Category Archives: Gastbeiträge

Allgemein Gastbeiträge Kultur

Morden Frauen anders?

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Im Museum LA8 in Baden-Baden spürt eine außergewöhnliche Ausstellung „criminal women“ nach


Konnte eine junge, wohlerzogene, attraktive Dame der Gesellschaft brutal ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen? Trotz erdrückender Beweise befand die Jury im Fall Lizzy Borden die Angeklagte für „nicht schuldig“. Gar nicht so ungewöhnlich in der internationalen Rechtsprechung, denn Verbrecherinnen haben offenbar vor Gericht häufig bessere Karten als Männer. Auf den Fall Lizzy Borden könnte sich durchaus das Motiv von Plakat und Katalog der außergewöhnlichen Ausstellung „criminal women“ im Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8 beziehen: Eine elegant gekleidete Frau im eng geschnürten Kleid der Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit einem Fuchsgesicht unter der Hochsteckfrisur.
Möglicherweise trug auch das Äußere der Angeklagten zur Urteilsfindung bei: Namhafte Wissenschaftler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts stellten aufgrund von Vermessungen der Gesichter und Körper Thesen über „typische“ Verbrecherphysiomognien auf: Niedrige Stirn, platte Nasen, geringer Augenabstand oder ausgeprägte Kiefer sowie körperliche Beeinträchtigungen wurden als „kriminelle“ Merkmale eingestuft. Ein „Kraniometer“, Leihgabe des Mannheimer Technoseums, wurde als Vermessungsgerät benutzt.


„Tatwerkzeuge“ sind ein wichtiger Bestandteil der von Jagwiga Kamola, Sabine Becker und Ksenija Chochkova Giese kuratierten Ausstellung, die für sich den erstmaligen Versuch beanspruchen kann, die Hintergründe weiblicher Kriminalität zu dokumentieren: Von dem Schwert, das die biblische Judith benutzt, um Holofernes zu enthaupten, über das Messer, mit dem Charlotte Corday den verhassten Marat tötet bis zu Abtreibungs- und Sterisilationsinstrumenten und der Axt des Scharfrichters als finalen Akt. Auch Gift spielt immer wieder eine große Rolle – nicht nur im Fall der 15-fachen Mörderin Gesche Gottfried, die aus ungeklärten Motiven ihre Opfer mit „Mäusebutter“ (Arsenik) tötete. Warum werden Frauen als Verbrecherinnen eingestuft?

Der „männermordende Vamp“ scheint eher der männlichen Fantasie entsprungen zu sein. Frauen töten aus politischen Motiven, aus persönlichem Hass oder aus Angst, werden wegen Prostitution, Abtreibung und Diebstahl verurteilt. Einen großen Bereich widmet die Ausstellung den Frauen, die von den Nationalsozialisten in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt, misshandelt oder umgebracht wurden, darunter viele Künstlerinnen, von denen teilweise erschütternde Zeichnungen erhalten sind. Texte, gesprochen von Schauspielerinnen des Theaters Baden-Baden, geben den Täterinnen und Opfern eine Stimme. Es ist das große Verdienst dieser Ausstellung, die „kriminellen Frauen“ nicht als Unschuldsengel darzustellen, sondern die Persönlichkeiten und ihre „Verbrechen“ in ihren gesellschaftlichen und politischen Rahmen zu zeigen. Viel zum Verständnis tragen die Videointerviews mit der Kriminalpsychologin Lydia Benecke zum Thema weibliche Kriminalität bei, die im Foyer des Museums laufen und auch den Fall Borden aufgreifen.
„Criminal Women“, die wahrscheinliche letzte Ausstellung im Museum LA8 vor der künftigen Nutzung als Welterbe-Dokumentationsstätte, läuft noch bis zum 29. Februar 2024, ein Begleitprogramm wird noch erarbeitet. Übrigens: Kinder werden erst ab dem zwölften Lebensjahr zugelassen – aus gutem Grund. Der Katalog zur Ausstellung – erschienen pikanterweise im Verbrecher Verlag – kostet 24 Euro.

(Irene Schröder)

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Großer Bahnhof. Keine Endstation.

