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Allgemein Essen & Trinken Menschen Texte / Poesie

Auferstanden aus Ruinen

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Gottseidank haben wir ihn wieder. Den Eierlikör!

Lange war er weg. Das letzte Mal, da ich ihn bewusst wahrnahm, war anlässlich eines warmen Sommerabends bei der Großtante meines Vaters. Sie hieß Marie20170318_171620 und lebte mit ihrem Mann, einem fröhlich vor sich hin dilettierenden Kunstmaler, in ihrem nach einer verheerenden Bombennacht wieder eigenhändig aufgebauten Häuschen in Offenbach.

Dort saß nun mein hagerer Onkel Josef, ein nassgekauter kalter Stumpenstummel zwischen seinen Kriegszähnen, in seinem kleinen, eng zwischen den anderen Häusern eingeklemmt Gärtchen und malte: die Katze am Fenster, mit Wollknäul spielend. Der brave Landmann, hinter zwei mächtigen Kaltblütlern und seinem Pflug hergehend. Im Kreise der Enkel sehen wir die Großmutter am Spinnrad, auch hier wieder die Katze, jetzt aber Pfötchen leckend. Und dann ein Osterspaziergang, der Vater fröhlich vorneweg. Was man nach überlebten Bombennächten halt so malt.

20170318_171713Eines Tages aber erweiterte der Künstler sein malerisches Repertoire. Heidelberg und das zerstörtes Schloss wurde sein neues Sujet. Das an sich wäre noch nichts Besonderes, aber das Bild hatte auch ein ungewohnt großes Format. Dass hier in einer neuen Dimension gemalt wurde, muss schon deshalb erwähnt werden, weil eine große Leinwand damals wie heute teuer war. Ohnehin hatte meine sparsame Tante die Gewohnheit, jeden Teebeutel dreimal aufzubrühen. Zum Nachtisch gab es sonntags in Zuckerwasser gekochte Birnenschnitze. Zu jenen Zeiten war Schmalhans Küchenmeister.

Eines Tages aber saßen draußen im versteckten Hof sechs Damen auf kleinen, aus der Wohnung herbeigeschafften Stühlen. Sie beteten meinen Großonkel an, was ihn ziemlich stolz, meine Ur-Großtante aber ein wenig eifersüchtig machte. Der Grund der Versammlung war das von Onkel Josef geschaffene überaus romantische geratene Gemälde des Heidelberger Schlosses, dessen Romantik vor allem daraus resultierte, dass das Schloss – im Pfälzischen Krieg von den Franzosen in Brand gesteckt – feuerrot loderte. Dieser Eindruck wurde bei einbrechender Dämmerung zudem noch verstärkt, dass das Bild durch eine schwache Birne von hinten illuminiert wurde, was die Damen – gelinde gesagt – umhaute.

Doch das war nicht alles. Mir als Kind oblag es an diesem lauen Abend, einen vom Onkel handgeschriebenen Text aus einer Kladde vorzulesen, was ich als Kind zur großen Rührung der Zuhörerinnen auch tat. An den Inhalt erinnere ich mich nicht mehr genau. Irgendwie aber hatte der Text – stockend vorgetragen – etwas mit dem Mythos des Schlosses zu tun. Aber das war aber ohnehin zweitrangig, denn während der Beleuchtung zauberte mein stets nach kaltem Zigarrenrauch und Leinöl riechender Künstleronkel zur Entzückung seiner weiblichen Fans jetzt eine Flasche Eierlikör auf den Tisch, was von den Damen euphorisch begrüßt wurde, zumal der Eierlikör das Trendgetränk der damaligen Zeit war. „Prösterchen“, wurde gerufen, und eine der Damen senkte ihre Zunge tief ins Likörgläschen, den letzten Tropfen sich noch sichernd.

Mein Text war bald zu Ende gelesen und wurde abgelöst durch den ‚Treuen Husar‘, der aus einem dunkelbraunen Radio, aus der Küche heruntergebracht, in die von Steinmauern umfriedete Romantikenklave tönte. Die Gäste summten mit.

