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Author Archives: Peter Ruhr

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„Es spricht nicht!“ – Neues von der Reinigungskraft !

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Also diese Reinigungskräfte…!

Frau Herta Gebert heißt die unsere, und wir hatten verschiedentlich über sie berichtet. Vielleicht ist durchgedrungen, dass ihre Fähigkeiten am Wischmop eine merkwürdige Entsprechung finden im Geschriebenen, das sie uns von Zeit zu Zeit auf den (abgestaubten) Tisch legt. So erst jetzt wieder, als sie mit einer – nun ja – kleinen Kurzgeschichte aufwartete, die uns so gefallen hat, dass wir sie hier gern auf unserer Website platzieren. Es scheint sich um eine Geschichte aus dem Leben ihrer Familie zu handeln, was umso erstaunlicher ist, als dass sie über ihre Familie bis dato nie ausführlich gesprochen hatte. Da kann man mal sehen!

Hier also die kleine Geschichte:

Es spricht nicht 

Vater spricht, Mutter spricht, aber das Kind spricht nicht. Da hilft auch kein aufmunterndes Lachen; weder Musik, Rufen, Scherzen – keine Reaktion. Das Kind, das demnächst drei Jahre alt wird, bleibt stumm. Zwar hat man den Eindruck, dass es mit seinen dunklen Augen die Welt draußen durchaus wahrnimmt. Besonders wenn es Bobbycar fährt meinte man von ihm schon leise, an ein Motorgeräusch erinnernde Geräusche gehört zu haben. Das wohl. Nur sprechen tut das Kind nicht.

Das ist umso bemerkenswerter, als dass seine zwei Jahre ältere Schwester in ihrer sprachlichen Entwicklung einen altersgerechten Verlauf verzeichnet. Sie ist lebendig und aufgeweckt undredet mit allen. Mitunter wird es einem fast schon zu viel, weshalb die Nachbarin einmal anmerkt, das Mädchen plappere ständig. Man kann es halt niemandem recht machen, denkt die Mutter und schweigt.

Und doch bleibt das Schweigen des anderen Kindes ihr eine ständige Sorge. Dabei lässt sie nichts unversucht.

So hatte das Kind erst neulich einen bunten Plastik-Laptop von „Toys are us“ geschenkt bekommen. Als dessen herausragende Eigenschaft erweist sich seine Fähigkeit zu einer Art Kommunikation mit dem Menschen. Dabei handelt es sich um eine Art ‚Frage – Antwort’ Spiel. Das in kindgerechten Farben gehaltene Gerät vermag auf eine vom Kind gestellte Frage weitestgehend sinnvolle Antworten zu geben. Diese liegen im Inneren des Gerätes auf einer Festplatte bereit.   Fragt das Kind z.B. seinen Laptop: wo ist deine Mutter? Dann erhält es zur Antwort: in der Küche. Die Frage nebst dazugehöriger Antwort wird sodann von dem Spielzeug mit einem jauchzenden Geräusch belohnt.

Aber auch andere Fragen sind möglich. Etwa nach dem derzeitigen Aufenthaltsort des Vaters. Bei dieser Frage wartet das Gerät sogar mit zwei möglichen Antworten auf. Entweder sagt eine quäkende Stimme: „Er ist im Kontor“ oder aber „Das Auto ist in der Werkstatt“. Auch dann gibt’s wieder ein jauchzendes Geräusch zur Belohnung. Offensichtlich alles richtig. Kurz: eine Fülle von Möglichkeiten könnte einem jungen dialogbereiten Menschen den Weg aus der sprachlichen Isolation weisen. Das ist viel Aufwand; das Gerät war ja auch nicht billig.

Doch alles vergeblich. Das Kind bleibt stumm.

Einmal versucht es die Familie mit einer aufwändig inszenierten Geburtstagsfeier. Doch zeigt es sich, dass die Anwesenheit so vieler möglicher Spielkameraden in der Wohnung das Kind eher verschreckt, als es zum Sprechen zu verleiten. Auch während der Feier, in Anwesenheit unzähliger Spielkameraden, geht eine seltsame Stille von ihm aus.

