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Allgemein Stadtstreicher

Eine kleine Stadtmusik

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Erst neulich machte Baden-Baden seinem Ruf als Sommerhauptstadt Europas wieder mal alle Ehre. Natürlich war es dieses Jahr ganz besonders heiß, besonders im Zentrum, dort am Leopoldsplatz, der von den Baden-Badenern der Einfachheit halber ‚Leo‘ genannt wird. Wie meist um diese Jahreszeit waren viele Gäste da, z.B. aus Dubai und den Emiraten, die in Erwartung großer Kühle hierher gekommen waren. Zumindest die Frauen waren ganz heiß auf eine mögliche Abkühlung, weshalb sie sich kleidungsmäßig eher bedeckt gaben. An ihrer Seite immer eine vielköpfige Familie, die sich, kaum einer Großraumlimousine entstiegen, ohne erkennbare Wanderabsicht gleich auf den Stühlchen unter den Bäumen der Sophienallee niederließen.
Foto 1-2Bis freilich alle Gäste vorgefahren und ausgestiegen waren, dauerte das eine ganze Weile, vor allem da gerade an diesem Tag weit und breit kein Gemeindevollzugsbeamter zu sehen war. Der hätte aus gegebenem Anlass mal etwas Struktur in die im wörtlichen Sinne verfahrene Situation bringen können. Es war ein ziemliches Hin und Her, vor allem, weil die Fahrzeuglenker unter den Gästen in völliger Verkennung dessen, was eine verkehrsfreie Fußgängerzone ausmacht, sich am Steuer aufführten, als stünde der Leopoldplatz – sagen wir mal – in Bombay.
Noch schwieriger wurde das Ganze, weil es sich bei den Fahrzeugen um sogenannte SUVs handelte, also Porsche Cayenne, Range Rover und die dicken BMWs. Die sind alle vierradgetrieben, groß und schwer. An sich schon unübersichtlich, wird so ein SUV noch unübersichtlicher, wenn hinter ihm zwei weitere SUVs stehen und auf begrenztem Platz genau dasselbe wollen: herfahren, rangieren, parken, ausladen, wegfahren!
Für uns Zaungäste war das ein echter Hingucker. Ganz großes Kino. Na ja, für Baden-Baden jedenfalls.
Zur Erbauung der am ‚Amadeus’ sitzenden Gäste ging das eine ganze Weile so, bis es irgendwann halt eintönig wurde. Dann nahte der nächste Programmpunkt. Es erschien auf der Bildfläche ein Musikant, der eine Gitarre bei sich führte und auf dem Wägelchen einen Verstärker hinter sich herzog und sich neben der abstrakten Skulptur aufbaute. Diese Skulptur hat ein bisschen Ähnlichkeit mit einer von Henry Moore, ist aber wahrscheinlich nur halb so teuer gewesen. Jedenfalls stellte sich der junge Mann – noch ein wenig unsicher – in Positur, schnallte sich ein Headset um, schaltete den Verstärker an und begann zu singen.

