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Süsses Gift

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Die Donau ist der zweitlängste Fluss Europas. Sie entspringt einem kleinen Rinnsal im Schwäbischen, in Blaubeuren, um dann, nach 2857Km, am Ende ihrer Reise, als mächtiger Strom ins schwarze Meer zu münden.

Auf dem Weg in ihrem Millionen Jahren alten Bett passiert der Strom in Österreich eine Passage, die heute die Wachau genannt wird. Ein Flecken, getränkt von Geschichte. Die Passage beginnt mit dem Kloster Melk, das den Anfang einer der romantischsten Teil der ganzen langen Reise macht. Kurz nachdem der Fluss Melk passiert hat, führt sein Weg er zunächst an einem Ort namens Willendorf vorbei, wo 1908 eine 11 cm große Figur, die sogenannte ‚Venus von Willendorf‘ gefunden wurde. Dort lebte sie vor ca 30 000 Jahren und so darf man sie getrost als die Urmutter aller Österreicher bezeichnen.

Weiter dann in Richtung Osten passiert die Donau das romantische Städtchen Dürnstein, wo 1192 Richard Löwenherz auf seiner Heimkehr vom Kreuzzug entgegen aller ritterlicher Gepflogenheiten von Hadmar II. von Kuenring festgesetzt wurde. Es geht die Sage, dass ihn dort Getreuer namens Blondel suchte, ein mittelalterlicher Wandersänger, der mit seiner Leier wohl laut genug musiziert hatte, so dass ihn sein Herr aus dem unwirtlichen Verlies hätte hören können. Allein, er fand ihn nicht. Doch hat diese durch und durch musische Gegend auch noch mit Glück eines musikgetränkten Drehortes aufzuwarten, denn dort wurde 1961 der Film ‚Mariandl‘ gedreht, dessen Verse „Mariandl, – andel, – andel, aus dem Wachauerlandel“ allen Musikbegeisterten noch in bester Erinnerung sein müssten.

Ein durch und durch romantisches Tal also, das zudem mit einem der wohl schönsten Ort aufwarten kann: dem rund um den ‚Tausendeimerberg“ gelegenen heimeligen Wein-Dörfchen Spitz.

Wer als Tourist sich aufmacht, diesen malerische ‚Tausendeimerberg“ zu erklimmen, beginnt damit am besten in der Mitte des Ortes, bei der Kirche, und biegt dann ab in die ‚Untere Gasse‘ Richtung ‚Weinsteigeweg‘, der sich dort schmal und romantisch langsam bergan bewegt. Kleine Häuser säumen den Aufstieg. Sie scheinen ihm heimelig und vertraut. Eine Bilderbuchidylle, die allenfalls eine leichte Trübung erfährt durch die Inschrift in einem Fenster, die den Wanderer sozusagen auf den Boden der Tatsachen bringt. Dort liest er:

Wir wollen hier:
– nichts kaufen
– nichts spenden
– unsere Religion nicht wechseln
– wir sind versichert
– und unsere Rechnungen bezahlt.
also: Tschüss!

Hat der Besucher dann, gründlich belehrt, die Spitze des ‚Tausendeimerberges‘ erreicht, wird es ihm ein tiefes Bedürfnis sein, seine Blicke schweifen zu lassen. Über unten liegende Dorf und auch auf die träge dahinfließende Donau, an deren Ufer vor tausend Jahren im ‚Niebelungenlied‘ die Burgunder in einem unheilvoll endenden Zug zu Etzel nach Ungarn gezogen waren. Auch sie müssen damals an dem kleinen Ort Spitz vorüber gekommen sein. Wahrscheinlich bestand der Ort früher lediglich aus ein paar elenden Hütten; auch dürfte er anders geheißen haben. Ob die Bewohner einen Blick für die romantische Seite ihres Fleckens gehabt hatten?

Eher nicht.

So ist es auch schwer vorstellbar, dass es schon damals einen Zank um die attraktivsten Grundstücke dieses Fleckchens gegeben hat. Das sollte noch eine geraume Weile dauern. Dann aber kam der Zank umso heftiger. Eines der Filetstücke der Gemeinde war wohl das Gelände des sogenannten „Klosterhofs“. Dieses Grundstück war später von einem Heurigen-Wirt namens Helmut Osberger gekauft worden und sollte fürderhin Anlass zu großem Ungemach bieten.