Eines Tages aber bemerkt die Mutter, dass der Kleine mit großem Interesse in einer Modezeitschrift blättert. Offensichtlich hat die dort abgebildete Trachtenmode seine ganze Aufmerksamkeit erregt. Doch selbst der Besuch von Loden-FREY und der Ankauf eines kleinen putzigen Trachtenanzugs vermag die Situation nicht nachhaltig zu verbessern. Angesichts der nach wie vor unbefriedigenden Situation rät der Kinderarzt, das Kind in eine Kinderkrippe zu geben. Doch sollte es nicht eine x-beliebige sein. Er hat das ‚was im Auge, wie er sagt..

Und in der Tat scheint es sich dabei um eine Einrichtung zu handeln, die ihren exzellenten Ruf auch verdient. Helle, freundliche Räume, zudem pädagogisch geschultes Personal, kurz: eine Umgebung, der man sein Kind gern anvertraut. Zudem – sagt die Krippenleiterin – stünde immer ein Arzt bereit, falls die Situation es erfordere, was aber noch nie vorgekommen sei. Sie ist eine diplomierte Sozialpädagogin. Aber, fügt sie hinzu – man weiß ja nie. Und: sicher ist sicher. Darüber hinaus empfiehlt sich die Einrichtung durch einen wirklich großen Parkplatz, ist also mit dem Fahrzeug leicht anzufahren. Aber auf eines, sagt die Leiterin, muss sie jetzt aber noch unbedingt hinweisen, und sie wisse nicht, ob sie, die Mutter des Kindes, das schon weiß: es ist eine englischsprachige Einrichtung, d.h., man spricht mit den Kindern ausschließlich englisch.

Nach Rücksprache mit ihrem Mann entschließt man sich, das Kind in die Hände des Hortes zu geben, wo es dann auch aufs freundlichste aufgenommen wird. Selbst nach einer Woche vermag die Leiterin der englischsprachigen Krippe auf Nachfrage nichts Verhaltensauffälliges an dem Kind feststellen. Nur sprechen tut es halt noch nicht.

Durchaus nicht unwillig, lässt es sich täglich von seiner Mutter morgens in die Krippe chauffieren und gegen Spätnachmittag nach Hause verbringen. Auch spielt es fleißig mit den anderen Kindern. So weit wäre also alles in Ordnung.

Leider aber bleibt das Kind auch weiterhin stumm.

Bis an einem hellen, kalten Sonntagmorgen. Die Sonne wirft ihre klaren Strahlen durch das noch mit Weihnachtssternen dekorierte Fenster des Kinderzimmers. Träumerisch an einem Faden von der Decke hängend, baumelt vor dem Fenster ein geschliffener Glasstein. Er bündelt die Sonnenstrahlen und projiziert regenbogenfarbene Lichtflecken an die weiße Wand. Alles ist still.

Da kann man deutlich hören, wie der Kleine sagt: „Yes, Sir“.

Die Mutter blickt auf, aber sie versteht nicht. Sie kann kein Englisch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Allgemein Institutionen Kultur

Die Landeshymne: „In Deutschlands tiefem Süden (da liegt das schöne Land)“

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Der Versuch ist’s wert: Ein gemeinsames Lied für  Baden-Württemberg

Es war 2002, da feierten wir das Jubiläum unseres Bundeslandes. ‚50 Jahre Baden-Württemberg’. Ein rieser Jubel, dem sich auch der SWR anschloss. Die anfangs nicht so geliebte Fusion wurde gebührend gefeiert, so auch mit einer Folge der damals beliebtesten volkstümlichen Sendung „Der Fröhliche Alltag“, über 10 Jahre moderiert von Heinz Siebeneicher und seiner damaligen Assistentin ‚Frau Wäber“.

Anlässlich dieses Jubiläums dachten sich die Macher zudem noch etwas ganz Besonderes aus: ein gemeinsames Lied, in dem sich sowohl die Schwaben als auch die Badener wiederfinden sollten. Ein Baden-Württemberg Hymne. Das war immer mal wieder versucht worden, bislang allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Das sollte sich ändern.