Doch handelte es sich bei dem Sänger Gott sei Dank weder um einen russischen Bass, der uns mit dem ‚Einsamen Glöcklein’ taub singt. Noch war der nette Musikant einer von jenen, die vor langer Zeit aus Woodstock zurückgekehrt, seitdem mit ‚Blowing in the Wind‘ ganze Fußgängerzonen entvölkern. Nein, der Sänger kam, wie er später selber zugab, aus Karlsruhe und sang zudem recht schön.
Er hatte eine angenehme Stimme, nicht zu laut und schon gar nicht nervig. Selbst wenn ein Song einmal dramatisch wurde, war aus seinem Mund keine Missstimmung zu vernehmen. Fortan reihte sich ein Lied sozusagen an das andere, wie Perlen an einer Kette. So gesehen könnte man sagen, dass das musiktrunkene Publikum von den musikalischen Perlen den Hals nicht voll genug kriegen konnte. Nachdem der Sänger das Publikum länger mit seiner Darbietung erfreut hatte, brandete zu seinem eigenen und unserem Erstaunen erster Beifall auf, von dem er sich ermuntert fühlte, einfach so weiterzumachen.
Es kam dann aber wie es kommen musste: irgendwann hatte er keine Lieder mehr, die er hätte präsentieren können. Er war sozusagen leer gesungen und wollte mit musikalischem Anstand seinen Abschied nehmen. Das Ganze wäre auch rundum harmonisch geendet, wenn nicht just in diesem Moment die Staatsmacht im Streifenwagen auf den Platz gerollt wäre.
Zwei Polizisten in kugelsicherer Weste stiegen aus und kamen auf den Barden zu. Was im folgenden gesprochen wurde, war nicht zu hören, aber es machte sich bei der versammelten Fanschaft eine leichte Beklommenheit breit, vor allem, da man kurz zuvor den Sänger noch euphorisch verabschiedet hatte, nicht ohne ihn mit Münzen allerlei Art zu bedenken. Jetzt also das böse Ahnen, dass er unter Umständen ohne Genehmigung aufgetreten war. Hier würde Strafe folgen. Die Atmosphäre war dementsprechend angespannt.
Wir alle wurden so Zeugen eines stummen Gesprächs. Hatte er die Lizenz dabei, die übliche Genehmigung des Amtes für öffentliche Ordnung? Offensichtlich nicht, denn er machte keine Anstalten, nach einem Papier zu kramen. Quälend lange Momente. Es war, als würden selbst die vollverschleierten Frauen aus Dubai schweigen. Fortgesetzter Disput. Dabei leichtes Hoffen: vielleicht hatten die Beamten einen Musikwunsch oder trugen sie sich gar mit dem Gedanken, den Sänger anlässlich des Jahresfestes des Polizeisportvereins zu engagieren?
Wäre es nicht übertrieben, möchte man jetzt auf die allseits bekannte Stecknadel verweisen, die man in diesem Moment zu Boden hätte fallen hören können. Dann aber brandete wieder unvermittelt ein kräftiger, den Künstler unterstützender Beifall auf. Die zwei Polizisten gingen zum Auto. Dann wieder Stille. Ein schmerzliches Ahnen: jetzt holen sie das Formular, mit dem man für gewöhnlich Strafmandate erteilt.

Doch nichts geschah. Die Polizisten stiegen in ihr Fahrzeug. Ende des Vorgangs. Kein Formular. Stattdessen gab es kräftigen Beifall vom Publikums für die beiden Polizeibeamten. Entspanntes Lachen der Zuschauer. Ein kurzes Blaulicht als letzter, optischer Gruß, dann ein freundliches Winken durch das geöffnete Fahrzeugfenster.
Als hätten sie beim Wegfahren mit ihrem Winken eine eventuell aufkommende Missstimmung zerstreuen wollen.

Allgemein Institutionen Kultur

Heldengedenktage

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„Helden des Alltags“ – jetzt wird Dummheit grenzenlos
  

Wer in den letzten Jahren die gängigen Medien nutzte, dem wird nicht entgangen sein, dass zunehmend der Begriff ‚Held‘ auftauchte. Gern in den Varianten ‚Held des Alltags‘, ‚Stiller Held‘ oder aber – kombiniert – ‚Stiller Held des Alltags‘, wobei der Begriff gerade in der letzten Kombination seinen Anfang nahm, bevor er den Siegeszug durch die gesamte Medienlandschaft antrat.
Normalerweise lässt sich das Entstehen einer solchen Floskel – und um eine solche handelt es sich – nicht nachverfolgen. Ähnlich wie ihre Schwesterfloskel:“…aller Zeiten“ , ist sie eines Tages in der Welt, um nie mehr zu verschwinden. Doch verhält es sich im vorliegenden Fall etwas anders, denn die Herkunft der Floskel ist in besagtem Fall klar zu bestimmen. Dieser Ausdruck entstammt einer Fernsehsendung des SWR, die ich lange Jahre zu verantworten das Vergnügen hatte.


Die Sendung hieß „Der Fröhliche Alltag“. Sie startete 1993 und endete, nach zehn Jahren 2013. Ausgestrahlt wurde sie alle vier Wochen am Freitagabend. Sie war 90 Minuten lang, überaus populär und wurde aufgezeichnet in aus-reichend großen Hallen von Gemeinden in Baden Württemberg und Rheinland Pfalz.