Denn der Blick des neuen Grundstückeigners schwenkte recht bald über den Rand seiner Weingläser, auch über das braune Holz seiner Theke und fand so in einer nicht zu fernen Zukunft sein Ziel. Er hatte eine Vision. In der vagen Hoffnung auf reiche Heilwasserbestände wollte er auf seinem neu erworbenen Gelände eine Tiefbohrungen vornehmen lassen. Würde sich dann (wovon er zutiefst überzeugt war) der Erfolg einstellen, könnte aus dem kleinen Weinort Spitz ein ‚Bad Spitz‘ werden, und aus dem vormaligen Wirt einer Weinschenke ein allseits geachteter Eigner des ‚Thermalhotels‘.

Allein – mit Visionen ist das so eine Sache. Nicht jeder, der sie hat, kann sicher sein, dass sie vom Nachbarn geteilt werden. Und so kam es, dass zum allergrößten Bedauern unseres Visionärs ausgerechnet der, der sich nicht für eine Vision begeistern konnte, der für so ein Bauvorhaben maßgebliche Bürgermeister des Ortes war. Sein Name lautete Hannes Hirtzsberger. Ausgerechnete dieser Hans Hirtzberger also sah keinen Anlass, derlei Bohrvorhaben zu genehmigen, zumindest aber hatte er wohl Auflagen gemacht, die offensichtlich kaum zu erfüllen waren.

Spricht man mit Einheimischen, wird dem Heurigenwirt ein durchaus aufbrausendes Wesen bescheinigt. Leicht erregbar sei er gewesen, und eher unversöhnlich. Man erinnert sich an ihn aber auch als ‚Macher‘, bekannt dafür, dass er seine Ideen mit großem Engagement und Nachdruck verfolgt.

Das also mag die Situation gewesen gewesen sein, als er noch am 25.12.2007 seinem Bürgermeister ein Schreiben mit Weihnachtsgrüßen an die Windschutzscheibe seines Autos klemmte und dieses einleitete mit der Ansprache „Werter Hannes!“. Was im Nachhinein die Verteidigung als Ausdruck einer Art „Hochschätzung“ wertete, sollte sich später aber leider nur als Intro zu weiteren Schritten herausstellen.

Denn schon 8.2. des darauffolgenden Jahres fand der Bürgermeister des Ortes an der Windschutzscheibe seines Autos eine Notiz: „Wollte dir was Wichtiges sagen“, und auf der Innenseite: „Du bist für mich etwas ganz Besonderes“.

Diese verbale Wertschätzung ergänzend fand sich beigelegt eine Gabe, die das Besondere der Wertschätzung in fast süßer Weise unterstrich; ein Praline namens ‚Mon Cherie‘. In Deutschland wurde diese Marke bereits seit 1957 vertrieben, wobei man noch ergänzend anführen könnte, dass im Schnitt weltweit jährlich etwa 130 Millionen Kilogramm ‚Mon Cherie‘ verzehrt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bürgermeister der süßen Verführung einer alkoholisierten Kirsche erliegen würde, war also durchaus gegeben. Die äußere Hülle dieser populären Süßigkeit besteht aus Zartbitterschokolade. Im Inneren befindet sich 0,66 Gramm Likör sowie eine sogenannte ‚Piemont-Kirsche‘, die aber nicht selten aus der südbadischen Ortenau stammt. Für Alkoholiker ist der Verzehr eher nicht geeignet. So hat die Zeitschrift „Brigitte“ nachgerechnet, dass eine 30 Jahre alte Frau mit 60 Kilo Lebendgewicht bereits nach 23 Mon Cherie als nicht mehr fahrtüchtig gelten muss, denn sie hat nach dem Genuss der Praline erstaunliche 0,5 Promille Blutalkohol.

Als nicht geringe Marketingmaßnahme darf man werten, dass die Praline zumindest nach offizieller Angabe ausschließlich in der kalten Jahreszeit in den Handel gelangt. Damit vermeidet die Firma, dass etwa ein Produkt vertrieben wird, dessen Kirsche schlecht geworden oder dessen Zartbitterschokolade infolge großer Hitze angelaufen ist und sich insofern zum Verzehr nicht mehr eignet. Wer schenkt, sollte dies reinen Herzens tun.

Diese Haltung zumindest mag bei oberflächlicher Betrachtung auch der Heurigenwirt suggeriert haben, als er an jenem kalten Februar auf die große Popularität des Produkts der Firma Ferrero zählte. Auch durfte er darauf vertrauen, dass der derart Beschenkte wusste, dass, wie viele Süßigkeiten, auch eine solche Praline zum alsbaldigen Verzehr geeignet ist.