Die Idee war folgende: wir Badener haben ja das „Badnerlied“, und sind insofern gut versorgt. Zudem hat das Lied ja im Laufe der letzten Jahre durch die Erfolge vom KSC und vom SC Freiburg noch einmal zusätzlich einen starken Aufwind bekommen. Bei den Spielen der Vereine wird das Lied immer wieder lautstark gesungen. Anders unsere Freunde aus dem Schwäbischen. Die tun sich da ein bisschen schwerer. „Preisend mit viel schönen Reden“ – nun ja, schön und gut, aber kein Hit. Und die „Schwäbische Eisebahne“ taugt ja auch nur eingeschränkt als Hymne. Schließlich ist am Ende des Liedes die Geiß ja tot…

Geht also auch nicht. Da hatte sich jetzt ein gemeinsames Lied angeboten, das alle singen können, vor allem auch dann, wenn sich die Gesangvereine – was ja öfter passiert – gegenseitig besuchen. Und auch den Touristen beides Landesteile sollte es gefallen. So der Plan. Und so kam es denn auch.

Die Macher machten sich also dran und schufen ein Lied mit dem Titel: „In Deutschlands tiefem Süden (da liegt das schöne Land)“. Dieses Lied wurde in Anwesenheit des damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel erstmalig präsentiert. Eine Uraufführung. Mit dabei waren die Flippers, die Schwarzwaldfamilie Seitz und viele andere, die man von entsprechenden Fernsehsendungen kennt. Walter Scholz hatte den Trompetenpart übernommen, und Frau Wäber sorgte für Lacher.

Kurz, man erlebte alles, was Rang und Namen hat. Das reine Vergnügen. Dementsprechend war auch die Einschaltquote: mehr als 1 Million Zuschauer waren Zeuge dieser sängerischen Geburt und waren dementsprechend begeistert.

Das Ereignis sollte man sich bei Youtube (www.youtube.com/watch?v=fdiCsQVE9f4) unbedingt mal ansehen! Ein rundum fröhliches Lied, das die Herzen der Menschen ergreift.

Nun, dachten die Macher, wäre es, nach so vielen Jahren, vielleicht an der Zeit, sich das Chor-Projekt nochmal vorzunehmen. Denn eines wird beim Betrachten und Hören klar: es ist ein richtiger Ohrwurm geworden. Einmal gehört und schon lässt er einen nicht mehr los. Ein Hit.

Hier also erst mal ein Textausschnitt.

                          In Deutschlands tiefem Süden, da liegt das schöne Land,

und allen, die wir’s lieben, ist dieses wohlbekannt.

Vom Schwarzwald bis zum Bodensee, von Stuttgart bis zum Rhein:

im Ländle Baden-Württemberg, ja da sind wir daheim.

 

Ein jeder Weinfreund weiß genau, hier wächst der beste Wein.

Kein Wunder, denn er wird verwöhnt von recht viel Sonnenschein.

Und fleißig sind wir allesamt, die Badener wie die Schwaben.

Doch ist die Arbeit dann getan will Freude man auch haben.

 

Mit Schiller, Hebel, Hölderlin, das Land hat große Geister,

und voller Stolz erfreun’ wir uns am Werk der großen Meister.

Von Freiburg grüßt der Münsterturm, von Ulm der Turm nicht minder.

 Gott segne dieses schöne Land und seine Landeskinder.

 

In Deutschlands tiefem Süden…

Dafür gibt’s natürlich auch noch Noten, für Männer- oder gemischten Chor. Und dazu auch noch erhältlich den vollständigen Text. Weiter  das Halbplayback aus der SWF Sendung.. Damit hat man auch eine tolle, professionelle Begleitung für den Auftritt. Einfach mal melden. Am besten  über das Kontaktformular des www.badenblogger.de!

