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Hauptsache lustig.

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Wer sich integrieren will, muss nicht unbedingt lustige Lieder singen können. Aber gut wär’s schon.

Ein Dönerverkäufer 1855

Soll keiner sagen, dass unsere Türken keine lustigen Leute seien. Gut – vielleicht nicht so lustig wie etwa die Tiroler, die es wegen ihrer durchgängig guten Stimmung sogar zu einem eigenen Lied gebracht haben. Das geht so: „Die Tiroler sind lustig die Tiroler sind froh“. Wer das singt, spürt schon, was es mit den Menschen dort so auf sich hat. Irgendwie nur schade, dass so lustige Leute wie die Tiroler keine richtigen Deutsche sind. Gerade an Tagen wie diesen könnte wir solche Deutsche nämlich gut gebrauchen, gerade jetzt, wo viele unserer Landsleute das Leben eher traurig finden. Denn wer jemals in Tirol Skiurlaub gemacht hat, der weiß, wie es sich anfühlt, von einem braungebrannten tiroler Skilehrer beim Apres Ski so richtig bespaßt zu werden. Danach weiß er, wie es bei einem zünftigen Almdudler zugeht: so richtig lustig halt.

Jetzt aber müssen wir nochmal auf unseren Anfang zurück kommen, wo wir von den türkischen Mitbürgern gesprochen hatten. Solch eine tiefe Fröhlichkeit ist nämlich von unseren türkischstämmigen Mitbürgern nicht zu vermelden. Wenn wir sie in ihrem Imbiss stehen sehen, fällt uns vieles ein, nicht aber, wie heiter es ist, sein Leben mit einem Dönerspieß im Rücken zu verbringen. Aber vielleicht wird das ja noch.

Ganz anders verhält es sich mit den Zuwanderern der ersten Stunde, den Italienern, die schon kurz nach dem Krieg als ‚Gastarbeiter‘ zu uns gekommen waren. Freilich muss man sagen, dass es für sie zu Anfang auch nicht so furchtbar lustig war. Wenn man sich damalige Dokumentationen anschaut, ahnt man, wie übel es ihnen anfänglich erging. Angereist in Zugwaggons der Holzklasse, lebten sie zunächst noch in Baracken. Gewaschen hatte man sich im Freien. Sieht man heute die damaligen Filmsequenzen, muss es ihren, weit ab von Bella Italia, anfänglich ziemlich schwer gefallen sein, an die Segnungen des deutschen Wirtschaftswunders zu glauben.

Das wurde erst besser, als die ersten von ihnen sich einen Opel Kadett leisten konnten, den sie wie alle Deutsche jeden Samstag wuschen. Da hatten sie aber schon nach einer Lokalität Ausschau gehalten, in die sie recht zügig einen Pizzaofen einbauten. War der Ofen endlich da, besorgten sie sich aus Italien Bilder vom Vesuv und vom Ätna. Weiter bezogen sie aus der alten Heimat Gipsfiguren von halbnackten griechischen Göttinnen und bastverkleidete Chiantiflaschen, die, leer getrunken, als Kerzenhalter schnell den Weg auch in unsere Kellerbars fanden. Die von uns den Krieg überlebt hatten, fanden das wunderschön.

Nun muss man sich so einen Pizzabetreiber im Nachkriegsdeutschland nicht als geborenen Ober vorstellen, aber lustig war das schon, wenn unser Mann aus Palermo schon früh durch’s Lokal wuselt, die Sonne Italiens beschwört und gute Laune verbreitet. Später ließ sich der Italiener von uns auch noch vertraulich duzen („Was machst du mir heute“?), worauf  dem deutschen Stammgast zwar nicht das Messer im Sack, so doch das Herz aufging.