Was der Bürgermeister von Spitz aber nicht wusste, war, dass die Praline mit – laut Anklage – mit 700 Milligramm Strychnin versetzt war. Als der Rechtsanwalt und Lokalpolitiker nach dem Verzehr der Süßigkeit sich in seinem Fahrzeug Richtung Krems aufmachte, wurde ihm plötzlich schlecht. Er verlor umgehend das Bewusstsein und musste in die Klinik eingeliefert werden, wo er seitdem im Koma liegt.

So erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Heurigenwirt. Die Beweise waren erdrückend, denn es fanden sich auf dem Anschreiben DNA Spuren des Täters. Auch fand man Spuren des Giftes an der Verpackung, die „bei Hitzberger zu Hause im Mistkübel“ gefunden wurde. Die Verteidigung verteidigte irgendwie heldenhaft, wenn sie fragte, warum denn ihr Mandant der Täter hätte sein sollen? Die Menge Strychnin hätte ja augenscheinlich gereicht, einen Menschen zu töten, um dann etwas pietätlos weiter zu argumentieren: warum war der Vergiftete dann nicht tot? Allein es half nichts.

Am Schluss übrig geblieben waren ein zu lebenslanger Haft verurteilter Täter und ein Opfer, das seitdem in der Landesklinik St. Pölten im Koma vor sich hindämmert. Das Grundstück, auf dem der Wirt so große Pläne verwirklichen wollte, gibt es natürlich noch immer. Es wurde dann irgendwann verkauft. Dort befindet sich jetzt ein Restaurant, das bisher aber von den Einheimischen gemider wird. Die Eigner kommen von außerhalb.

 

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Unser Mann aus Palermo

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Erinnere ich mich richtig, gab es bis Mitte der 80er Jahre in Freiburg kaum eine reine Studentenkneipe. Nach des Tages Mühe fielen damals die Studierenden in bürgerlichen Wirtschaften ein, die, nachdem ältere Damen am Mittagstisch ihre Königinpasteten verzehrt  hatten, am Abend von der Studentenschaft in Beschlag genommen wurden.

Da gab es z.B. die Gaststätte ‚Harmonie‘ oder den ‚Großen Meierhof‘, beide in der Grünwälderstrasse. Wir tranken oft im ‚Schwarzwälder Hof‘, der neben dem guten Bier zudem noch über eine Attraktion verfügte. Das war ein Ober, dessen eigentlicher Namen wir allerdings nicht kannten. Tat aber auch nichts zur Sache. Beim Abräumen der Gläser und der geleerten Teller fragte er stets: „Schmeck“?

Man musste nicht italienisch können, um zu ahnen, was er damit meinte. Er wollte fragen, ob es uns geschmeckt hatte. Deshalb nannten wir ihn einfach den Schmeck. Zudem schien es, als verberge sich hinter der kleinen Gestalt mit ihrem Oberlippenbärtchen und den rötlich gefärbten Haaren ein Geheimnis. War der Schmeck mal wieder ein halbes Jahr weg, raunten wir uns Verdächtigungen zu, wie etwa die: er sei Angehöriger der Mafia oder gar ein Pate. Vielleicht hatte er aber auch eine Frau umgebracht, säße nun wegen Mordes im Gefängnis und dergleichen mehr. War der Verdacht genüsslich ausgebreitet, ließen wir uns von einer Bedienung das Bier bringen und tranken noch einen, bis eines Tages wundersamerweise wieder ein kleiner Italiener mit Oberlippenbärten erschien und fragte: Schmeck?

Ich hätte das schon lange vergessen, wäre mir nicht kürzlich ein Beispiel gelebter Integration ins Haus geflattert. Ein Freund hatte mir eine Todesanzeige geschickt, in der die Eigentümerfamilie des Restaurants den Tod ihres im nahezu biblischen Alter von siebenundneuzig Jahren von ihnen gegangen Angestellten Michele Notarbartolo bekannt gab. Für uns hätte der Name nichts zu bedeuten gehabt. Erst als ich das Bild auf der Todesanzeige betrachtete, erkannte ich: es war ‚unser’ Schmeck!

Soweit, so traurig. Was aber unsere Geschichte von vielleicht vielen ähnlichen Geschichten unterscheidet, ist ein kleiner Satz in der Todesanzeige. Da teilt die trauernde Wirtsfamilie mit, dass ein Michele Notarbartolo, der in den 60er Jahren wahrscheinlich als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, mittlerweile fester Teil der Familie geworden war.