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Immer wieder gern auch in der Lichtentaler Allee: John Neumeier

Als „La Grand Gare“ bietet der „Alte Bahnhof Baden-Baden“ während der Herbstwochen im Festspielhaus eine willkommene Durchgangsstation für bedeutende Ensembles, Solisten und Dirigenten. Aus dieser Erstausgabe des gemeinsamen Projekts von Benedikt Stampa und Thomas Hengelbrock soll sich in den kommenden Jahren eine neue Form des legendären Orientexpresses entwickeln, der einst die großen Stars und ihre Fans des 19. Und 20. Jahrhunderts nach Baden-Baden brachte. Auch in dieser besonderen Neuauflage soll Baden- Baden beileibe keine Endstation bleiben, sondern im Gegenteil Weichen für das europäische
Kulturleben stellen. Paris, Sizilien und – allen politischen Spannungen zum Trotz – auch Russland waren die Zielorte der musikalischen Luxusreisen mit dem Balthasar –Neumann-Ensemble unter Thomas Hengelbrock und dem Ensemble musicAeterna mit Teodor Currentzies, im Jubiläumsjahr 2023 stehen im „La Grande Gare“ unter anderem internationale Salonmusik, Chormusik aus Deutschland und Frankreich sowie Jules Massents Oper „Werther“ in Robert Carsens Neuinszenierung von Goethes Briefroman auf dem Fahrplan. Nicht per Zug wäre allerdings die Heimat der Künstler der Cuban-European-Youth Academy zu erreichen: Seit Jahren fördern Thomas Hengelbrock, der Balthasar-Neumann-Chor, das Balthasar-Neumann- Orchester und die Balthasar-Neumann-Akademie junge Talente. Spannende Ergebnisse dieser Verbindung verspricht der Abend unter dem Titel „Connexion“ am 25. November 2023.

Nicht zuletzt der Klimawandel hat erheblichen Einfluss auf die Reisetätigkeit internationaler Kunstschaffender genommen. Flugreisen sind keineswegs mehr die beste Lösung, um schnell zu einem Auftritt zu kommen. Thomas Hengelbrock und sein bunt gemischtes Vokal-und Orchestervolk haben sich daher entschlossen, das Festspielhaus Baden-Baden zu einer ihrer Residenzen mit längerer Verweildauer zu wählen. Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko verbringen bereits seit zehn Jahren die Osterzeit an der Oos, Yannick Nézet-Séguin zählt mit seinem Sommerfestival zu der absolut erstem Klasse, ebenso wie Ballettlegende John Neumeier mit seinen Hamburger Tanzstars. Die großen Reisekoffer werden zur Inszenierung des „Wintermärchens“ die Künstler des Bayerischen Staatsballetts mit „Cinderella“ nach Baden-Baden auf die Reise geschickt, aus Wien machen sich die Philharmoniker auf den Weg.

Kein Bahnhof – und sei er noch so groß – existiert ohne sein Umfeld. Und hier soll die Region noch stärker als bisher angesprochen werden. Angebote für Schüler und Jugendliche, Nutzung anderer Spielstätten in der Stadt und eine Verzahnung mit dem Welterbe-Projekt bieten sich an – schließlich profitieren auch Einzelhandel und Gastgewerbe von den Kultur- Reisenden. Beliebte Besucher holt man gern vom Bahnhof ab – vielleicht überlegen sich Stadt, Baden-Baden Events, Casino, Museen, Geschäftsleute und Gastronomen kleine „Willkommenspakete“ in Form gemeinsamer Aktionen, von denen auch die musikbegeisterten Bürger/innen profitieren, für die es kein 49-Euro-Kulturticket gibt.

Irene
Schröder

 

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Vater Rheins Goldschatz

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Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe glänzt mit einer feinen Studioausstellung

Johann Michael Voltz „Das Goldwaschen bei Carlsruhe“

Aus rund einer Tonne Flusssand können mit etwas Glück, Können und Beharrlichkeit 0,01 bis0,05 Gramm Rheingold gewonnen werden. Richard Wagners sagenhaftes „Rheingold“ samt Nibelungenring hätte schon reichlich göttlichen Beistands bedurft, um Operngeschichte zu schreiben. Geschichte und Gold scheinen ohnehin seit Menschengedenken unmittelbar miteinander verbunden – Habgier, Neid und Machtstreben,  aber auch künstlerische oder sportliche Höchstleistungen zieht das glänzende Edelmetall magisch an.