Dass sich so ein italienischer Pizzabetreiber alsbald vollständig integriert fühlte, verdankte er allerdings noch einem anderen Sachverhalt, dessen integratives Wirken man nicht  unterschätzen sollte. Es war die italienische Musik, die uns Deutschen das süße Leben unter der südlichen Sonne vorgaukelt. Titel wie „Oh mia bella Napoli“, „That’s Amore“ und „Oh sole mio“, mögen hier stellvertretend stehen, aber auch Interpreten wie der ewig lachende und zähnebleckende Adriano Celentano („Azurro“), wie Ricci & Poveri („Felicita“) und Rocco Granata („Marina“). Sie alle formten ein Bild von Italien, das bald auch kräftig in den deutschen Nachkriegsschlager überschwappte. Bis heute prägte es das positive Bild von unserem südlichen ‚Nachbarn‘. Dabei geholfen hat auch, dass die Sänger und Sängerinnen Italiens ihre Hits bald auch auf Deutsch sangen. Kam dazu dann auch noch so ein kleines unschuldiges Liedchen wie „Zwei kleine Italiener“, dann war man dem Gastarbeiter von Herzen gut. Irgendwie hieß man ihn willkommen und war froh, wenn er seinen Ofen für uns anwarf. Daran etwas ändern konnte nicht einmal die später gar nicht mehr so lustige Cornelia Froboess, die sich bis heute für den ‚Kleinen Italiener‘ schämt. Ohne es zu wissen, hat sie mit ihren kleinen albernen Liedchen dazu beigetragen, dass die Integration der italienischen Mitbürger gelang.

Ganz anders als z.B. bei unserem türkisch-berliner Taxifahrer, der – steigt ein Fahrgast zu – gut daran tut, die Lautstärke seines Autoradios runterzufahren. Mag ja sein, dass das, was da aus dem Autoradio tönt, von vielem erzählt, nicht aber davon, wie schön es doch sein kann, wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt.







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Alles so schön bunt hier!

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Der Elsässer treibt’s manchmal ziemlich wild. Warum nur?

Wer in der Ortenau wohnt, hat vielleicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, den Sprung über den Rhein zu wagen. Dort, im Elsass, soll man ja echt gut wohnen. Hat ja auch eine Menge Vorteile. Zumindest früher – so hieß es – stellte man sich steuerlich günstiger. Auch heute liegen die Vorteile noch auf der Hand. Z.B. beim Käse. Verglichen mit den Preisen bei uns ist er deutlich billiger. Und dann der Fisch und der Wein. Davon brauchen wir erst gar nicht zu reden. Und auch noch die Natur! Platz, soweit das Auge reicht.

Dies alles führte dazu, dass sich im Elsass regelrecht deutsche Kolonien gebildet haben, Wagenburgen des Deutschtums (wir haben darüber berichtet. (http://www.badenblogger.de/dornen-im-paradies-teil-1/2)

20150621_171000Wer aber keinen Platz mehr gefunden hat in der dortigen Deutsch – Kolonie ‚Chalets du Lac’, der nimmt vielleicht mit einem jener kleinen Häuschen vorlieb, deren letzte Bewohnerin erst kürzlich verstorben, jetzt einen neuen Besitzer suchen. Fachwerk, niedrige Decken, Gärtchen hinterm Haus. Preiswert aber renovierungsbedürftig. Und das mitten im Ort. Toll. Und ruhig. Sehr ruhig. In den kleinen Dörfern nahe der Rheinebene herrscht nach 18 Uhr Stille. Jenseits der touristischen Zentren – Riquewihr, Obernai, Wissembourg – geht das Leben seinen überaus gemächlichen Gang, abendliche Ruhe eingeschlossen. Niemand lärmt. Nicht einmal eine Kneipe gibt es am Ort. Die Rollläden werden nach 19 Uhr runtergelassen. Und gibt es im Dorf überhaupt noch ein Restaurant, dann sollten es schon ein paar Menues sein, wg deren der Wirt ausnahmsweise etwas länger geöffnet hat.

