäht. Wieder stieg ich über Kahlköpfige junge Männer, was bei mir zu dem Zeitpunkt aber noch keinen Verdacht aufkommen ließ. Mode ist ja stets zeitgebunden. Jede Zeit hat ihren Stil, ihre Frisuren. Was man gestern trug, kann heute schon veraltet sein. Und umgekehrt.

Man sprach Französisch, was in einer Grenzregion ja auch nichts Besonderes ist. Allerdings sahen mich die Mitfahrenden an, als käme ich von einem anderen Stern. Lag es an meiner Frisur? Ich war zwischenzeitlich doch etwas unsicher geworden. Das änderte sich aber, als der Schaffner in einer mir zunächst nicht vertrauten Uniform das Abteil betrat. Er kontrollierte meine Karte und fragte mich beiläufig, ob ich etwa zum französischen Militär wolle? Zur Grand Armee? Der Zug, sagte er, sei ein Militärtransport. Ich sei in den falschen Zug gestiegen. Der hier sei auf dem Weg nach Paris, nicht nach Freiburg. Er würde mir raten – sagte er lächelnd – an der nächsten Bahnstation auszusteigen. Noch sei es ja nicht zu spät. Noch seien wir in Deutschland.

Vor vielen Jahren hatte mir ein Lokaljournalist, den ich fragte, wo er arbeite, zugeraunt: „Wer Vater und Mutter nicht ehrt muss nach Kehl“. Und in der Tat: wer sich wie ich in Kehl auf einer schmutzigen Bank vor dem Bahnhof sitzend wiederfindet, ahnt, was er damit gemeint hatte. Normalerweise rollt dort eine schier nicht endenwollende Autoschlange vorbei: die vielen Pendler, die, von der Arbeit in Deutschland kommend, nach Straßburg zurückkehren. Dreht man sich mich um, fällt der Blick auf einen herabgewirtschafteten Bau, gleich neben dem Bahnhof. Es ist das „Hotel Astoria“, dessen schmuddeliges Äußeres die wenigen dort verkehrenden Gäste offensichtlich nicht zu stören scheint.

Noch beim Betrachten des „Astoria“ fiel mir auf, dass sich zwischenzeitlich ein Zeitgenosse genähert hatte. Er trug einen Mundschutz der etwas aufwändigeren Sorte, also nichts Selbstgenähtes. Sein Modell hatte eine spitz zulaufende Schnauze mit einer vorne abgeflachten Spitze. Soweit ich sah war in diese Spitze eingesetzt ein kleiner Filter mit zwei Luftlöchern, was dem Träger das Aussehen eines freundlich drein-blickenden Ferkels mit Schnute gab. Der Mann sprach mich an, war aber durch den Rüssel seiner Anti-Corona-Maßnahme schlecht zu verstehen. Das wenige, das ich mitbekam, lief darauf hinaus, dass er einen Mangel an Respekt seitens der Deutschen beklagte. Schließlich sei er ein Zigeuner. Ich darf das sagen, denn er sagte von sich selbst, er sei ein ‚Zigeuner‘. Zudem sei er ein ‚Fighter‘, eine Selbsteinschätzung, die er durch einige kurze, ruckhafte Handbewegungen unterstrich. Jeden, der ihn tot mache, mache auch er tot, sagte er mir. Ich müsse vor ihm aber keine Angst haben.

Im vorliegenden Fall wäre es vielleicht angebracht gewesen, ihm das Büro der Fremdenlegion in Straßburg zu empfehlen. Ich war dort schon einmal vorbeigekommen. Nicht ganz weit von der Grenze gelegen, war es zumindest in meiner Erinnerung, in einem heruntergekommenen Backsteingebäude untergebracht, in der Rue d’Ostende, wo es mit seinem Stacheldraht und dem versifften Vorgärtchen für den ganzen Jammer dieses Berufsstandes stand. Während ich noch überlegte, wie ich ihm den Weg dorthin beschreiben sollte, gab er plötzlich Entwarnung: „Du und ich aber gut“, sagte er, was offensichtlich bedeuten sollte, dass wir beide letztlich doch herzensgute Menschen seien. Soweit ich das für mich beurteilen kann, stimmte ich ihm mit leichten Einschränkungen zu, worauf er sich plötzlich umdrehte und in der traurigen Tiefe der Kehler Bahnhofshalle verschwand. Das Letzte, das ich von ihm sah, waren die beiden blütenweißen Schnüre der Maske an seinem dunklen Hinterkopf.
Als ich dann endlich nach zweieinhalb Stunden Verspätung in Freiburg ankam, hielt ich ängstlich Ausschau nach meiner Kollegin. Von der war aber nichts mehr zu sehen.

  • Archive

  • Besucher

    Total Visitors
    1164004
    1404
    Visitors Today
    59
    Live visitors