Letzte offizielle Prägung einer Münze aus Rheingold in Baden: Rheingold-Dukat, Großherzogtum Baden, Münzstätte Karlsruhe, 1854,

Für eine kleine, aber wirklich feine Ausstellung hat das Badische Landesmuseum seine Schatzkammer geöffnet. Kurator Oliver Sänger präsentiert voller Stolz schön geprägte Münzen und Medaillen in einer mit Lupe ausgerüsteten Vitrine. Die älteste Münze, die eindeutig aus purem Rheingold geprägt wurde, stammt aus dem Jahr 1674, anderen Goldmünzen wurde wahrscheinlich Gold unterschiedlicher Herkunft beigemischt. Münzen und Medaillen aus Rheingold wurden vor allem in Baden, in der Kurpfalz und Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Goldwäscherei am Rhein ihren Höchststand erreichte – dank der Begradigung des Flussbetts wurden alte und neue Vorkommen zugänglich.

Die letzte offizielle Rheingold-Münze, ein Dukat, wurde übrigens 1854 in der Münzstätte Karlsruhe geprägt, aber noch heute werden immer wieder kleine Serien von privaten Sammlern in Auftrag gegeben. Rheingold erfreut sich auch bei den Kunden und Kundinnen darauf spezialisierter Goldschmiede große Beliebtheit – in Trauringen oder modernen Schmuckstücken mit Holz oder Horn kombiniert. Wie mühsam das Geschäft der Goldwäscherei, das auch im besten Fall nie zum alleinigen Broterwerb reichte, war, ist dank eines rührigen badischen Historikers in Fotos aus dem Jahr 1911 dokumentiert. Wichtigstes Hilfsmittel war die so genannte hölzerne Goldwaschbank,
als komplettes Ensemble aus dem Historischen Museum der Pfalz ausgeliehen. Von den Gold-Nuggets konnten die Wäscher allerdings nur träumen – der immer wieder gereinigte Sand gab nur Goldflitter frei. Noch pompöser als sonst im üblichen Museumskontext wirken die als „Kontrastprogramm“ ausgestellten Teile des goldenen Toilettenservices der Großherzogin

Stéphanie von Baden. Zur Hochzeit erhielt die Stieftochter Kaiser Napoleons das in Paris gefertigte Prachtstück mit Anteilen von badischem Rheingold – auch eine politische Allianz im Schlafgemach.

Die kleine Karlsruher Ausstellung ist übrigens Bestandteil eines grenzüberschreitenden Gesamtkunstwerks: Über 30 Museen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz befassen sich mit dem faszinierenden Fluss und seiner Bedeutung für Geschichte, Kultur, Wirtschaft und Tourismus. Das „Rheingold“ glänzt noch bis zum September 2023 im Karlsruher Schloss – und Oliver Sänger freut sich besonders auf interessierte Gruppen, die mehr über Medaillen, Münzen und die Geheimnisse des Goldwaschens erfahren möchten.

Irene Schröder


Tipp: service@landesmuseum.de


Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung ARTIS-Uli Deck

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Naiv. Vielleicht. Aber großartig

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Das Museum Frieder Burda zeigt die „Maler des Heiligen Herzens“

Sammlung Zander © VG Bild-Kunst, Bonn 2022


„Ich hatte oft Gelegenheit, Kunsthistoriker und Museumsbeamte in Privatsammlungen zu führen, und ich konnte bald mit Befriedigung feststellen, dass mein persönliches leidenschaftliches Verbundensein mit dem einzelnen Objekt zu einem künstlerischeN Verstehen geführt hatte, das dem ihren, aus Kenntnissen und Theorien stammendem überlegen war. Es kam hinzu, dass ich vor einem Bild harmloser Liebhaber blieb, während es für sie eine Gelegenheit war, ihre Eitelkeit durch eine originelle Gehirnakrobatik zu befriedigen.“

Camille Bombois, Derrière le rideau, 1928, Öl auf Leinwand, 81 x 59cm, Sammlung Zander © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Dieses Zitat des schillernden Kunstsammlers, Galeristen und Autors Wilhelm Uhde entspricht einem Ausspruch von Saint-Exupérys „kleinem Prinzen“: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“


Zu Herzen gehen sie in vielen Fällen, die Bilder der „Maler des Heiligen Herzens“, die das Museum Frieder Burda noch bis zum 20. November zeigt. Mit der von Uhde bespöttelten Gehirnakrobatik kommt man ihnen nicht näher, sie verweigern sich der Analyse ebenso wie den Kunst-Gesetzen der Perspektive, sind „einfach nur authentisch“ und dabei voller Überraschungen, bezogen auf ihre Herkunft.