20150621_1704408931476292081146-320003404Doch warten die Dörfer noch mit etwas ganz anderem aus, das der Neubürger so nicht kennt. Das wird ihm ganz besonders auffallen, wenn die herbstlichen Rheinnebel sich langsam über die Fluren legen. Die Schatten kommen, das Grau wird zur allesbestimmenden Farbe. Und doch findet der Elsässer immer wieder heim.

Das liegt an der Farbe, mit der er sein Anwesen gestrichen, nein besser, kenntlich gemacht hat. Ja, man darf sagen: er pflegt ein völlig unverkrampftes Verhältnis zum Häuseranstrich. Keine Farbe, egal, wie grell oder blendend, die sich nicht an den Außenwänden der Häuser wiederfindet. Überreichlich aufgetragen soll wenigsten der Außenanstrich etwas Freude in die an sich eher tristen Dörfer der elsässischen Rheinebene zaubern.  

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Elsässer kurz vor der Rückkehr in sein Haus

Grellrot, Giftgrün, Aquamarinblau? Bienengleich erkennt der Grenzbewohner schon beim Anflug: da bin ich daheim. Darin gleicht der Elsässer der Biene.

Wie sie, verlässt sich auch er auf grelle Signalfarben, will er nach getaner Arbeit seine Heimstatt wiederfinden.

Vielleicht ist es diese einzigartige Mischung aus deutschem und französischem Volkscharakter, das den Elsässer auszeichnet. Zum einen ähnelt er in seinem bienenhaften Fleiß dem Badener. Dies wäre vielleicht ein Grund, seine Heimstatt wie ein Bienenstock aussehen zu lassen.

Andererseits aber könnte sich in dieser wilden Farbgebung ein Stück weit auch die anarchische Haltung des Franzosen ausdrücken, der sich in 20150621_162957bestimmten Bereichen von keiner staatlichen Stelle vorschreiben lassen möchte, wie er sein Haus anzustreichen hat.

Und dabei schreckt er vor nichts zurück. Nicht einmal davor, seine vier Wände in Ochsenblut zu tauchen.

 

 

 

 

 

 

Auswärts Essen & Trinken Kultur Menschen

In einem andern Land

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Die lustigen Zimmerleute von Tübingen

220px-ZimmererSiegelWenn unsereiner die kleine Stadt verlässt, die ja so schön ist, dass man ihren Namen zwei Mal nennen muss, dann sollte es sich bitte schön doch lohnen. Tübingen z.B. wäre schon mal so eine Reise wert. Tübingen! Stadt der Philosophen, der verblichenen Denker und eines grünen Oberbürgermeisters mit dem Namen Boris Palmer, der aber noch lebt. Ernst Bloch aber ist tot, Hans Mayer weilt schon lange nicht mehr unter uns, und Walter Jens ist nach langer Krankheit im letzten Jahr verstorben. Wollte man diese Geistesgrößen früher treffen, musste man nur in der Osiander’schen Buchhandlung in der Metzgergasse vorbeischauen. Da konnte man an manchen Tagen dem Weltgeist beim Teetrinken zuschauen.

Aber das ist ja nun schon ein Weilchen her. Nix mehr mit Weltgeist beim Tee. Dann also das Alternativprogramm. Ich beschließe, ein mir empfohlenes Restaurant in der Ammergasse aufzusuchen. Dort gibt’s zwar allenfalls Himbeergeist, dafür aber Maultaschen und Schwabenbräu, serviert von einer Bedienung, die wieder einmal bestätigt, dass Freundlichkeit in schwäbischen Wirtschaften allenfalls ein formlos erklärter Gewaltverzicht ist. Diese sicherlich nett gemeinten Grobheiten wurden aber mehr als wettgemacht durch den Unterhaltungswert zweier Zimmerleute, die sich am Nachbartisch über die Figur des Widerstandskämpfers Graf Stauffenberg in die Haare gerieten. Der eine sagte, für ihn sei Stauffenberg ein Held. Der andere bezeichnete ihn als Arschloch. Damit war der Begrifflichkeit genüge getan und man konnte ans Streiten gehen.