Irgendwann war der ‚Treue Husar‘ verklungen und die zartroten, zartblauen und zartgrünen Gläschen, in die Nachkriegszeit hinübergerettet, waren geleert (die 20170318_171842Fliegerbombe hatte also nicht alles vernichtet). Ganz in der Ferne hörte man eine Straßenbahn und immer noch kokelte das Heidelberger Schloss. Es war erfreulich spät geworden, als die Damen – ein bisschen erhitzt – sich verabschiedeten und gelobten,  doch recht bald wiederzukommen, um den restlichen Inhalt der Flasche auch noch zu trinken.

Die Damen weilen schon lange nicht mehr unter uns, und ob es dann zum Wiedersehen kam: ich weiß es nicht. Aber lange, allzu lange hat es gedauert, bis auch ich ihn, den lang Verschollenen, endlich wiedersah. Erst vereinzelt, fast verschämt, versteckt in den Regalen, in letzter Zeit aber häufiger, sich langsam in den Vordergrund und damit ins Bewusstsein schiebend. Der Eierlikör. Gelb, ölig, zähfließend.: „Ei, Ei, Ei Verpoorten. Verpoorten allerorten“.

Wir haben ihn wieder.

Allgemein Menschen

Uschis Ohr

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Oft, wenn ich dem Schleuderwaschgang meiner Bosch Waschmaschine lausche, muss ich – obwohl mittlerweile schon ein Paar Jahre her – irgendwie immer an Uschi denken. Uschi – das vorneweg – war eine der wenigen Frauen, die am Stammtisch meiner Stammkneipe wohlgelitten war.

Sie hatte ein hübsches Gesicht, das entfernt an die freundliche Physiognomien von Max & Moritz erinnerte. Auffallend allerdings waren ihre großen Ohren, wovon zumindest das rechte sie für Ihren Arbeitgeber offensichtlich so wertvoll machte, dass er sie einstellte.

Erinnere ich mich recht, arbeitet sie in der Qualitätssicherung von Bosch, wo sie mit ihrem feinen Gehör den Rundlauf kleiner Elektromotoren prüfte. Hierzu musste sie einzelne Motörchen vom Band nehmen. Dann versetzte sie deren zentrale Achse in eine Drehung, wobei sie den Elektromotor zwecks der akustischen Prüfung an ihr Ohr drückte. Waren keine Geräusche zu hören, der Lauf also tadellos, hatte das Produkt die Prüfung durch Uschis Ohr bestanden. Das Teil wanderte daran anschließend zurück auf’s Band, ruckelte weiter zum Verpacken und ging anschließend in den Versand.

Von dieser akustischen Prüfung zurück blieb bei Uschi aber meist eine Spur helles, noch unverbrauchtes Maschinenöl, das sich an ihrer Ohrmuschel absetzte. Da sie, wie eigentlich immer, gleich nach der Arbeit in die Kneipe gekommen war, schenkte sie dem Fleck keine Beachtung. Dort verblieb er folglich den ganzen Abend, quasi als fortwährendes Zeugnis ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse, was den Stammtisch lange Zeit in ein stilles Entzücken versetzte.

Ähnliches Entzücken befällt mich auch heute noch, wenn ich den über so viele Jahre klaglos runden Lauf meiner Bosch Waschmaschine bewundere. Denn wäre dem nicht so, hätte dieser Motor die Endabnahme nie bestanden, Uschis Ohr wahrscheinlich also auch nie gesehen.









Allgemein Kultur

Impression kontra Depression

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Im Museum Frieder Burda erschließen Max Liebermann und seine Weggenossen neue SehWelten

Foto: bpk / Staatsgalerie Stuttgart

Es ist kalt. Die Lichtentaler Allee präsentiert sich in trübem Grau, keine Spur von Sonne, mürrische Mienen. Und dann, nur wenige Schritte später, flirrendes Licht zwischen grünem Laub, leuchtende Blütenbeete und heitere Menschen in gemütlicher Umgebung, im Biergarten, beim Ausritt oder Baden, spielende Kinder … In den Sälen des Frieder Burda Museums umfängt den Besucher der Zauber impressionistischer Malerei – und plötzlich lächeln Menschen, die gerade noch fröstelnd den Eingangsbereich passiert haben.