Henri Rousseau, Le Lion, ayant faim, se jette sur l´antilope, 1898/1905 Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler;

Ein Gärtner, der in griechischer Mythologie schwelgt (André Bauchant), eine Putzfrau mit oft halb abstrakten Naturdarstellungen (Séraphine Louis) , ein Postbote, der idyllische Landschaften erträumt (Louis Vivin), ein Jahrmarkt-Ringer, dessen Motive aus der Zirkus- und Lebewelt stammen (Camille Bombois) und schließlich der wohl bekannteste Zöllner der Kunst-Welt, Henri Rousseau, mit seiner oft exotischen, von wilden Tieren bewohnten Fantasie-Welt. Dass diese großartigen französischen Autodidakten nicht der Vergessenheit oder sogar dem mitleidigen Spott der akademischen Kunstwelt verfielen, ist ausgerechnet einem deutschen Kunstliebhaber zu verdanken, der sie 1928 erstmals in seiner berühmten Pariser Ausstellung als „Maler des Heiligen Herzens“ zusammenführte. Wohl niemand ahnte damals, dass es Vivin und Bombos auf die erste Documenta 1955 in Kassel schaffen würden, oder das der 2008 von Martin Provost gedrehte Film „Séraphine“ mit Yolande Moreau in der Rolle der später dem Wahnsinn verfallenen Putzfrau mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen bedacht werden würde. Zu den frühen Bewunderern Henri Rousseaus zählte übrigens Pablo Picasso, der ihm 1908 nicht nur ein Frauenbild abkaufte, sondern ihm zu Ehren auch ein Bankett gab, bei dem sich die Pariser Avantgarde ein Stelldichein gab. Natürlich war auch Wilhelm Uhde dabei, als Rousseau in seiner Dankesrede selbstbewusst feststellte: „Wir sind die beiden größten Maler dieser Zeit, du im ägyptischen Stil und ich im modernen.“ Naiv?
In Baden-Baden hat Kurator Udo Kittelmann nun diese „Big Five“ erstmals seit 1928 wieder in einer großen Ausstellung zusammengeführt – voller Respekt für ihre Visionen und Kunstwerke, die schon damals irgendwie aus der Zeit gefallen wirkten, und sogar nicht dem Anspruch zeitgenössischer „moderner Kunst“ entsprachen. Angesichts von Corona, Klimawandel und Ukraine-Krieg könnte man leicht in die Falle tappen, sie mit hochgezogenen Augenbrauen als „hübsch bunt“ und harmlos abzutun. Mit dieser Ausstellung appelliert das Frieder-Burda-Museum jedoch ganz im Sinne seines Gründers an die internationale Kunstwelt, sich mit der oft verkannten Sprache dieser „Heiligen Herzen“ zu befassen. Gut gewählt ist deshalb Bombois‘ Gemälde „Derrière le rideau“ auf dem Prospekt zur Ausstellung: Durch einen Spalt im Vorhang spähen Seiltänzerin und Harlekin ins Publikum – auch die Besucher im Museum können einen Blick in eine ganz andere Welt werfen – bitte ohne Gehirnakrobatik.