Ich möchte hier nicht die Auseinandersetzung in allen Verästelungen wiedergeben. Nur soviel: nach heftigsten Wortwechseln mit angedrohten Schlägen kam es zu guter Letzt dann doch noch zu einer Versöhnung. Ob darüber die Figur Graf Stauffenbergs auf der Strecke geblieben war, hatte ich irgendwie nicht ganz mitbekommen, steht aber zu vermuten. Mittlerweile hatte sich zudem noch die Bedienung vor mir aufgebaut und bellte: „Zahle“, wobei ich nicht wusste, ob dies als Frage oder Befehl zu verstehen war.

Was mir aber noch deutlich in Erinnerung geblieben ist, war der Satz, den der eine Zimmermann dem anderen fröhlich versöhnt zurief. „Woisch was: jetzt trinksch ä klöis Bier auf mei Rechnung“.Dieser an sich schlichte Satz bedarf aus gegebenem Anlass – noch sind wir in der Denkerstadt Tübingen! – der hermeneutischen Deutung. „Woisch was“ (das weist auf den Hammer hin, der gleich kommt). „Jetzt trinksch…“ (ich trinke nicht mit) „ä klöis Bier“ (kein großes, sondern ein kleines Bier) „auf mei Rechnung“. Der Bestellende ist also zahlungswillig und zahlungsfähig.

Bei uns im Badischen hätte es geheißen: „Jetzt trinken wir ein Bier“. Dann wäre klar gewesen: zunächst einmal ist das ein ganz normaler Vorgang. Weiter: wir trinken zwei Gläser Bier und zwar große. Im übrigen trinke ich mit, und das ganze geht natürlich auf meine Rechnung.

Soweit, so badisch.

Irgendwie muss man sie einfach lieben, unsere Schwaben…!

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Aigues Mortes: Hut ab! Teil 1

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Das neue Arles: das Kunstzentrum LUMA. Frank Gehry hat es entworfen. In der Nähe keine Tauben.

Es war im Juni diesen Jahres, als ich mich zusammen mit meiner Begleiterin auf der Suche nach Wärme ins südfranzösische Arles begab. Was uns dort aber erwartete, war eine schier unerträgliche Hitze. Zudem war mir, als verspürte ich coronabedingt ein leichtes Kratzen im Hals. In meinem Entschluss, Arles zu verlassen, sah ich mich weiter aber auch dadurch bestärkt, dass ich in Arles an den Straßenrändern mehrere verendete Tauben sah. So wie sie da lagen, hatte man  es offensichtlich nicht für notwendig befunden, die toten Tiere zu entfernen. Man hatte sie dort einfach liegen gelassen, und es sah aus, als wäre die städtische Müllabfuhr schon längere Zeit um sie herum weite Umwege gefahren. Angesichts dieses Elends beschlossen wir, uns zunächst einmal ins nicht allzu weit entfernte Aiges Mortes abzusetzen, wo wir hofften, in Gesellschaft einer gesunden Schar fröhlich vor sich hin gurrender Tauben,  das Leben auch weiterhin genießen zu können.

Aiges Mortes ist, tief in der Provence gelegen, bei all seiner mittelalterlich gemütlichen Anmutung, bei all den heimeligen Gässchen, Cafes und Türmchen letztlich doch eine Festungsstadt geblieben. Die Stadt sollte der erste Zugang Frankreichs zum offenen Meer werden. Gegründet wurde sie von Ludwig IX., auch „der Heilige“ genannt, womit seine Zeitgenossen sich auf seine ‚Milte’, seine Frömmigkeit und Barmherzigkeit bezogen. Er war von seinen Zeitgenossen und der Nachwelt gleichermaßen hoch geschätzt.