„Nun“, steht da in der Anzeige geschrieben, „wird er in unserem Familiengrab seine Ruhe finden“.

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Alles so schön bunt hier! Teil 1

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1Ferrari Garage Niki Hasler präsentiert ein neues Modell. Den F 8 Tributo.

Keine Zweifel: an schönen Tagen ist der Himmel blau. Aber an noch schöneren Tagen geht das Blau in ein kräftiges Rot über. Das sind die Tage, an denen, wie kürzlich geschehen, der BadenBlogger einen Anruf eines der größten Ferrari Häuser der Schweiz erhält. Man fragt an, ob wir nicht Lust hätte, den brandneuen Ferrari F 8 ‚Tributo’ zu einer Ausfahrt zu nutzen. Was für einen Frage?

Die Garage hat ihren Sitz in Basel Stadt. Die Probefahrt solle im nahen Liestal starten, da, wo die jahreszeitlich bedinge Grau der Stadt langsam übergeht in das satte Grün von Basel Land.

Noch sind die Pferde in den Startboxen

Und in der Tat ist dieses Grün auch der passende Rahmen für eine Roadshow, in den Rahmen sich ca 10 Ferraris in den je verschiedensten Farben präsentieren. Da wären ‚Gallio Modena’ (eine Art Gelb), Rosso Scuderia, Bianco Avus oder Grigio Ingrid (Ingrid ist irgendwie grau metallic).

Obwohl rot traditionell die Rennfarbe Italiens schlechthin geworden war (Grün=England. Blau=Frankreich und Silber=Deutschland), fuhren die frühen Ferraris in ihrem zivilen Leben durchaus verschiedenfarbig durch die Welt. Das Rot begann erst zu dominieren, als nach dem Tod von Enzo Ferrari der Kult der Marke kräftig zulegte und fortan das Rot mit der Marke Ferrari gleichgesetzt wurde.

Der mir an diesem Tag zugewiesene Wagen ist denn also blau, was ihm durchaus gut zu Gesicht steht. Zudem bekomme ich eine geschlossene Variante zugeteilt, was sich bezüglich meiner eher spärlichen Haare als durchaus rücksichtsvoll entpuppen sollte.

Wer hat die Nase vorn?

Da steht er nun vor mir. Der erste Eindruck: groß sind sie geworden, die Ferraris. Vor allem im Vergleich mit den Fahrzeugen der frühen Jahre. Da zeigt sich: man hat figürlich durchaus zugelegt. Sieht man den Wagen im Prospekt, fällt das so nicht auf. Erst wenn so ein F 8 aus dem Prospekt auf die Straße rollt, erkennt man, dass es sich doch um ein ganz ordentliches Stück Auto handelt. So wird schon beim lustvollen Anblick deutlich, dass man sich mit dem Wagen auf Überlandstraßen oder Autobahnen deutlich wohler fühlt als beim Erkunden historischer Ortskerne. Ob man ihn als handlich empfindet, hängt also letztlich von der Breite der Fahrbahn ab…

Was aber sofort noch ins Auge sticht, ist die Qualität der Karosserie und der Verarbeitung. Längst vorbei die breiten Spaltmasse, wie sie früher in Maranello an der Tagesordnung waren, und durch die man, so wurde geunkt, auch bei geschlossener Tür ins Innere des Wagens gelangen konnte.

Doch sind es weniger die Spaltmasse sondern die Durchblick gewährende Motorabdeckung, die den Blick des Fans auf sich zieht. Dort erblickt er den Achtzylinder, ein überaus solides Stück Metall, das tief im Maschinenraum kauert und zunächst den Eindruck erweckt, es wolle nicht gestört werden. Wie man sich doch täuschen kann! Auf Druck des Buttons am Armaturenbrett suggeriert irgendetwas tief im Inneres des Wagens, das Edelding habe nur drauf gewartet, dass man es zum Leben erweckt und an die Arbeit schickt. Ein Heizkraftwerk. So stemmt er in der neuesten Variante 720 PS auf die Hinterachse und man tut gut daran, den ‚Manettino’ Drehschalter in einer alltagstauglichen Stellung zu belassen. So wird verhindert, dass der Wagen bei ruppig entschlossener Gasannahme wegwischt. Youtube ist voll solcher Videos, die zeigen, wie Söhne reicher Eltern auf diese segensreiche Hilfe verzichten und dann in völliger Selbstüberschätzung ihres Fahrkönnens eben mal € 270 000 kaltverformen…

Mehr demnächst. Hier.