Moderiert wurde diese Musiksendung von dem charismatischen Moderator Heinz Siebeneicher, an seiner Seite eine Comedyfigur, ‚Frau Wäber‘, die im Land alsbald Kultstatur erlangen sollte.
Neben der Musik lebt eine solche Sendung natürlich auch von Wortinhalten, die die regionale Bindung unterstreichen sollen. Im vorliegenden Fall wollten wir jeweils eine Person im Ort finden, die in aller Stille sich um den Ort verdient machte, etwa eine ältere Dame, die ohne viel Aufhebens den Kirchenschmuck besorgte, sich ggf um kranke Mitbürger kümmerte usw. Die Person wurde mittels eines Vorwands in die Aufzeichnung gelockt – meist durch Verwandte – und dann ‚ausgezeichnet‘. Das also war dann „Der stille Held des Alltage“. Gendergetue gab es damals noch nicht.
Wie es nun in den Häusern halt so geht, beschloss man eines Tages, die quotenbringende Sendung anzusetzen. Man hatte zwar kein Konzept, was danach kommen sollte, doch schien es eines Tages geboten, am Freitagabend verstärkt jugendliche Zuschauer anzusprechen.  

Dann passiert eine ganze Weile erst einmal gar nichts, bis dann später einem dieser wunderbaren jungen JournalistInnen auffiel, dass da ein Begriff noch rumliegt, den man eventuell ins politische Tagesgeschäft einflechten könnte. Und auf einmal blühte, erst zart dann stärker, in gänzlich anderem Zusammenhang der Begriff ‚Held des Alltag auf‘, gern auch in diversen Begriffsvarianten. So, wie wir uns eine ‚Bandscheibe‘ schwerlich ohne den sogenannten ‚Vorfall‘ vorstellen können, war die ganze Welt plötzlich voller möglicher ‚Helden‘, die in der Regel gern auch ’still‘ zu sein hatten.

Hätte es sich bei der Begriffsübernahme um Lokaljournalisten gehandelt, die, von Rausschmiss bedroht, vom Chef getriezt und vom Verleger gegängelt, tagtäglich schauen müssen, wie sie ihr mühsames Tagespensum schaffen – geschenkt. Mehr als verständlich, wenn sie zu Floskeln wie ‚Das Tanzbein schwingen‘ Zuflucht nehmen. Doch in den Häusern der großen Zeitungen oder des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks ist dies nicht so. Es handelte sich dem eigenen Verständnis nach um die Speerspitze des kritischen Journalismus. Dort allerdings ist man meinungsschwach und ideenarm gleichermaßen. Zudem hatte man bislang mit jedwelchem Heldentum eher nichts am Hut, und mit dem Militärischen schon mal gar nicht. Bislang hielt man sich von jedem Heldentum und seinem militärischen Bruder besser fern, schon weil man nicht sicher sein konnte, ob der Nachwuchs, stünde Vati im Felde, in der Kinderkrippe auch pünktlich Veganes gereicht kriegt.
Doch hat sich das nun geändert. Man hielt es für geboten, dem Heldentum eine nun zeitgemäß humane Komponente zu verpassen. Man darf sich das etwa so prickelnd vorstellen wir alkoholfreier Schnaps. Auf einmal leitet das syrische Flüchtlingsmädchen ‚Hanan‘ „das Homescooling der ganzen Familie. Beide Eltern auf Arbeit, Mutter kein Deutsch, fünf Geschwister, nur zwei Laptops und ein Handy, trotzdem gute Noten“. Laut BILD eine Heldin. Mag man das noch einigermaßen verstehen, quillt das Internet nunmehr aber über vor Helden. Man sollte da unbedingt mal bei Google nachsehen. Es wird einem vor lauter Heldentum ganz schwindelig. Eben höre ich, dass in Köln von Anwohnern Müll gesammelt wird. Unter welchem Begriff? Richtig. „Die Superhelden“.

Dabei handelt es sich eigentlich nur um die Inflationierung eines mittlerweile völlig dumm-deutschen Begriffs.

Vom Gebrauch dieser Floskel im journalistischen Umfeld war es denn auch nicht weit zur Politik, der heimlichen Schwester des Journalismus. Noch ist es nicht spruchreif, aber wir gehen jede Wette ein, dass im Bundespräsidialamt schon an einem Orden: „Held des Alltags“ geschnitzt wird. Die Politik jedenfalls hat sämtliche mögliche HeldInnen schon fest im Blick. Wie anderorts auch.

So ist bei einer tödlichen Messerattacke auf eine Polizeiwache bei Paris eine Verwaltungsbeamtin getötet worden. Ein furchtbares Verbrechen, von dem aber zu fragen wäre, ob es sich bei der Polizistin nicht eher um ein „Opfer“ denn um eine „Heldin“ im eigentlichen Sinne handelte. Egal. Hauptsache, die Etikette dran geklebt.