Damals glücklich von einer Malariaerkrankung genesen, beschloss er aus Dankbarkeit seinem Schöpfer gegenüber ein Gelübde abzulegen. So begab er sich auf  den ersten von zwei Kreuzzügen ins Hl. Land. Rückblickend waren beide wenig erfolgreich. Doch hatte das Kreuz, das er nahm, ihm offensichtlich den Blick aufs kriegsführerisch Notwendige verstellt.

Nachdem er kurz vor seiner Abreise für seine Kinder noch beschauliche Traktate verfasst hatte, landete er zunächst in Nordafrika. Das war im Juli 1248 und zudem noch in der schlimmsten Mittagshitze. Das Unternehmen stand denn auch nicht unter einem glücklichen Stern. Sein Scheitern war absehbar. Glaubt man seinem getreuen, ihn begleitenden Chronisten Jean de Joinville, durfte man von anfänglich etwa ca 15 000 Streiter ausgehen. Die aber wurden alsbald von Seuchen dezimiert, von Gegnern hingeschlachtet oder gerieten in Gefangenschaft. Das erging dem König und seinem Kompagnon nicht viel anders. Doch wurde der König gegen ein enormes Lösegeld freigelassen, und auch sein Chronist kam, nach vorübergehender Sklaverei, frei und erreichte endlich Frankreich. Das sollte ihm eine Lehre sein.

Denn kaum zurück, plante Ludwig der Heilige schon wieder den nächsten Kreuzzug. Auch dieser sollte im neuerbauten Aiges Mortes seinen Anfang nehmen. Und wieder erging eine freundliche Einladung an seinen Seneschal Jean de Joinville, der aber diesmal freundlich abwinkte. Er hatte – wie man so sagt – den Braten gerochen und sich unter fadenscheinigsten Vorwänden (Heirat und absehbare Familiengründung) abgeseilt, worauf er später als kluger Mann starb. Wie klug er war, mag man daraus ersehen, dass Jean de Joinville im nahezu biblischen Alter von 90 Jahren das Zeitliche segnete. Nicht ganz so gut erging es seinem König, der nicht lange nach seiner Abreise zu seinem 2. Kreuzzug von Aiges Mortes aus in Nordafrika landete und dort, kurz nach der Einnahme von Karthago, krankheitsbedingt verschied.

War die Macht des französischen Königs zu diesem Zeitpunkt auch noch ungeteilt, der König selbst war es nicht.

Nach gut mittelalterlicher Herrscher-Sitte wurde nach dem Tod sein Fleisch in einer Wein-Essig Lösung von den Knochen gelöst. Die Gebeine wurden zunächst in der Abtei Saint-Denise in Paris bestattet. Doch wanderte später eine Rippe in die Kathedrale von Notre Dame, mehrere Finger bekam König Haakon V. von Norwegen. Andere Knöchelchen des Königs finden wir damals in der Kirche von Vadstena in Schweden usw. usf.

Zeit also, des französischen Königs zu denken.

Aus diesem Grund stand ich nun auf der Burgmauer von Aiges Mortes und ahnte, von den Zinnen weit in die Ferne blickend, das Meer und das baldiges Scheitern des Unternehmens. Anders als in Arles bestrahlte mich hier auf der Mauer eine nicht ganz so sengende Sonne. Ihre Hitze wurde von einer moderat milden Sorte des Mistral gemindert. Nach der Flucht vor ca fünf toten Tauben schien mir das Leben hier deutlich angenehmer als im heißen Arles, das ja, wie man weiß, auch schon van Gogh nicht gut bekommen war. Und doch sollte das Leben hier, auch in vermeintlich kommoder Umgebung, für mich noch eine Überraschung bereithalten.

