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Allgemein Auswärts

Aigues Mortes: Hut ab! Teil 1

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Das neue Arles: das Kunstzentrum LUMA. Frank Gehry hat es entworfen. In der Nähe keine Tauben.

Es war im Juni diesen Jahres, als ich mich zusammen mit meiner Begleiterin auf der Suche nach Wärme ins südfranzösische Arles begab. Was uns dort aber erwartete, war eine schier unerträgliche Hitze. Zudem war mir, als verspürte ich coronabedingt ein leichtes Kratzen im Hals. In meinem Entschluss, Arles zu verlassen, sah ich mich weiter aber auch dadurch bestärkt, dass ich in Arles an den Straßenrändern mehrere verendete Tauben sah. So wie sie da lagen, hatte man  es offensichtlich nicht für notwendig befunden, die toten Tiere zu entfernen. Man hatte sie dort einfach liegen gelassen, und es sah aus, als wäre die städtische Müllabfuhr schon längere Zeit um sie herum weite Umwege gefahren. Angesichts dieses Elends beschlossen wir, uns zunächst einmal ins nicht allzu weit entfernte Aiges Mortes abzusetzen, wo wir hofften, in Gesellschaft einer gesunden Schar fröhlich vor sich hin gurrender Tauben,  das Leben auch weiterhin genießen zu können.

Aiges Mortes ist, tief in der Provence gelegen, bei all seiner mittelalterlich gemütlichen Anmutung, bei all den heimeligen Gässchen, Cafes und Türmchen letztlich doch eine Festungsstadt geblieben. Die Stadt sollte der erste Zugang Frankreichs zum offenen Meer werden. Gegründet wurde sie von Ludwig IX., auch „der Heilige“ genannt, womit seine Zeitgenossen sich auf seine ‚Milte’, seine Frömmigkeit und Barmherzigkeit bezogen. Er war von seinen Zeitgenossen und der Nachwelt gleichermaßen hoch geschätzt.

Damals glücklich von einer Malariaerkrankung genesen, beschloss er aus Dankbarkeit seinem Schöpfer gegenüber ein Gelübde abzulegen. So begab er sich auf  den ersten von zwei Kreuzzügen ins Hl. Land. Rückblickend waren beide wenig erfolgreich. Doch hatte das Kreuz, das er nahm, ihm offensichtlich den Blick aufs kriegsführerisch Notwendige verstellt.

Nachdem er kurz vor seiner Abreise für seine Kinder noch beschauliche Traktate verfasst hatte, landete er zunächst in Nordafrika. Das war im Juli 1248 und zudem noch in der schlimmsten Mittagshitze. Das Unternehmen stand denn auch nicht unter einem glücklichen Stern. Sein Scheitern war absehbar. Glaubt man seinem getreuen, ihn begleitenden Chronisten Jean de Joinville, durfte man von anfänglich etwa ca 15 000 Streiter ausgehen. Die aber wurden alsbald von Seuchen dezimiert, von Gegnern hingeschlachtet oder gerieten in Gefangenschaft. Das erging dem König und seinem Kompagnon nicht viel anders. Doch wurde der König gegen ein enormes Lösegeld freigelassen, und auch sein Chronist kam, nach vorübergehender Sklaverei, frei und erreichte endlich Frankreich. Das sollte ihm eine Lehre sein.

Denn kaum zurück, plante Ludwig der Heilige schon wieder den nächsten Kreuzzug. Auch dieser sollte im neuerbauten Aiges Mortes seinen Anfang nehmen. Und wieder erging eine freundliche Einladung an seinen Seneschal Jean de Joinville, der aber diesmal freundlich abwinkte. Er hatte – wie man so sagt – den Braten gerochen und sich unter fadenscheinigsten Vorwänden (Heirat und absehbare Familiengründung) abgeseilt, worauf er später als kluger Mann starb. Wie klug er war, mag man daraus ersehen, dass Jean de Joinville im nahezu biblischen Alter von 90 Jahren das Zeitliche segnete. Nicht ganz so gut erging es seinem König, der nicht lange nach seiner Abreise zu seinem 2. Kreuzzug von Aiges Mortes aus in Nordafrika landete und dort, kurz nach der Einnahme von Karthago, krankheitsbedingt verschied.

War die Macht des französischen Königs zu diesem Zeitpunkt auch noch ungeteilt, der König selbst war es nicht.

Nach gut mittelalterlicher Herrscher-Sitte wurde nach dem Tod sein Fleisch in einer Wein-Essig Lösung von den Knochen gelöst. Die Gebeine wurden zunächst in der Abtei Saint-Denise in Paris bestattet. Doch wanderte später eine Rippe in die Kathedrale von Notre Dame, mehrere Finger bekam König Haakon V. von Norwegen. Andere Knöchelchen des Königs finden wir damals in der Kirche von Vadstena in Schweden usw. usf.

