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Die Bewegungsmelder

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Tai-Chi in der Lichtentaler Allee. Zum Public Viewing nach Baden-Baden 

Tai Chi ist nach Auskunft aller, die sich damit befassen, eine tolle Angelegenheit. Ursprünglich verstand man darunter eine ‚innere’ Kampfkunst (chinesisch 內家拳). Allerdings hat sich die Kampfkunst im Laufe ihrer mitteleuropäischen Zivilisierung zu einer Art Gymnastik entwickelt, die auch den nicht beteiligten Beobachtern höchsten Respekt abfordert. Das kann man immer mal wieder auch in der Lichtentaler Allee in Baden-Baden beobachten, wo selbst normale Deutsche vor einer staunenden Öffentlichkeit sich im Tai Chi üben. Außenstehende erinnert es mit seinen fließenden Bewegungen an eine Art Schattenboxen in Zeitlupe.

Unterzieht man sich diesen Übungen, könne man den körpereigenen Kräftefeldern behutsam nachspüren, so heißt es. Auch innerkörperliches Fließen, vielleicht von Ying nach Yang (oder so), kann empfunden werden.

Kurz: die Freunde dieses öffentlich und geräuschlos ausgeübten Kampfsports fühlen sich auch in seiner zivilen Variante in ihrer Persönlichkeitsentwicklung ziemlich gestärkt. Auf Nachfrage sagen sie so Sachen wie: übt man das Tai Chi aus, ist man irgendwie bei sich. Außerdem ist immer mal wieder von einer Art innerer Entschlackung die Rede. Ja, hätte man sich den Übungen unterzogen, sei das total geil. Anschließend fühle man sich  super drauf und auch noch pumperlg’sund.

Das muss ein Russe in der Allee gestern gründlich missverstanden haben. Am oberen Ende der Pferdewiese stehend, war er, von kurzer gedrungener Gestalt, ein ziemlich massiger Mann. Er trug den von slawischen Männern so geschätzten Adidas Trainingsanzug mit seinen drei seitlichen Streifen. An sich nichts Bemerkenswertes, hätte er an diesem vorfrühlingshaft kalten Morgen dort in aller Öffentlichkeit nicht die russische Variante des Tai Chi gepflegt.

Offensichtlich war es ihm gelungen, eine massive Eisenkugel nach Baden-Baden zu schaffen. Diese erinnerte entfernt an die Modelle, mit denen früher arme Sünder in den Verliesen fixiert wurden. Weiter hatte er bei sich eine Eisenstange, die er in ein Loch der Kugel schob. Jetzt konnte er die Stange plus Kugel als Hantel benutzen.

Wenn wir dem Tai Chi mit all seinen Bewegungsabläufen meditationsanregende Fähigkeiten zugestehen, dann bestand die von dem Russen gepflegte Variante nun aber darin, die Stahlstange mit der Stahlkugel um seinen Hals, aber auch um den massigen Oberkörper kreisen zu lassen. Dann ging er ein bisschen in die Hocke, wippte, nahm seine Bürde wieder auf und auf einmal schrie, nein, er brüllte furchtbar laut irgendwelche russisch klingende Wortfetzen. Dann wieder hoch die Kugel, entschlossenes Kreisenlassen des Gewichts auf Oberkörper und Schulterpartie. Dann Brüllen. Danach Wippen. Kurzes Hochreißen, Kreisen. Brüllen. Wippen.

Man wird verstehen, dass die lautstarke Übung bei den Spaziergängern einige Irritation auslöste. Aber noch jemandem anderem gab sie zu denken. Am nahen Ufer der Oos stehend, blickte ein Fischreiher kurz auf, wechselte das Standbein, und irgendwie sah es aus, als würde er sich fragen: was ist denn das für ein komischer Vogel?