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Bewegung im Ruhestand Teil 1

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Endlich daheim! Zu Gast in der Pfalz  

Dort, am südlichsten Zipfel der lieblichen Pfalz, liegt das kleine Winzerdorf Schweigen – Rechenbach, da, wo die ‚Deutsche Weinstraße’ ihren Anfang nimmt.

Eigentlich sollte dieser ca 100 Km lange, sich nach Norden hinziehende Landstrich  ‚Pfälzer Weinstraße‘ heißen, doch wer im mächtigen Schatten des 1937 von den Nazis erbauten protzigen Weintors steht, ahnt, warum aus einem gemütlichen ‚Pfälzer Weintor‘ ein monumentales ‚Deutsches Weintor‘ und dann folgerichtig aus einer ‚Pfälzer Weinstrasse’ eine ‚Deutsche Weinstraße’ wurde.

Wer sich heute hier als Besucher einfindet, wird sich daran nicht stören. Der Sommer liegt heiß über der 1500 Einwohner  Gemeinde. Noch zirpen hier überall die Grillen. Aus der Ferne hört man die Stimmen der Veranstaltung „Chor am Tor“. Tritt man näher, entdeckt man eine singende Gemeinschaft vorwiegend mittleren Alters, die sich, geschmückt mit regenbogenfarbenen Schals, der Pflege multiethnischen Liedgutes verschrieben hat.

Nicht weit davon, mitten im Zentrum des Ortes und im Schatten der kleinen mittelalterlichen Kirche, liegt  fast versteckt, ein Weingut mit seiner Weinwirtschaft, dessen gastronomisches Angebot den geschmacklichen Vorlieben der durstig-fröhlichen Rentnerschar umfassend Rechnung trägt. Es ist eine Gemütlichkeitslandschaft, dekoriert mit vielen üppigen Sträuchern, bunten Blumenkübeln und heimelig dekorierten Winkeln.  

Denn unter den vielen schönen Dingen, die das Leben eines Ruheständlers so recht lebenswert machen, ist nicht das Unwichtigste, dass der Rentner sich seines Lebens freut,  wozu halt auch gehört, dass er sich in seiner Weinwirtschaft wohl fühlt. Freilich braucht es dazu gewisse Voraussetzungen. Zunächst sollte es dort ruhig und schattig sein. Dann die Sitzgelegenheit! Hier wäre eine gewisse Stabilität wünschenswert. Die Breite der Sitzfläche sollte kundengerecht etwas üppiger bemessen sein. Auch nicht schlecht, böte die Armlehne situationsbedingten Halt. Kleine, in lustigen Farben gehaltene Sitzkissen, könnten das Ganze farblich auflockern. Verständlich, dass in einem solchen Umfeld eine etwas festere Figur kein Thema einer nachhaltigen Erörterung ist. Allenfalls leitet sich daraus eine Daseinsberechtigung für Sitzzuteilung ab.

Und dann erst die Weine!

Trocken sollten sie sein, aber auch wieder nicht zu trocken. Nur wenige greifen in diesen Tagen zu einem Riesling, der in der Karte ausdrücklich als ‚forzdrogge‘ ausgewiesen ist. Sowas muss man mögen. Davon nimmt unser Gast aber gern Abstand, denn ist der zu Wein trocken, bekommt er ihm nicht. Dann kann es passieren, dass die ‚Mamma‘ am nächsten Morgen sagt, „d’r Babba hätt nachts gedampft“.  

Ansonsten ist das dort Gebotene fein auf die Bedürfnisse der Zecher abgestimmt. Der Wirt kennt die Seinen. Er weiß: solang der männliche Gast, auch schon mal ‚Babba‘ genannt, gut sitzt, ist alles in Ordnung. Hauptsache, dass er die ‚Mamma‘ neben sich und einen Schoppen Wein vor sich hat. Schweigen-Rechtenbach ist ein Rentnerparadies. Verständlich, dass man da auch an die denkt, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. In unmittelbarer Nachbarschaft zum elsässischen Wissembourg liegend, verkehrt zwischen den Ortschaften ein ‚Grenzland-Bähnchen‘, das kundengerecht über „60 Sitzplätze mit Rollstuhlabteil“ verfügt.