Zeit also, des französischen Königs zu denken.

Aus diesem Grund stand ich nun auf der Burgmauer von Aiges Mortes und ahnte, von den Zinnen weit in die Ferne blickend, das Meer und das baldiges Scheitern des Unternehmens. Anders als in Arles bestrahlte mich hier auf der Mauer eine nicht ganz so sengende Sonne. Ihre Hitze wurde von einer moderat milden Sorte des Mistral gemindert. Nach der Flucht vor ca fünf toten Tauben schien mir das Leben hier deutlich angenehmer als im heißen Arles, das ja, wie man weiß, auch schon van Gogh nicht gut bekommen war. Und doch sollte das Leben hier, auch in vermeintlich kommoder Umgebung, für mich noch eine Überraschung bereithalten.

Denn, auf der Mauer stehend, frischte plötzlich der Wind wieder auf. Eine wilde Böe umtoste mein Haupt und blies mir den Hut vom Kopf. Er flog in weitem Bogen tief unter mir in den Burggraben. Dieser Burggraben war, wahrscheinlich kurz nach dem Einschiffen Ludwigs dem Heiligen ins Hl. Land im Jahre 1248 zu einer Art Parkplatz umfunktioniert worden, weshalb es jetzt passierte, dass nach dem Abflug meines Hutes, eine jener neuerdings marodierenden Rentnerinnen, fremdes Gut nicht achtend, mit wabbeligem Ärmchen und Spindelfingern aus einem giftgrünen Peugeot nach meinem herabgefallenen Hut griff und sich nicht entblödete, sich meines Besitzes zu bemächtigen. Auf der Wehrmauer stehend, sah ich in Panik meinem Hut hinterher, der so schnell flog, dass ich gar nicht mehr dazu kam, den Flug meiner Habe von der Mauer herab im Detail zu verfolgen. So blieb mir nichts anderes übrig, als hilflos seine Landung tief im Burggraben durch das naheliegende Loch eines mittelalterlichen Abtritts zu verfolgen. So wie der mittelalterliche Ritter wahrscheinlich einen letztes Blick auf seine schwindenden Exkremente warf, so erblickte auch ich durch den steinernen Abtritt den freien Fall meines guten Stücks.

Angesichts des möglichen Verlusts muss mein Rufen dementsprechend verzweifelt geklungen haben…

Mehr demnächst. In Teil 2

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SKANDAL!

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In der Pfalz wird Männern die Nahrung verweigert

           Der „Fleeschknepp“

Literarisch Bewanderte werden die Geschichte vielleicht kennen. Sie stammt von Franz Kafka und trägt den Titel: ‚Der Hungerkünstler‘. Darin wird das Schicksal eines Mannes beschrieben, der, in einem Käfig sitzend, sich in aller Öffentlichkeit langsam zu Tode hungert. Kurz vor seinem Tod äußert er sich schließlich zum Grund seines Hungerns: nichts habe ihm geschmeckt.

Das ist jetzt vielleicht das Stichwort, um auf einen ganz anders gearteten Fall sprechen zu kommen, auf einen Mann, der in einer Weinstube ganz in der Nähe des Wurstmarktes von Bad Dürkheim, ebenfalls hungerte. Und dies, obwohl dort in überreichem Maß das ortsansässig Übliche gereicht wurde. Saumagen, Fleeschknepp, Leberknödel. Die Pfälzer hl. Dreifaltigkeit.  

Sein Hungern hatte freilich, ganz anders als bei Kafka, nichts damit zu tun, dass es ihm nicht geschmeckt hätte. Ganz im Gegenteil. Sein Hunger schien eher begründet in partnerschaftlichen Vorgaben.

Wie sich herausstellen sollte, hungert er nicht freiwillig.

Zunächst also er saß er mit seiner Frau an einem großen Tisch in besagter Weinstube. Beide waren sie von deutlich unterschiedlicher Statur. Er, klein und mager, schien von ihrer verschlingenden Dominanz gezeichnet. Daneben sie, ein Buddha in Weibsgestalt. Beim Herein-kommen schon war einem der fast quadratisch, dunkle Rock aufgefallen, der ihren Unterleib fasste, bereits in Kniehöhe aber abschloss. Weiter trug sie einen Pullover, dessen türkisfarbene Kunstfasern von Silberfäden durchwirkt, eine enorme Brust fassten, die sie vor sich auf dem Tisch platziert hatte und wo jetzt, platzbedingt, die gebrachte Speisekarte erst ab Tischmitte einsehbar war.