Denn anstatt sich des Themas ‚innerfranzösicher Terrorismus‘ grundlegend zu stellen (wie in Frankreich seit langem gefordert), war Ministerpräsident Jean Castex anlassbezogen aus Paris mit großem Pomp angereist und sprach: „Die Republik hat gerade eine ihrer Alltagsheldinnen verloren“ (Euronews 24.4.21).

Es scheint, dass sprachlicher Schwachsinn vor keiner Grenze halt macht.

Allgemein Kultur

Surfen auf der Woge des Erfolgs

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Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Dass das so ist, hatte schon Karl Valentin früh erkannt. Doch er war nicht der erste. Schon lange vor ihm – glaubt man dem Wikipedia Eintrag – hatte Puccini, der große Opernkomponist, Ähnliches gespürt. Denn wie anders hätte man den Satz aus dem Wikipedia Eintrag verstehen sollen, dass Puccini, verwöhnt von seinen frühen Erfolgen, zur Einsicht kam, dass es weit angenehmeres gibt, als sich an 12 Tönen abzurackern.

Lassen wir jetzt einmal seine zahlreichen, teilweise parallel verlaufende Amouren außen vor, weist uns eine Postkarte von ihm den rechten Weg zur alternativen Lebensart und Sinnhaftigkeit: sie zeigt den Maestro als leidenschaftlichen Seefahrer, wie er da, umtost von Wind und Wellen, eben diesen fröhlich trotzt. Glücklich die Wasser, die einen solchen Maestro tragen.

Allerdings war er nicht der einzige, der vor Kunst und Noten floh, um sein Heil anderswo zu finden/suchen. Auch von einem anderen großen Komponisten ist bekannt, dass er im Komponieren nicht das Nonplusulta des Lebens sah. Früh vollendet, sah sich auch Gioachino Rossini nach äußerst erfolgreichem Bühnenschaffen vor allem als leidenschaftlicher Koch. So verdanken wir ihm nicht nur zahlreiche Opern sondern auch noch zahllose Rezepte, die uns ebenfalls entzücken. Hier sei beispielhaft das wunderbare ‚Tournedos a la Rosini` erwähnt.

Darüber hinaus hört man von noch einigen ‚Alterssünden‘, Klavierstücke, die  wir in diesem schmackhaften Zusammenhang jetzt einmal als eine Art Petitesse werten wollen. Diese Klavierwerke sollten wir Genießer dem Komponisten aber gern nachsehen, zumal sie so appetitanregende Titel tragen wie „Gefolterter Walzer, asthmatische Etüde, chromatischer Drehteller oder Fehlgeburt einer Polka“. Vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen also eher eine Art klingendes Dessert.

Immerhin ein schönes Beispiel dafür, dass da ein großer Künstler weiß, wann es Zeit ist, in die Küche zu verschwinden oder eben, wie im Fall von Puccini, Klepperboot zu fahren.
Das freilich wissen nicht alle. So erinnerte Wolfgang Hildesheimer in einer wunderbaren Kurzgeschichte („1956 – ein Pilzjahr“) an den einhundertsten Todestag eines Mannes namens Gottlieb Theodor Pilz, dessen Verdienst wohl darin bestand, zu verhindern, dass Kunst entsteht. Leider seien die Mittel dieser Stiftung seit geraumer Zeit versiegt, weshalb überall die Kunst wieder ihr Haupt erhebt. Und so zieht es heute wieder unzählige Frauen und Männer auf der Suche nach Verdienstmöglichkeit und schöpferischem Material nach Berlin, wo sie reich gefüllte Stipentiatentöpfe vermuten, die ihnen das Erschaffen von Kunst oder zumindest Kunstähnlichem ermöglichen.

Daneben  erreichen uns in diesen Tagen aber auch andere, uns fröhlich stimmende Informationen. In Gotha, nicht weit von Berlin, hatte kürzlich der PEN getagt, die deutsche Schriftstellervereinigung, und war mit lautem Getöse zu Ende gegangen, worauf der damalige Vorsitzende, der türkischstämmige Denis Yücsel, aus für uns nicht recht erfindlichen Gründen hinwarf und dem Verband bescheinigte, er sei auf dem Weg zu einer „Bratwurstbude“.

Sollte es schöpferischen jungen Menschen also demnächst vergönnt sein, sich in einer solchen zu verdingen, lässt dies für die Literatur der kommenden Dekade hoffen. Doch scheint es gänzlich verfrüht, hinter jedem Lenker eines Tretboots auf dem Wannsee einen saturierten Dichter zu vermuten.