Denn, auf der Mauer stehend, frischte plötzlich der Wind wieder auf. Eine wilde Böe umtoste mein Haupt und blies mir den Hut vom Kopf. Er flog in weitem Bogen tief unter mir in den Burggraben. Dieser Burggraben war, wahrscheinlich kurz nach dem Einschiffen Ludwigs dem Heiligen ins Hl. Land im Jahre 1248 zu einer Art Parkplatz umfunktioniert worden, weshalb es jetzt passierte, dass nach dem Abflug meines Hutes, eine jener neuerdings marodierenden Rentnerinnen, fremdes Gut nicht achtend, mit wabbeligem Ärmchen und Spindelfingern aus einem giftgrünen Peugeot nach meinem herabgefallenen Hut griff und sich nicht entblödete, sich meines Besitzes zu bemächtigen. Auf der Wehrmauer stehend, sah ich in Panik meinem Hut hinterher, der so schnell flog, dass ich gar nicht mehr dazu kam, den Flug meiner Habe von der Mauer herab im Detail zu verfolgen. So blieb mir nichts anderes übrig, als hilflos seine Landung tief im Burggraben durch das naheliegende Loch eines mittelalterlichen Abtritts zu verfolgen. So wie der mittelalterliche Ritter wahrscheinlich einen letztes Blick auf seine schwindenden Exkremente warf, so erblickte auch ich durch den steinernen Abtritt den freien Fall meines guten Stücks.

Angesichts des möglichen Verlusts muss mein Rufen dementsprechend verzweifelt geklungen haben…

Mehr demnächst. In Teil 2

Allgemein Auswärts

Süsses Gift

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Die Donau ist der zweitlängste Fluss Europas. Sie entspringt einem kleinen Rinnsal im Schwäbischen, in Blaubeuren, um dann, nach 2857Km, am Ende ihrer Reise, als mächtiger Strom ins schwarze Meer zu münden.

Auf dem Weg in ihrem Millionen Jahren alten Bett passiert der Strom in Österreich eine Passage, die heute die Wachau genannt wird. Ein Flecken, getränkt von Geschichte. Die Passage beginnt mit dem Kloster Melk, das den Anfang einer der romantischsten Teil der ganzen langen Reise macht. Kurz nachdem der Fluss Melk passiert hat, führt sein Weg er zunächst an einem Ort namens Willendorf vorbei, wo 1908 eine 11 cm große Figur, die sogenannte ‚Venus von Willendorf‘ gefunden wurde. Dort lebte sie vor ca 30 000 Jahren und so darf man sie getrost als die Urmutter aller Österreicher bezeichnen.

Weiter dann in Richtung Osten passiert die Donau das romantische Städtchen Dürnstein, wo 1192 Richard Löwenherz auf seiner Heimkehr vom Kreuzzug entgegen aller ritterlicher Gepflogenheiten von Hadmar II. von Kuenring festgesetzt wurde. Es geht die Sage, dass ihn dort Getreuer namens Blondel suchte, ein mittelalterlicher Wandersänger, der mit seiner Leier wohl laut genug musiziert hatte, so dass ihn sein Herr aus dem unwirtlichen Verlies hätte hören können. Allein, er fand ihn nicht. Doch hat diese durch und durch musische Gegend auch noch mit Glück eines musikgetränkten Drehortes aufzuwarten, denn dort wurde 1961 der Film ‚Mariandl‘ gedreht, dessen Verse „Mariandl, – andel, – andel, aus dem Wachauerlandel“ allen Musikbegeisterten noch in bester Erinnerung sein müssten.

Ein durch und durch romantisches Tal also, das zudem mit einem der wohl schönsten Ort aufwarten kann: dem rund um den ‚Tausendeimerberg“ gelegenen heimeligen Wein-Dörfchen Spitz.

Wer als Tourist sich aufmacht, diesen malerische ‚Tausendeimerberg“ zu erklimmen, beginnt damit am besten in der Mitte des Ortes, bei der Kirche, und biegt dann ab in die ‚Untere Gasse‘ Richtung ‚Weinsteigeweg‘, der sich dort schmal und romantisch langsam bergan bewegt. Kleine Häuser säumen den Aufstieg. Sie scheinen ihm heimelig und vertraut. Eine Bilderbuchidylle, die allenfalls eine leichte Trübung erfährt durch die Inschrift in einem Fenster, die den Wanderer sozusagen auf den Boden der Tatsachen bringt. Dort liest er:

Wir wollen hier:
– nichts kaufen
– nichts spenden
– unsere Religion nicht wechseln
– wir sind versichert
– und unsere Rechnungen bezahlt.
also: Tschüss!