Die Bedienung kam, um die Bestellung aufzunehmen. Ein großes Wasser, „Classic“, ein Viertel Riesling mit zwei Gläsern und ein Pfälzer Teller. Grumbeere gehen extra. Der Notizblock raschelt. Soweit erst mal notiert. Jetzt wandte sich die Bedienung an ihn. Ein unmerklich fragendes Kopfheben in seine Richtung. Und, so die fragende Geste, was darf es für ihn sein? Möchte er auch etwas?

Was in einem genussvollen Auswahlprozess nahe des Bad Dürkheimer Wurstmarktes hätte enden können, erlebte doch recht plötzlich einen finalen Schlussstrich. Bevor der offensichtlich ausgehungerte Gatte auch nur einen Mucks hatte von sich geben konnte, hatte sie das Ganze schon geklärt: „D’Babba isst heut‘ nix. Er muss Gebiss schone“.


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Die Sprechstunde

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Ich kaufe gern bei Breuninger. An diesem Kaufhaus schätze ich den beträchtlichen Fundus an tragbarer Kleidung, aber  auch sein freundlich beratendes Personal.

Auf dessen Rat war ich angewiesen, denn ich hatte einmal mehr Probleme mit meiner ‚Breuninger Card´. Der Trick ist der: hat man eine solche, gibt’s zusätzlichen Rabatt. Ich muss aber sagen, dass der Einsatz dieser Karte ziemliche Abrechnungskomplikationen nach sich ziehen, worauf immer mal wieder Mahngebühren anfallen, die aber durch die eingeräumten Rabatte teilweise wieder wettgemacht werden.

Einmal mehr also stand ich also wegen so einer Beratung am Serviceschalter, als eine nette junge Dame sich erbot, mir bei der Lösung meines Problems behilflich zu sein. Zunächst also sah ich mich wiederholt in die Untiefen der Karte eingewiesen. Vergeblich. Einer möglichen Lösung näher brächte uns beiden, der Beraterin und mir, aber schon einmal das Überlassen meiner Iban Nummer. Als die Dame mir nach Kopie der Nummer meine Scheckkarte zurückgab, fiel ihr mein Doktortitel auf. Sie stutzte, sah mich an und fragte, ob ich ihr vielleicht bei der Lösung eines eigenen Problems behilflich sein könne? Es sei nämlich so, dass ihr Hausarzt sich Ende des Monats leider in den Ruhestand verabschieden würde und nun suche sie für sich einen neuen Arzt. Ob ich vielleicht…?

Nicht auszuschließen, dass einige Punkte meiner Erscheinung einem fiktiven Ärztebild ziemlich nahekommen: leidlich einnehmendes Äußeres, eher weniger Haare, dabei aber eine vertrauenserweckend dunkle Stimme. Kurz: ein Mediziner.

Diesem Bild entsprechend wäre es für mich im folgenden ein leichtes gewesen, der hilfesuchenden Dame – wie es die Ärzte üblicherweise tun – nach langen gründlichen Untersuchungen maßvolles Essen und Bewegung an der frischen Luft zu verordnen. Doch ließ mich allein schon der Gedanke in die Falle einer Amtsanmaßung zu tappen, vor dem entscheidenden Schritt zurückschrecken. So gab ich meine wirkliche Identität preis. Ich sei Musikwissenschaftler. Bräuchte sie Hilfe, könne ich ihr z.B. aber sagen, wenn sie falsch singt. 

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The häppy ländmän

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Als unser Ministerpräsident einmal rauskam

 

Wie vieles, das aus der Staatskanzlei in Stgt kommt, so betrachtet der BADENBLOGGER auch die jüngsten Äußerung unseres Ministerpräsidenten mit der ihr gebührenden Aufmerksamkeit. Schon vor geraumer Zeit hatte sich Winfried Kretschmann um das Land verdient gemacht, indem er dem Werbespruch „The Länd“ seinen höchstpersönlich Segen gab. Damit hatte er der Vermarktung des Landes einen ziemlichen Schub versetzt. Jetzt ist er, am Ende der Sommerpause einmal mehr mit einem Vorschlag ins Rampenlicht getreten. Der Anlass war ein Besuch des Zollernalbkreises, wo er sich in der „Schwäbische“ in Balingen zum geplanten Zentralklinikum, zur B 27 und zur B463 geäußert hatte. Zudem plagten die Bewohner des kargen Landstrichs die Aussicht auf ein geplantes Testgelände für Fallschirmjäger, wo den Äckern durch herabstürzende Soldaten wohl große Gefahr droht.
Angesichts derartiger Probleme in die Enge getrieben, besann sich der Ministerpräsident auf die Schönheit der dortigen Landschaft, die in ihrer Einzigartigkeit geradezu unglaublich durch das Bauwerk der Hohenzollernburg verkörpert wird.