Allgemein

Poesie in Flaschen

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Von der Schwierigkeit, einen Schluck in Worte zu fassen

Eine gute Bekannte von mir lebt vom Wein, ja, eigentlich vom Wein der Anderen. Mittlerweile ist sie eine renommierte Weinfachfrau, eine Sommeliere. Um es soweit zu bringen sollte man eine solide Ausbildung haben, die sie denn auch hat. Nach zahlreichen strengen Prüfungen darf sie sich also seit geraumer Zeit mit der Berufsbezeichnung Sommeliere schmücken, ein Beruf, der neben einem sensiblen Gaumen auch große Kenntnis der Rebsorten, der Anbaugebiete etc erfordert.

Nun lebt so jemand zwangsläufig nicht nur vom bloßen Genießen der edlen Tropfen, sondern es bringt der Beruf so mit sich, dass man nach einem prüfenden Schluck auch über den Tropfen spricht. Und zwar in einer angemessenen Weise. So genügt es z.B. nicht, einen edlen Wein schlichtweg als ‚Granate‘ zu bezeichnen sondern man sollte – nachdem einen so eine Granate getroffen hat – schon in der Lage sein, diesen Glückstreffer zu erkennen, um ihn dann uns, dem Leser, auch einen solchen zu vermitteln. Hierzu bieten sich eine große Anzahl von Magazinen an, die sich ausschließlich mit dem Thema ‚Wein‘ beschäftigen. Ein großer Platz in diesen Heften nimmt die Bewertung dieser zahlreichen Weine ein. Hierzu bedienen sich die Weinprüfer eines ausgeklügelten Wortschatzes, der uns Außenstehenden vermitteln soll, was im Gaumen des Testers so abgeht, wenn der Tropfen explodiert.

Um das hier einmal näher zu erläutern, sollten wir vielleicht einmal einen Blick in die einschlägigen Journale werfen, die allesamt ziemlich gut das abbilden, was der durstige Weingenießer an einem möglichen Tropfen zu schätzen weiß.

Die sogenannte Verkostung beginnt zweckmäßigerweise mit dem Entkorken der Flasche. Daran anschließend beginnt das kleine Einmaleins des Weinbeschreibens, in der Regel mit der Assoziation des Obstgeschmacks, mit der der Weinjournalist seine Verkostung umreißt. „Brombeere, Schwarze Johannisbeere, Blaubeere“ – das ist schon mal ein guter Einstieg in die Verkostung. Da kann man nichts falsch machen.


Dann aber schmeckt der (oder die) Weinkundige, dass der Traube doch vielleicht mehr innewohnt als bloße Beeren. Er schmeckt jetzt auch: “Quitte, reifer Apfel“. In einer anderen Flasche meint er „weißer Pfirsich“ herauszuschmecken, zudem macht sein Gaumen „Mandarine, Aprikose, Buttermilch“ aus, vielleicht auch noch „Vanille, reichhaltig“.

Ein „fruchtiger Duft von Schattenmorelle“ gemahnt wieder eher an den Obstgeschmack: „fruchtiger Duft von Schattenmorelle“ heißt es da, und in der Flasche nebenan paarte sich bei einer Verkostung wundersamerweise „Aprikosengelee“ mit „Darjeeling-Tee“

Doch weiter geht’s mit unserem hurtigen Streifzug durchs terminologische Unterholz. Auf der Seite 94 eines solchen Magazins bescheinigt man einem „Montlouis-sur-Loire“ zu € 23,70, er sei ein „ansprechender Naturbursche. Am Gaumen finessenreich und gute Struktur“. Da kann man ihm nur zurufen: Glück gehabt! Den „Vouvray AOC Le-Haut-Lieu Sec 2021“ (€ 29,90) hat es da härter getroffen. Ihm bescheinigt man, er sei etwas ‚Seifig‘. Immerhin seien hier „Gute Leute am Werk, die einen jungen, zupackenden Chenin Blanc präsentieren“.

In einem anderen Geschmacksportfolio verbergen sich: „Brioche. Feuerstein“, in einem weiteren hingegen schlummert der Geschmack von „Bohnerwachs und Zigarrenkiste“.