Ansonsten wird sich auch der Schwäbische Chorverband (http://www.s-chorverband.de/) sich mit dem Thema befassen. So hat der Verband angekündigt, in der Septemberausgabe des Verbandorgans SINGEN! sich in einem Beitrag mit dem Thema zu befassen. Also auch dort einfach mal vorbeischauen! Es lohnt sich.

Allgemein Stadtstreicher

Die Meistersinger aus Tibet

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800px-Bhutan_10Kein Zweifel. Baden-Baden ist eine durch und durch musikalische Stadt. Das fängt ja schon mit Richard Wagner an, dessen Bayreuth um ein Haar in Baden-Baden gestanden hätte. Von der Idee übrig geblieben ist heute leider nur noch ein Gymnasium gleichen Namens. Später kam dann ja das Festspielhaus hinzu, das neuerdings neidisch mitansehen muss, dass die besten russischen Sänger sich in der Fußgängerzone die Klinke in die Hand geben.

Im Sommer gibt’s von Zeit zu Zeit das Kurkonzert einer Blaskapelle aus einer Reblandgemeinde. Manchmal haben wir auch noch einige Kinder an der Blockflöte, die sich das Taschengeld aufbessern. Und dann gibts ja auch noch Marc Marshall, der aber nicht so oft singt. Und wenn, dann am liebsten bei schönem Wetter, denn dann werden seine tollen Schuhe und die Hosenträger nicht schmutzig.

Was wir aber kürzlich in der Fußgängerzone hatten, war ein exotisches Gesangs-Ensemble. Von der Statur her war das Ensemble ziemlich klein, untersetzt, ja, irgendwie quadratisch. Sie kamen wahrscheinlich aus den Anden. Oder aus Tibet. Doch, aus Tibet hätten sie eher sein können, denn sie haben total hoch gesungen, und weil man im Himalaya einen etwas anderen oder sagen wir: gestreckten Zeitbegriff hat, sangen sie auch ziemlich lang. Lang und hoch. Tibet halt.

Das wäre mir gar nicht so aufgefallen, wenn sie ein anderes Lied gesungen hätten, vielleicht noch ein Lied, ein zusätzliches also. Sie hatten jedoch nur eines dabei gehabt. Ich hatte aufgepasst, denn nachdem ich € 2 gespendet hatte, blieb ich noch ein ganzes Weilchen stehen.

Weil sie nun aber über eine längere Zeit immer wieder dieselbe Melodie sangen, konnte ich mich auf den Text konzentrieren, der sich freilich, soweit ich des Tibetischen mächtig bin, immer wieder änderte. Sehr viele Strophen drangen also an und in mein Ohr. Vor allem die vielstimmigen Frauenstimmen setzten mir zu. Ich denke jetzt mal, das war so ein tibetanisches Heldenepos, eine Art Odyssee der Berge. Allerdings – wie schon gesagt – ein bisschen gleichförmig.

Der ältere Herr neben mir hatte wohl ein Gefühl, das in die ähnliche Richtung ging, denn immer wenn ich ihn ansah, pendelte er mit seinem Körper ganz sachte nach vorne und dann nach hinten. Es war offensichtlich: er ging mit der Musik mit. Sie hatte ja auch etwas Meditatives.

Nach etwa 20 Minuten – meine € 2 waren inzwischen aufgebraucht – bin ich kurz nach Hause. Ich wollte nur kurz meine Kamera holen, um das Ereignis für den BLOG zu bebildern. Beim Weggehen dachte ich noch, dass allenfalls die Enkelkinder des älteren Herren das Ende des gesungenen Epos noch erleben würden. Deshalb beeilte ich mich nicht übermäßig mit meiner Rückkehr, zumal die Frauenstimmen beim Weggehen noch ganz kräftig klangen. Als ich dann wieder zurückkam, war die Gruppe weg. Plötzlich hatte es sich ausgesungen. Stille. Es war, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Vielleicht war der ganze Chor in eine von ihm selbst besungene Gletscherspalte gerutscht? Man weiß ja nie.

Und der ältere Herr, der war auch nicht mehr da. Ich schätze, den hatten sie gleich mitgenommen bei ihrer Höllenfahrt.