Hat der Besucher dann, gründlich belehrt, die Spitze des ‚Tausendeimerberges‘ erreicht, wird es ihm ein tiefes Bedürfnis sein, seine Blicke schweifen zu lassen. Über unten liegende Dorf und auch auf die träge dahinfließende Donau, an deren Ufer vor tausend Jahren im ‚Niebelungenlied‘ die Burgunder in einem unheilvoll endenden Zug zu Etzel nach Ungarn gezogen waren. Auch sie müssen damals an dem kleinen Ort Spitz vorüber gekommen sein. Wahrscheinlich bestand der Ort früher lediglich aus ein paar elenden Hütten; auch dürfte er anders geheißen haben. Ob die Bewohner einen Blick für die romantische Seite ihres Fleckens gehabt hatten?

Eher nicht.

So ist es auch schwer vorstellbar, dass es schon damals einen Zank um die attraktivsten Grundstücke dieses Fleckchens gegeben hat. Das sollte noch eine geraume Weile dauern. Dann aber kam der Zank umso heftiger. Eines der Filetstücke der Gemeinde war wohl das Gelände des sogenannten „Klosterhofs“. Dieses Grundstück war später von einem Heurigen-Wirt namens Helmut Osberger gekauft worden und sollte fürderhin Anlass zu großem Ungemach bieten.

Denn der Blick des neuen Grundstückeigners schwenkte recht bald über den Rand seiner Weingläser, auch über das braune Holz seiner Theke und fand so in einer nicht zu fernen Zukunft sein Ziel. Er hatte eine Vision. In der vagen Hoffnung auf reiche Heilwasserbestände wollte er auf seinem neu erworbenen Gelände eine Tiefbohrungen vornehmen lassen. Würde sich dann (wovon er zutiefst überzeugt war) der Erfolg einstellen, könnte aus dem kleinen Weinort Spitz ein ‚Bad Spitz‘ werden, und aus dem vormaligen Wirt einer Weinschenke ein allseits geachteter Eigner des ‚Thermalhotels‘.

Allein – mit Visionen ist das so eine Sache. Nicht jeder, der sie hat, kann sicher sein, dass sie vom Nachbarn geteilt werden. Und so kam es, dass zum allergrößten Bedauern unseres Visionärs ausgerechnet der, der sich nicht für eine Vision begeistern konnte, der für so ein Bauvorhaben maßgebliche Bürgermeister des Ortes war. Sein Name lautete Hannes Hirtzsberger. Ausgerechnete dieser Hans Hirtzberger also sah keinen Anlass, derlei Bohrvorhaben zu genehmigen, zumindest aber hatte er wohl Auflagen gemacht, die offensichtlich kaum zu erfüllen waren.

Spricht man mit Einheimischen, wird dem Heurigenwirt ein durchaus aufbrausendes Wesen bescheinigt. Leicht erregbar sei er gewesen, und eher unversöhnlich. Man erinnert sich an ihn aber auch als ‚Macher‘, bekannt dafür, dass er seine Ideen mit großem Engagement und Nachdruck verfolgt.

Das also mag die Situation gewesen gewesen sein, als er noch am 25.12.2007 seinem Bürgermeister ein Schreiben mit Weihnachtsgrüßen an die Windschutzscheibe seines Autos klemmte und dieses einleitete mit der Ansprache „Werter Hannes!“. Was im Nachhinein die Verteidigung als Ausdruck einer Art „Hochschätzung“ wertete, sollte sich später aber leider nur als Intro zu weiteren Schritten herausstellen.

Denn schon 8.2. des darauffolgenden Jahres fand der Bürgermeister des Ortes an der Windschutzscheibe seines Autos eine Notiz: „Wollte dir was Wichtiges sagen“, und auf der Innenseite: „Du bist für mich etwas ganz Besonderes“.