Winfried Kretschmann weiß wovon er spricht, hat er doch mit seiner Frau all dies abgewandert, „und zwar in jede Richtung“. „Albstadt hat quasi die Premium Wanderwege erfunden“, wie er anlässlich eines Redaktionsbesuchs in der Redaktion der „schwäbische“ Zeitung verlauten lässt.

Einmal in der Wanderspur setzt er gleich noch nach. Würde er noch einmal antreten, wäre es sein ganz besonderes Ziel, „den Hohenzollern so bekannt zu machen wie Neuschwanstein“. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Schönheit des ‚Nebelmeer´ im Tal. „Wieso“, fragt er sich anlassbezogen, „schaffen es die Bayern und wir kriegen das nicht hin?“ Tja, wieso?

Nun scheint es das Vorrecht wirklich großer Männer, zeit ihres Lebens Visionen zu entwickeln, deren Umsetzung oft genug aber den Nachfolgern überlassen bleiben muss. Ob Neuschwanstein sich ebenfalls aus dem ‚Nebelmeer‘ reckt, wie an besonders schönen Tagen die Burg der Hohenzollern, bleibt zu prüfen. Vielleicht aber war der Vorschlag nur einen Nebelkerze, die er zündete, bevor er sich leise pfeifend vom schwäbischen Acker machte: „This länd is your länd, and this land is my länd“.

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Unser Mann aus Palermo

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Erinnere ich mich richtig, gab es bis Mitte der 80er Jahre in Freiburg kaum eine reine Studentenkneipe. Nach des Tages Mühe fielen damals die Studierenden in bürgerlichen Wirtschaften ein, die, nachdem ältere Damen am Mittagstisch ihre Königinpasteten verzehrt  hatten, am Abend von der Studentenschaft in Beschlag genommen wurden.

Da gab es z.B. die Gaststätte ‚Harmonie‘ oder den ‚Großen Meierhof‘, beide in der Grünwälderstrasse. Wir tranken oft im ‚Schwarzwälder Hof‘, der neben dem guten Bier zudem noch über eine Attraktion verfügte. Das war ein Ober, dessen eigentlicher Namen wir allerdings nicht kannten. Tat aber auch nichts zur Sache. Beim Abräumen der Gläser und der geleerten Teller fragte er stets: „Schmeck“?

Man musste nicht italienisch können, um zu ahnen, was er damit meinte. Er wollte fragen, ob es uns geschmeckt hatte. Deshalb nannten wir ihn einfach den Schmeck. Zudem schien es, als verberge sich hinter der kleinen Gestalt mit ihrem Oberlippenbärtchen und den rötlich gefärbten Haaren ein Geheimnis. War der Schmeck mal wieder ein halbes Jahr weg, raunten wir uns Verdächtigungen zu, wie etwa die: er sei Angehöriger der Mafia oder gar ein Pate. Vielleicht hatte er aber auch eine Frau umgebracht, säße nun wegen Mordes im Gefängnis und dergleichen mehr. War der Verdacht genüsslich ausgebreitet, ließen wir uns von einer Bedienung das Bier bringen und tranken noch einen, bis eines Tages wundersamerweise wieder ein kleiner Italiener mit Oberlippenbärten erschien und fragte: Schmeck?

Ich hätte das schon lange vergessen, wäre mir nicht kürzlich ein Beispiel gelebter Integration ins Haus geflattert. Ein Freund hatte mir eine Todesanzeige geschickt, in der die Eigentümerfamilie des Restaurants den Tod ihres im nahezu biblischen Alter von siebenundneuzig Jahren von ihnen gegangen Angestellten Michele Notarbartolo bekannt gab. Für uns hätte der Name nichts zu bedeuten gehabt. Erst als ich das Bild auf der Todesanzeige betrachtete, erkannte ich: es war ‚unser’ Schmeck!

Soweit, so traurig. Was aber unsere Geschichte von vielleicht vielen ähnlichen Geschichten unterscheidet, ist ein kleiner Satz in der Todesanzeige. Da teilt die trauernde Wirtsfamilie mit, dass ein Michele Notarbartolo, der in den 60er Jahren wahrscheinlich als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, mittlerweile fester Teil der Familie geworden war.

„Nun“, steht da in der Anzeige geschrieben, „wird er in unserem Familiengrab seine Ruhe finden“.

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