PS So wie auf dem Bild, hatte der Chor nicht ausgesehen.

Menschen

Das große Herz

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Eine Richtigstellung, Leo Wohleb betreffend

Wir hatten uns an dieser Stelle in letzter Zeit verstärkt mit unseren schwäbischen Brüdern und Schwestern befasst. Nun glaubten wir, dem Thema sei vorerst Genüge getan. Da erreichte uns kürzlich eine Meldung, die es dringend erforderlich macht, sich des Themas noch einmal anzunehmen. Um was dreht es sich?
Die Rede ist von einem braunen Umschlag, der vom Ministerpräsidenten des Landes Baden -Württemberg dem Staatsarchiv in Stuttgart übergeben worden war. Der Inhalt: Informationen über den Sterbeort und die mögliche Todesursache des letzten, des großen Staatspräsidenten von Baden, Leo Wohleb.

Gerüchte unappetitlichster Natur hatten zuvor die Runde gemacht, was dazu geführt haben mag, dass voller schaudernder Abscheu die pietistischen Vertreterinnen der innerministeriellen Kehr-wochen das braune Couvert von Zeit zu Zeit abstaubten.

Wie verhielt es sich nun aber mit Leo Wohleb? Dieser war, nachdem er sich im Kampf für ein Bundesland Baden den Heimtücken und Winkelzügen der Baden-Württemberg Fraktion geschlagen geben musste, von Konrad Adenauer mit dem Posten des deutschen Botschafters in Portugal betraut worden. 1955 begleitete er in dieser Aufgabe den portugiesischen Gesandten nach Frankfurt, wo der Badener dann aber leider an einer plötzlichen Herzlähmung verstarb.

Hier gilt es zunächst einmal festzuhalten, dass Leo Wohleb im Amte verschied. Das bedeutet, dass sein lediglich 1,55m großer Körper den Strapazen der Aufgabe nicht mehr gewachsen war. Es verhielt sich ja sicherlich so, dass er den besagten Abend mit seinem portugiesischen Kollegen verbracht hatte, und wer weiß, wie anstrengend Portugiesen sein können, mag ermessen, wie groß das Opfer für den kleingewachsenen Badener gewesen sein muss. Nachdem er den Kollegen endlich los war, gedachte er der noch jungen Bundesrepublik einen Gefallen zu tun und zog vom noblen und teuren Hotel ‚Frankfurter Hof‘ in ein preiswertes Hotel in Bahnhofsnähe. Das ist nur zu verständlich, weil er wahrscheinlich am nächsten morgen früh los wollte, um den Zug nach Lissabon nicht zu verpassen.

Man mag sich so richtig vorstellen, wie der verdiente Kämpfer für unser geliebtes Baden vor dem Zubettgehen in diesem „Hotel minderer Güte“ (so der Politologe Hans-Georg Wehling) wohl noch ein letztes Glas nahm, ganz einfach, um noch ein bisschen abzuschalten, vielleicht auch, um irgendwie runterzukommen.

Als gebildeter wie sozialer Mensch hatte er stets als eines seiner Vorbilder den Berliner Studentenseelsorger Carl Sonnenschein bezeichnet, der „das praktische soziale Engagement als Mittel zur Wiedergeburt des katholischen Menschen“ einforderte. Diesem Geiste wusste sich Leo Wohleb Zeit seines Lebens verpflichtet, bis er in diesem Geiste zu guter Letzt der Bedienung in dem Hotel sicherlich noch ein Piccolöchen spendierte, dabei das soziale Gespräch suchte, um dann, erfüllt von seiner Passion der tätigen Menschenliebe, das Zeitliche zu segnen. Er war am Ende seines Lebens angekommen.
Dass der Frankfurter Polizeipräsident anschließend „für diskrete Verbringung in ein Krankenhaus“ gesorgt hatte – nun, ja, was hätte man sonst tun sollen?

Jedenfalls hatte ein großes badisches Herz aufgehört zu schlagen. Die Bedienung und wir alle vermissen ihn.

Allgemein Gastbeiträge Kultur

Morden Frauen anders?