Dies also ist die Landschaft, in der sich befreit auftrinken lässt…

Teil 2 demnächst. Hier!

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Bewegung im Ruhestand Teil 2

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Endlich daheim! Zu Gast in der Pfalz

Dies also ist der Klangteppich, vor dessen Hintergrund sich befreit auftrinken ließe. Dabei haben wir es hier mit einem Eldorado des Rentnerwesens in seiner rechtschaffendsten Form zu tun. Wer hier, am südlichsten Zipfel der Pfalz freundlich sitzt, vermittelt einem das Gefühl, am Ende des beruflichen Lebens angekommen zu sein. Jeder Schluck erzählt davon, sich den Ruhestand verdient zu haben. Handwerker, Angestellte, Gewerbetreibende. Natürlich könnte man einräumen, dass die Genussfähigkeit der Anwesenden eine absehbar endliche ist. Umso lustvoller trinkt man hier seinem fernen, doch unbestimmtes Ende entgegen.

Hätte man früher vielleicht seinen Schrebergarten gepflegt, so hat es die innnerstädtische Verdichtung besorgt, dass diese Oasen des unmittelbaren Naturerlebens zu Bauplätzen für Fertighäuser im Toskanastil umfunktioniert wurden. So bleibt dem Rentner nur, sich andersweitig zu orientieren. Hier hilft die Regiokarte der Bahn, die zu überschaubarem Preis den Bewegungsspielraum der Früh-verrenteten sicherstellt, und als dessen fröhliches Ergebnis wir in Schweigen-Rechtenbach eine beachtliche Anzahl von Gästen finden, die aus Heidelberg, Mannheim oder Ludwigshafen angereist sind.

Doch sind es nicht allein die Weine, der Saumagen oder die saisonal angebotenen Russischen Eier, die die Gäste hierher locken. Es ist mehr als das.    Gaststätten, die gerade dem älteren Gast mit einer gewissen Fürsorglichkeit begegnen, gibt es in der Pfalz viele. Und doch wird punktuell offensichtlich, dass das allein nicht immer ausreicht.

Der Rentner von heute will mehr geboten bekommen. Würde mit den Gästen stets pfleglich umgegangen, erinnerte das Gebotene an betreutes Wohnen. Im vorliegenden Fall trifft das nur eingeschränkt zu. Hier ist die gelegentliche Ansprache eine andere. Ja, man könnte von einer Erlebnisgastronomie sprechen.

So kommt man nicht umhin, das Personal mit seinen je verschiedenen durchaus unterhaltenden Charakteren näher zu betrachten. Da wäre zunächst mal der Chef. Er ist eine Persönlichkeit, die in ihrer Komplexität verstanden werden will, und die mit ihrem etwas schrägen Humor Neuankömmlinge manchmal verstört. Doch tut man gut daran, die laut aufbrausenden Worte des Wirts als Teil einer Show zu begreifen, dessen vermeintliche Ruppigkeit meist wundersam in einem Lachen endet. Er ist halt, wie er ist, sagen die Stammgäste und registrieren amüsiert die Irritation der Neuankömmlinge.

Wie in der Commedia d’ell Arte, agiert auf dieser südpfälzischen Bühne auch noch ein Tolpatsch, der, vom Chef täglich malträtiert, doch um keinen Preis der Welt irgendwo anders arbeiten wollte. „Lakai, Lakai, Lakai“, stößt er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, wenn der Oberste ihn üblerweise mal wieder als solchen bezeichnet hatte. Letztlich versöhnt mit seinem harten Los zeigt er sich erst, wenn ihm Stammgäste beim Verlassen des Hauses ein ordentliches Schmerzensgeld zustecken. Es ist eine Bühne mit durch die Bank charaktervollen Darstellern

Doch beschränkt sich das nicht allein aufs Personal.

Drüben, nahe beim großen Strauch, sitzt eine Frau in Begleitung ihres Mannes. Sie ist – wie man so sagt – „gut beieinander“. Ihr großer Busen wird nur mit Mühe gefasst von einem giftgrünen, mit feinen Goldfäden durchwirkten Pullover. Als die Bedienung an den Tisch kommt, um die Bestellung aufnehmen, bestellt die Dame einen ‚Pfälzerteller‘. Von der Bedienung gefragt, was es denn für den Herrn sein dürfe, wird sie von der Gattin knapp beschieden: der esse heute nichts; der müsse das „Gebiss schone“.

 

 

 

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