Da hatte ein Tester anscheinend schon einen animierenden Schluck genommen. Sein Kollege riecht erst mal am Glas („Odor“) und bescheinigt dem Wein: „Die Nase zunächst ein wenig medizinal, Hansaplast“. Ein weiterer Wein „zeigt sich animalisch und wild, erinnert an Moschus, Rosshaar und Heu“.

Nicht genug. Dem interessierten Leser machen die Glaspoeten noch Lust auf noch mehr, z.B. auf “ Mandarinenschale – Orange – Mango – Banane“. Klar. Und weiter? Auf einen „Hauch Schnittlauch“, „Kirsche. Unterholz“ und was einem halt so alles noch einfällt, wenn man berufsbedingt den Mund voll nimmt.

Kurz, man weiß nicht so recht, ob die selige Weinzunft die neue Art zu texten mittels ChatGPT freudig erwarten oder fürchten muss. Denn eines scheint klar: das wiederholte Aufrufen verschiedener Obstsorten zur Geschmacksbestimmung der Weine ist auf die Dauer doch etwas ermüdend. Neue Terminologien werden bemüht. So nimmt sich der Weinkritiker der WAS die Cuvee l’Antique 2021 der Domaine Roc de l’Abbaye deskriptiv zur Brust. Er bescheinigt dem Wein, dieser sei geschmacklich „auf eine eigene Art vielschichtig“. Eher „…gering ein Brie…der gerade aus dem Kühlschrank geholt wird…“ Ach, was! Eigentlich erinnert ihn der Wein an „…feuchte Senfsaat und ein gerade ausgewaschener Aschenbecher, in dem jetzt Stücke einer Honigmelone liegen“.

Diese wenigen hier angeführten (und echten!) Beispiele mögen verdeutlichen, dass es beim Betrachten der üblichen Begrifflichkeiten dieser Branche wohl nicht ausgeschlossen werden kann, dass man sich mit heiterem Fabulieren über die tägliche Distanz rettet. Denn in der Tat muss und soll über Wein geschrieben werden, nur scheint keine oder keiner so recht zu wissen, wie das ernsthaft zu bewerkstelligen ist. So hat man sich im Laufe der Zeit auf eine Terminologie geeinigt, die alles oder nichts meint. Denn wie anders soll man verstehen, wenn eine Geschmacksbeschreibung einem Gang durch die Obstplantagen ähnelt, wenn „Jod. Eisen, praktisch ohne Frucht“ bemüht wird, um einen Tropfen zu klassifizieren?

Über all das könnte man sich amüsieren. Man könnte im Zustand seliger Betrunkenheit den Formulierungen vor Ort im Glas nachspüren und sich darüber nüchtern lachen. Und doch ist nicht auszuschließen, dass von diesen oben formulierten ‚Expertisen‘ Existenzen abhängen, Weingüter, die nach Erscheinen der Weinpublikationen mit angehaltenem Atem das eben gesprochene Urteil ernst zu nehmen sich gezwungen sehen.

Da wird man schon froh sein, wenn einem die fröhliche Sommeliergemeinde bescheinigt, bei dem getesteten Wein sei ein „fantastischer Trinkfluss garantiert“, oder, wie meine Bekannte oft genug mit lobendem Unterton festhält, der eben verkostete Wein sei „ein Wein zum Trinken“.






Allgemein Essen & Trinken

Ode an den Wurstsalat

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Gerade in diesen so überaus harten Zeiten, sollten wir uns hier kurz und wehmütig an die Leib- und Magenspeise erinnern, die uns stets, in guten wie in schlechten  Zeiten unseren Bierdurst erst so richtig abrundet. Es ist der Wurstsalat.

Natürlich braucht es dazu keine Wirtschaft. Wir können den Wurstsalat auch daheim essen. Schließlich gibt’s Ringe aus Fleischwurst überall. Auch wird es in der heimischen Küche an Öl, Zwiebeln und auch an Essig nicht fehlen. Aber gerade im Verzicht auf den Wurstsalat daheim liegt ein Stück weit das große Glück dieses besonderen Genusses. Dem sollte man sich am besten im Freien hingeben.