Allgemein Kultur Stadtstreicher

Russische Eier Teil 1

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…im Fabergé Museum in Baden-Baden

Während draußen auf den Schlachtfeldern der Ukraine furchtbare Kämpfe toben, ist es im Inneren des Gebäudes erstaunlich still. Allerdings findet auch hier, im beschaulichen Baden-Baden, ein Kampf statt, wo man im Fabergé Museum mit nicht kriegerischen Mitteln aber ebenso großer Leidenschaft die Erinnerung an die einstige Größe Russlands beschwört.

Denn gerade hier, in der Kurstadt an der Oos, hält sich – meist in Kreisen zugewanderter Russen – zäh die Mär, Baden Baden sei eine ‚russische Stadt‘. Dabei bezieht man sich im wesentlichen auf die Zeit zwischen den ersten Besuchen der badischen Zarengattin, die von Heimweh getrieben, mit ihrem Gatten ab 1700 Baden Baden immer wieder besuchte. Bis zum Ende des Zarentums sollte denn Baden Baden fortan eine der Sommerhauptstädte Europas werden, in denen sich alljährlich zur Sommerzeit der russische Adel mit all den angeflanschten Lakaien, Kurtisanen und Künstlern tummelten. Es galt, zumindest zeitweise, dem verschnakten Umfeld der aus Sümpfen geborenen Hauptstadt St. Petersburg zu entfliehen.

Last man standing. Dostojewski – der letzte Russe in Baden-Baden?

Und so setzte man sich hier in B-B fest, in neu erbauten Villen, Herrenhäusern, die allesamt in ja großdeutschem oder französischen Baustil gehalten waren. Man sprach Französisch, trank Champagner oder auch – Tschechow hat darüber berichtet – Affentaler Wein. Doch wäre es damals wie heute schwergefallen, eine genuin russische Kultur zu erkennen. Das Einzige, das einen genuin russischen Charakter trug war die Tradition der russisch orthodoxen Kirchen mit ihrer Ikonenmalerei. Vielleicht muss man nicht so weit gehen, dem Verdikt von Hugh Thomas („die Geschichte der Welt“) zuzustimmen, der sagt, es sei – bis zum Aufkommen des russischen Romans im 19. Jahrhundert – „der mittelalterliche Großpflug der einzige Beitrag der Slawen zum Fortschritt der Menschheit“.

Die Fabergé Eier jedenfalls gehören nicht dazu. Denn auch diese entsprangen, zumindest der Idee nach, französischer Handwerkskunst. Es sollte einem Franzosen hugenottischer Herkunft beschieden sein, dem Zaren und der ganzen russischen Oberschicht eine Pretiose zu schenken, die nachgerade zu einem Symbol zaristischer Herrschaft werden sollte.

Dies dürfte dem wiedererweckten Zaren namens Putin nicht entgangen sein… (Mehr demnächst. Hier.)

 

Allgemein

Russische Eier Teil 2

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Schließlich wird Russlands Zukunft derzeit vor allem rückwärts gedacht.

Hier der Besitzer der Eier mit seiner Frau. Sie ist nicht aus Marzipan. Und steht auch nicht auf einer Hochzeitstorte.

Und so verfiel er auf der Suche nach Symbolen auch auf die Fabergé Eier, die, nach den revolutionären Wirren in alle Winde zerstreut, endlich wieder heimgeholt werden sollten, ins heilige russische Reich. Fortan wurden die Neureichen von Putins Gnaden, die Oligarchen, angewiesen, in weltweiten Ostermärschen die Fabergé Eier einzusammeln und wieder in russische Hände zu legen.
Zwei, die dem Ruf unmittelbar Folge leisteten, waren denn auch der Oligarch Alexander Iwanow und sein Kompagnon Konstantin Goloschtschapow, auch „Putins Masseur“ genannt. Die beiden also ersonnen die Idee, 2009 in Baden-Baden, dem vermeintlichen Außenposten der ansonsten eher unsichtbaren russischen Seele, eine Dependance zu gründen, das‚ Fabergé Museum‘ in der Sophienstrasse, eine kleine Allee, die zur Hoch-Zeit der Russeneuphorie zahlreiche Edeladressen beheimatete, wie Bogner, Hermes u.v.a.
Das Haus, das das Museum beherbergt, ist, wie die Eintrittspreise von € 23, eher stattlich. Dafür steht an schönen Tagen vor dem Eingang allerdings auch ein saisonal bestückter Blumenkübel, der dem Besucher den Weg ins Innere weist. Anders als im aktuellen Flyer beschrieben, beschränken sich die Öffnungszeiten – sicherlich bedingt auch durch die derzeit deutlich reduzierte Russeneuphorie – auf die Kernzeiten Do-So. Das Personal besteht aus Damen russischer Herkunft im sogenannten besten Alter und auch darüber. Sie dienen, so der Prospekt, dem „Wahren, Schönen, Guten“. Sucht man mit ihnen das Gespräch, darf man darauf vertrauen, dass ihr Glaube an die vergangene Größe Russlands mindestens so große ist wie der Glaube an den deutschen Sozialstaat. Auf frühere Nachfragen hielten sie lange und tapfer daran fest, dass Russland und Deutschland eigentlich die geborenen Partner seien. Der Deutsche hätte den Ingenieursgeist und der Russe die Rohstoffe.