Foto: Jigal Fichtner

Impression gegen Depression könnte das Leitmotiv der aktuellen Ausstellung „Impressionismus in Deutschland – Max Liebermann und seine Zeit“ lauten, wobei sich der künstlerische Bogen grenzüberschreitend ins Nachbarland Frankreich spannt, wo sich Liebermann und viele andere Künstler Mitte des 19. Jahrhunderts von dieser Kunstrichtung inspirieren ließen. Sie brachen auf den Spuren Monets, Renoirs oder Pissaros mit den herrschenden Konventionen, fingen in fast skizzenhaften Momentaufnahmen Landschaften und Alltagssituationen ein, geprägt von Farben und Lichtspielen. Dabei geht es keineswegs pastellig-niedlich zu: Künstlerporträts voller Dynamik treffen auf die tiefschwarzen Nachtgemälde eines Lesser Ury oder das triumphal-brutale Liebermann-Gemälde „Simson und Delila“.

Es überwiegen jedoch in den über 100 Meisterwerken, die aus über 60 Sammlungen ausgeliehen wurden, die leuchtend bunten Impressionen aus Liebermanns unmittelbarer Nachbarschaft rund um den Berliner Wannsee oder seiner Sommervilla, mit der sich der jüdische Künstler sein privates Refugium angesichts der drohenden politischen Entwicklungen geschaffen hatte. Schade, dass es den frankophilen Maler offenbar nie in die „Sommerhauptstadt Europas“ verschlug – die Lichtentaler Allee hätte ihn wohl zum Skizzenblock greifen lassen. Einblicke in die Entwicklung des Impressionismus in Deutschland geben bis zum Ausstellungsende am 8. Februar 2026 zahlreiche öffentliche und virtuelle Führungen und Workshops (www.museum-frieder-burda.de)

Irene Schröder

 

Allgemein

Einmal Jagdwurst, bitte!

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Jagdhund nach der Hatz (typenähnlich!)  Erschöpft und nachdenklich.

Hier soll es jetzt mal um die Wurst gehen. Von Zeit zu Zeit halten wir es nämlich für angebracht, an dieser Stelle vom Waidwerk, also von der Jagd zu berichten, die ja ohne Hunde nicht denkbar wäre. Unvorstellbar z.B. dass der Jäger sich persönlich ins Unterholz begibt, um, sagen wir mal, einen erlegten Hasen ans Licht zu verbringen. Hier kommt der Jagdhund ins Spiel, der, gut ausgebildet, weiß, was er zu tun hat: den toten Hasen nicht zu fressen, sondern ihn, wie zuvor lange geübt, ihn bei seinem Herrn abzuliefern, also zu apportieren. Üblicher-weise wartet dann eine Belohnung auf ihn.

Doch nicht jeder Tag ist Jagdtag. Sonntag z.B. eher selten, weshalb in schöner Regelmäßigkeit sich so ein Jäger von Stetten im Markgräflerland aufmacht, um nach einem ausgiebigen Spaziergang auf dem Tüllinger Berg, im „Ochsen“ in Ödlingen einzukehren. Eine schöne Strecke, die bewältigt zu haben Herr und Hund stolz sein dürfen, weshalb sich der Jäger dort im „Ochsen“ gern auch ein Glas Gutedel genehmigt. An seiner Seite sein noch junger Jagdhund, dessen Aufmerksamkeit allerdings weniger dem Weinglas seines Herren als vielmehr dem Tresen gilt, wo, aus der Küche gebracht, unverzüglich eine kleine Schüssel Wurstsalat (ohne Zwiebel) abgestellt wird, den der Jagdhund dort nach der Wanderung gern verzehrt. Anschließend treten Mann und Hund zufrieden den sonntäglichen Heimweg an. Waidwerk ist morgen.

Allgemein Auswärts Essen & Trinken Menschen

In Mutters Stübele…

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Als im SWINGERCLUB einmal gut über Vincent Klink gesprochen wurde

Auf der Suche nach der deutschen Seele tut man gut, auch schon mal bei RTL2 vorbeizuschauen. Dabei ist dieses Programm so recht geeignet, Einblicke zu vermitteln, auf die man in anderen Programmen so leicht nicht gekommen wäre. Oft genug ist man dabei hinterher klüger, halt so ganz so anders als bei ARTE.