Diese verbale Wertschätzung ergänzend fand sich beigelegt eine Gabe, die das Besondere der Wertschätzung in fast süßer Weise unterstrich; ein Praline namens ‚Mon Cherie‘. In Deutschland wurde diese Marke bereits seit 1957 vertrieben, wobei man noch ergänzend anführen könnte, dass im Schnitt weltweit jährlich etwa 130 Millionen Kilogramm ‚Mon Cherie‘ verzehrt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bürgermeister der süßen Verführung einer alkoholisierten Kirsche erliegen würde, war also durchaus gegeben. Die äußere Hülle dieser populären Süßigkeit besteht aus Zartbitterschokolade. Im Inneren befindet sich 0,66 Gramm Likör sowie eine sogenannte ‚Piemont-Kirsche‘, die aber nicht selten aus der südbadischen Ortenau stammt. Für Alkoholiker ist der Verzehr eher nicht geeignet. So hat die Zeitschrift „Brigitte“ nachgerechnet, dass eine 30 Jahre alte Frau mit 60 Kilo Lebendgewicht bereits nach 23 Mon Cherie als nicht mehr fahrtüchtig gelten muss, denn sie hat nach dem Genuss der Praline erstaunliche 0,5 Promille Blutalkohol.

Als nicht geringe Marketingmaßnahme darf man werten, dass die Praline zumindest nach offizieller Angabe ausschließlich in der kalten Jahreszeit in den Handel gelangt. Damit vermeidet die Firma, dass etwa ein Produkt vertrieben wird, dessen Kirsche schlecht geworden oder dessen Zartbitterschokolade infolge großer Hitze angelaufen ist und sich insofern zum Verzehr nicht mehr eignet. Wer schenkt, sollte dies reinen Herzens tun.

Diese Haltung zumindest mag bei oberflächlicher Betrachtung auch der Heurigenwirt suggeriert haben, als er an jenem kalten Februar auf die große Popularität des Produkts der Firma Ferrero zählte. Auch durfte er darauf vertrauen, dass der derart Beschenkte wusste, dass, wie viele Süßigkeiten, auch eine solche Praline zum alsbaldigen Verzehr geeignet ist.

Was der Bürgermeister von Spitz aber nicht wusste, war, dass die Praline mit – laut Anklage – mit 700 Milligramm Strychnin versetzt war. Als der Rechtsanwalt und Lokalpolitiker nach dem Verzehr der Süßigkeit sich in seinem Fahrzeug Richtung Krems aufmachte, wurde ihm plötzlich schlecht. Er verlor umgehend das Bewusstsein und musste in die Klinik eingeliefert werden, wo er seitdem im Koma liegt.

So erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Heurigenwirt. Die Beweise waren erdrückend, denn es fanden sich auf dem Anschreiben DNA Spuren des Täters. Auch fand man Spuren des Giftes an der Verpackung, die „bei Hitzberger zu Hause im Mistkübel“ gefunden wurde. Die Verteidigung verteidigte irgendwie heldenhaft, wenn sie fragte, warum denn ihr Mandant der Täter hätte sein sollen? Die Menge Strychnin hätte ja augenscheinlich gereicht, einen Menschen zu töten, um dann etwas pietätlos weiter zu argumentieren: warum war der Vergiftete dann nicht tot? Allein es half nichts.

Am Schluss übrig geblieben waren ein zu lebenslanger Haft verurteilter Täter und ein Opfer, das seitdem in der Landesklinik St. Pölten im Koma vor sich hindämmert. Das Grundstück, auf dem der Wirt so große Pläne verwirklichen wollte, gibt es natürlich noch immer. Es wurde dann irgendwann verkauft. Dort befindet sich jetzt ein Restaurant, das bisher aber von den Einheimischen gemider wird. Die Eigner kommen von außerhalb.

 

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