Im Moment aber bewachen sie bei abnehmendem öffentlichen Besucherinteresse ein Museum, dessen Inneres, nett formuliert, an ein wahrhaft großbürgerliches Wohnen im 19. Jahrhundert erinnert, mit allen Versatzstücken, die damals zum Darstellen gesättigten Daseins gehörten. Vor allem aber Salons en Masse, die nunmehr Unmengen Schaukästen beherbergen. Nicht so nett formuliert, ist es ein rechtes Durcheinander, das Wichtiges neben nicht so Wichtigem präsentiert.

So rätselt der Fabergé Freund, was das „Gold der Welt“ mit „kostbaren goldenen Kleinoden…aus vor allem präkolumbischer, asiatischer, skytischer, persischer, keltischer, römischer Herkunft bis in unsere Zeit“ zu tun hat, mit den versprochenen Pretiosen zaristischer Herrschaft. An den Wänden eine reiche Bildgalerie aus tatsächlich eben dieser Epoche, allerdings wenig strukturiert und unklar kommentiert. Natürlich Bilder der Zarenfamilie, von denen bei ruhiger Betrachtung dem Interessierten vielleicht auch das Bild der Zarin ins Auge fällt. Sie muss eine sehr schöne Frau gewesen sein, doch fällt einem ihr Blick voll großer Traurigkeit auf.

Ein Grund war sicher der damalige Zustand des Russischen Reiches, aber auch die unheilbare Krankheit des möglichen Thronfolgers. Angesichts dieser riesigen Probleme wird ein anderes Problem sicherlich nachrangig zu bewerten sein: es präsentieren sich in Schaukästen die Unmenge Zigarrettenetuis, von denen die Firma Fabergé eine größere Anzahl wohl auch an den Hof geliefert hatte. Es scheint, als sei der Zar ein großer Raucher gewesen.

Welches dieser Etuis vom Zar selbst benutzt worden war, bleibt unklar, wie so vieles in der Ausstellung. Zu selten ist klar erkennbar, was der Familie zugehörig und was nicht. Wenn die Aura eines Gegenstandes letztlich der Grund sein sollte, diese Sammlung zu besichtigen, so liegt hier der Grund nicht klar auf der Hand. Natürlich ahnt man, was für geniale Handwerker es waren, die im Auftrag der Familie Fabergé handwerkliche Meisterleistungen vollbrachten, aber eine klarere Trennung wird nicht deutlich.

Wer sich nach einem Gang durch die Ausstellung nun nach dem Eigner des Museum erkundigt, stößt auf blankes Unverständnis. Nein, der Herr Iwanow sei nicht da. Wann er denn wieder käme? Unklar, er sei nicht zu sprechen. Und die Fabergé Eier? Welche seien echt, welche nicht? Langsam wird es ihr unangenehm, und so beschließt man, das Nachfragen einzustellen. Tatsache scheint zu sein, dass in Baden-Baden wohl ursprünglich drei Eier ausgestellt waren, die man der Zarenfamilie zuordnen konnte. Diese aber hatten sich wundersamerweise irgendwie und irgendwann auf unklare Weise nach Russland abgesetzt, so wie der Herr Iwanow selbst, der irgendwann hier auch nicht mehr gesehen ward.

Was man hier in jedem Fall aber kaufen kann, sind billige Kopien der Pretiosen. Verglichen mit den ursprünglichen Kaufpreisen von z.B. € 12,5 Mio für das ‚Rothschild-Ei‘ – ursprünglich der Höhepunkt der Sammlung – sind sie hier für vergleichsweise günstige € 200 zu haben.

Russland im Ausverkauf.

 

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