Beschäftigt man sich bei ARTE z.B. gern mit fremden Ländern oder Völkern, besucht man bei RTL2 eher den Kiez oder auch schon mal einen Swingerclub. Expedition in die Heimat. Ins Naheliegende. Wie z.B. neulich, als man sich auf die Suche nach der heimischen Seele machte und diese in einem Swingerclub fand. Diese Art von Heimat ist in der Regel ein bisschen abgelegen, irgendwie versteckt, in Waldnähe, von Heimatsuchenden aber gut zu finden. Häufig geführt werden diese Clubs von Gastronomenehepaaren, denen der bisherige Bierabsatz nicht gereicht hatte; zum Leben nicht und nicht zum Sterben. So hat  man sich halt auf althergebrachte Formen der Gastlichkeit besonnen und umsorgt die Kundschaft jetzt nicht nur mit Bier und Cola, sondern auch mit roten Lampen, frischen Handtüchern und Präservativen.

Nicht ausgeschlossen kann dabei aber, dass dieses erweiterte Angebot den durchschnittlichen ARTE Konsumenten etwas befremdet, etwa durch eine Art gemütlicher Normalität, mit der sich die Freunde des körperbetont geselligen Zusammenseins meist am Wochenende begegnen. 

Dass Sexualität keineswegs ausschließlich etwas mit makelloser Schönheit zu tun haben muss – diese Einsicht dürfte nur den erstaunen, der noch nie bei RTL2 vorbeigeschaut hat. Dort könnte er seinen Horizont dahingehend erweitern, das im Swingeralltag andere Gesetzmäßigkeiten in den Blick rücken. 

Schönheit im herkömmlichen Sinn jedenfalls scheint keine Kategorie zu sein. Männer, deren bevorzugte Sitzhaltung sich am Gestühl ihres Wohnmobils orientiert. Paare, die vor geraumer Zeit und im beiderseitigen Einverständnis die damaligen St. Pauli Nachrichten mit Nacktbildern belieferten: „Fotografieren Sie ihren Liebling“, so der Name der gern aufgeschlagenen Seite. Doch das ist lange her.

Heute gibt bei RTL 2 vor allem das anheimelnd, gemütliche Miteinander den Blick frei auf eine zunächst etwas befremdliche Welt. Schon wie die Herrschaften an der Bar den Abend so einläuten! Da lässt man, die Pfunde stramm gefasst in Latex und Leder, beim „Aperol Spritz“ oder „Tannenzäpfle“ die vergangene Woche auf Hockern mit abwaschbarer Sitzfläche lustvoll ausklingen.

Man kennt und schätzt sich, zumal Evelyn und ihr Mann heute mal wieder aus Bietigheim-Bissingen angereist sind. Erwin z.B. findet man toll allein schon wegen seiner Art, Witze zu erzählen. Schon wie er die Pointe bringt! Da könne man sich glatt wegwerfen. Und erst die Evelyn! Die Männer schätzen sie wegen ihrer nur mühsam gefassten großen Brüste. Aber auch die Frauen finden Evelyn toll. Das liegt an den tollen Kochrezepten, die sie sich bei den Kochsendungen von Vincent Klink abgeschaut hat. Den wiederum  findet sie toll. „Wenn dem mal ein Schnitzel runterfällt, hebt er’s einfach wieder auf“.

Heute Abend z.B. erzählt sie, wie man einen richtigen Kartoffelsalat macht. Und das geht so. Kartoffel festkochend. Zwiebel andünsten. Fleischbrühe warm machen. Über die fein geschnittenen Kartoffel geben. Dem Ganzen Zeit lassen. Ziehen muss er, der Salat. Er braucht Zeit. Nur so, sagt sie im Latex schwitzend mit ihrem leicht schwäbischem Akzent, wird er ’sauguat‘. Sozusagen „schlotzig“. „Schlotzig – so hab ich ihn gern“, sagt ihr Mann und lächelt.

Wie schon zu Anfang gesagt. Wer sich auf die Suche nach dem anderen, ebenfalls wahren Deutschland aufmacht, schaue von Zeit zu Zeit gern auch mal bei RTL2 vorbei.

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