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Im Museum LA8 in Baden-Baden spürt eine außergewöhnliche Ausstellung „criminal women“ nach


Konnte eine junge, wohlerzogene, attraktive Dame der Gesellschaft brutal ihren Vater und ihre Stiefmutter mit der Axt erschlagen? Trotz erdrückender Beweise befand die Jury im Fall Lizzy Borden die Angeklagte für „nicht schuldig“. Gar nicht so ungewöhnlich in der internationalen Rechtsprechung, denn Verbrecherinnen haben offenbar vor Gericht häufig bessere Karten als Männer. Auf den Fall Lizzy Borden könnte sich durchaus das Motiv von Plakat und Katalog der außergewöhnlichen Ausstellung „criminal women“ im Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8 beziehen: Eine elegant gekleidete Frau im eng geschnürten Kleid der Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit einem Fuchsgesicht unter der Hochsteckfrisur.
Möglicherweise trug auch das Äußere der Angeklagten zur Urteilsfindung bei: Namhafte Wissenschaftler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts stellten aufgrund von Vermessungen der Gesichter und Körper Thesen über „typische“ Verbrecherphysiomognien auf: Niedrige Stirn, platte Nasen, geringer Augenabstand oder ausgeprägte Kiefer sowie körperliche Beeinträchtigungen wurden als „kriminelle“ Merkmale eingestuft. Ein „Kraniometer“, Leihgabe des Mannheimer Technoseums, wurde als Vermessungsgerät benutzt.


„Tatwerkzeuge“ sind ein wichtiger Bestandteil der von Jagwiga Kamola, Sabine Becker und Ksenija Chochkova Giese kuratierten Ausstellung, die für sich den erstmaligen Versuch beanspruchen kann, die Hintergründe weiblicher Kriminalität zu dokumentieren: Von dem Schwert, das die biblische Judith benutzt, um Holofernes zu enthaupten, über das Messer, mit dem Charlotte Corday den verhassten Marat tötet bis zu Abtreibungs- und Sterisilationsinstrumenten und der Axt des Scharfrichters als finalen Akt. Auch Gift spielt immer wieder eine große Rolle – nicht nur im Fall der 15-fachen Mörderin Gesche Gottfried, die aus ungeklärten Motiven ihre Opfer mit „Mäusebutter“ (Arsenik) tötete. Warum werden Frauen als Verbrecherinnen eingestuft?

Der „männermordende Vamp“ scheint eher der männlichen Fantasie entsprungen zu sein. Frauen töten aus politischen Motiven, aus persönlichem Hass oder aus Angst, werden wegen Prostitution, Abtreibung und Diebstahl verurteilt. Einen großen Bereich widmet die Ausstellung den Frauen, die von den Nationalsozialisten in Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt, misshandelt oder umgebracht wurden, darunter viele Künstlerinnen, von denen teilweise erschütternde Zeichnungen erhalten sind. Texte, gesprochen von Schauspielerinnen des Theaters Baden-Baden, geben den Täterinnen und Opfern eine Stimme. Es ist das große Verdienst dieser Ausstellung, die „kriminellen Frauen“ nicht als Unschuldsengel darzustellen, sondern die Persönlichkeiten und ihre „Verbrechen“ in ihren gesellschaftlichen und politischen Rahmen zu zeigen. Viel zum Verständnis tragen die Videointerviews mit der Kriminalpsychologin Lydia Benecke zum Thema weibliche Kriminalität bei, die im Foyer des Museums laufen und auch den Fall Borden aufgreifen.
„Criminal Women“, die wahrscheinliche letzte Ausstellung im Museum LA8 vor der künftigen Nutzung als Welterbe-Dokumentationsstätte, läuft noch bis zum 29. Februar 2024, ein Begleitprogramm wird noch erarbeitet. Übrigens: Kinder werden erst ab dem zwölften Lebensjahr zugelassen – aus gutem Grund. Der Katalog zur Ausstellung – erschienen pikanterweise im Verbrecher Verlag – kostet 24 Euro.

(Irene Schröder)

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