Irene Schröder

Allgemein Essen & Trinken Gastbeiträge

Auf der Durststrecke durchs Hungergebirge

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Wanderfreunden dringend zu empfehlen: Rucksack und Picknickkorb 
 
Das Wandern ist bekanntlich nicht nur des Müllers Lust, sondern auch Badener und Touristen schätzen die reizvollen Touren rund um Baden-Baden – nicht zuletzt deshalb wurden im Zuge des Welterbe-Zuschlags historische Spazierwege wieder ansprechend hergerichtet. Wer also das Glücksspiel scheut, sich mit Flieger oder Bahn an ein fernes Urlaubsziel zu begeben, hat wunderbare Naherholungsziele unmittelbar vor der Haustür. Eine Wanderung zur Yburg oder zur Burg Alt-Eberstein, gemütlicher Aufstieg zum Alten Schloss, Tagesausflug zur Roten Lache, Abwärtsroute vom Merkur zur Nachtigall, alles gut ausgeschildert und familienfreundlich angelegt – und auch noch sehr figurfreundlich, denn auf zünftige Bewirtung muss mittlerweile an vielen einst schon fast legendären Zielpunkten verzichtet werden.

Ein abendliches Viertele auf der traumhaften Terrasse der Yburg hatte für viele Kurstädter Kultstatus, und von der Erinnerung an die  leckeren Torten auf der „Roten Lache“ zehrt so mancher ehemaliger Stammgast noch heute, während der nüchterne Internet-Hinweis „dauerhaft geschlossen“  (auch die „Nachtigall“!) den Appetit auf eine Wanderung mit kalorienreicher Belohnung dämpft. Ein schöner Ausblick entschädigt ja für manche Anstrengung, aber ein gut gezapftes, kühles Bier ist auch eine Augenweide, die gern durch Gaumenfreuden abgerundet würde.

Kultstatus – nicht nur dank der Fernsehvergangenheit – genoss bis vor einem Jahr auch der „Forellenhof“, dessen schattige Terrasse  auf den Spaziergänger gr0ßen Reiz ausübte. Geschlossen ist nun auch das Restaurant im Alten Schloss, das sich als noble Event-Location zu etablieren versucht. Der Kiosk vor der Ruine hat zwar Getränke, einfache Speisen und Kuchen im Angebot, aber so recht festsetzen mag man sich an dem zugigen Plätzchen jetzt nicht mit. Mehr Glück hat der Ausflügler im „Scherrhof“, der mit dem Dienstag auch nur einen Ruhetag pro Woche hat, aber nur von 12 Uhr bis – laut Homepage – „ Feierabend“ geöffnet hat. „Feierabend“ war kürzlich bei einem Anruf an einem Sonntag bereits um 19.30 Uhr. Vor dem Aufbruch zu einer noch bestehenden Einkehrmöglichkeit wie „Schwanenwasen“ oder „Bütthof“ empfiehlt sich ohnehin die Nachfrage nach den Öffnungszeiten – einige Betriebe decken nur an drei Tagen in der Woche den Tisch, sind dann aber so gefragt, dass eine Reservierung angebracht ist.

„Selbst ist der Wirt“ wäre eine kostengünstige Alternative: Picknickkorb oder Rucksack mit deftiger Wandererkost und Getränken in Kühlflaschen, die an schattigen Plätzchen ausgepackt und genossen werden. Dahin müssen sie allerdings erst einmal transportiert werden … Absolut keine Option ist angesichts der Waldbrandgefahr der Würstchengrill auf einem Rastplatz.
Die Gründe für die Verknappung des kulinarischen Wanderangebots liegen laut Auskunft des Hotel- und Gaststättenverbands – wie so viele anderer Negativentwicklungen – zum großen Teil in der Pandemie: Während des großen Lockdowns sahen sich viele Köche und Servicemitarbeiter nach alternativen Arbeitsplätzen um – händeringend werden nun Ersatzkräfte gesucht, um den Betrieb halbwegs aufrecht erhalten zu können. Nicht zu stemmende Pachtgebühren, aufwändige Umbaumaßnahmen, gesundheitliche Einschränkungen – alles verständlich, aber betrüblich, wenn der potenzielle Gast mit knurrendem Magen und trockener Kehle vor verschlossener Tür steht.
Umso tröstlicher mutet dagegen ein Ort an, den der Fremde wohl nicht gleich mit zünftiger Bewirtung assoziieren würde: Der Baden-Badener Hungerberg trägt seinen Namen zu Unrecht, denn ausgerechnet dort wird im schönsten Biergarten Baden-Badens an sechs Tagen der Woche geschlotzt, gefuttert und gefeiert. Feierabend ? Selten vor Mitternacht.

Irene Schröder

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