Wenn wir ihn da essen wollen, wo er hingehört, fällt uns voller Sehnsucht natürlich gleich mal der Biergarten ein. Die Sonne scheint, der Kies knirscht. Ab und zu lässt der Baum, in dessen Schatten wir trinken, ein Blatt leise zu Boden fallen. Wir haben unsere Zeitung dabei. Das Oldtimer Cabrio steht mit offenem Verdeck vor der Wirtschaft. Dort, wo von Zeit zu Zeit unser Blick hin wandert. Die Bedienung, die uns kennt, ruft schon von Ferne: wie immer? Aber sicher! Und dann kommt’s. Erst kommt das Bier, und dann haben wir auch noch den Salat. Den Wurstsalat. Sieht fast nach einem Wunder aus, wie er da so vor uns steht.

Doch auch ein Wunder will angerichtet sein. Denn was sich so einfach anhört, ist so einfach nicht. Ein Wurstsalat ist – auch wenn man es ihm nicht ansieht – ein komplexes Gebilde. Es gibt ihn zunächst ganz einfach als Wurstsalat. Dann aber geht’s schon los. Es gibt ihn in der Variante ‚Straßburger‘ Wurstsalat, also mit Schweizer Käse. Oder aber auch als ‚Elsässer‘ Wurstsalat, was aber das Gleiche ist. Manche Bedienungen fragen nach. Sagt man ‚Straßburger’, sagen sie ‚Elsässer‘? Sagt man ‚Elsässer‘ fragen sie ‚Straßburger‘? Scheint, als wartet auf den Genießer eine ganze Palette von geschmacklichen Möglichkeiten.

Im Schwäbische gibt’s z.B. noch den ‚Schwäbischen Wurstsalat“ (richtig erraten!), der sich vom Badischen (oder Elsässer) darin unterscheidet, dass er mit Schwarzwurst zubereitet wird.

Die Fleischwurst sollte dünn geschnitten sein, nicht zu viel Öl und schon gar nicht zu viel Essig. Grundsätzlich sollte er gut durchgezogen sein, aber anderseits auch wieder nicht zu lange. Nicht, dass da was Lätschiges vor uns im Teller liegt. Manche raspeln den Käse flockenartig über die Wurst. Auch gut. Vor allem hat man das nicht alle Tage. So gesehen ist ein Wurstsalat ein bisschen wie ein Überraschungsei. Man weiß nie, was man kriegt.

Das kann einem in Bayern nicht passieren. Der Wurstsalat, den sie uns da auftragen, ist in der Regel ein merkwürdiges Ding – man kann es nicht anders sagen. Da schwimmen doch tatsächlich Fleischwursträdchen in einer Mischung aus Wasser und Essig, soviel Flüssigkeit, dass die Wurst da drin kaum Luftholen kann. Hat man viel Glück, hat das Personal die Hälfte der Soße beim Anmarsch schon verschüttet. Sonst besorgen sie es beim Abstellen des Tellers. Den verbleibenden Rest kann man mit der meist extra in Rechnung gestellten ‚Semmel‘ kaum auftunken. Was bleibt, ist oft genug eine vollgekleckerte Hose, immer noch Hunger und ein Zwiebelgeschmack im Mund, der uns beim nächstes Mal einen (meist exzellenten!) Schweinebraten bestellen lässt.

Ansonsten hätte auch hier gegolten: weniger Zwiebeln sind mehr. Wie zu viel Knoblauch ein Essen komplett verhunzen kann, so kann einem das auch mit dem ‚Überzwiebeln‘ passieren. Klein-geschnitten sollten sie sein, die Zwiebelchen. Eine zarte Beimischung. Sind es zu viele, drängen sie sich geschmacklich in den Vordergrund, wo sie nicht hingehören. Wenn’s halt trotzdem mal passiert, muss ein Schnaps her.

Ist man soweit gekommen, braucht es jetzt eigentlich nur noch meine Lieblingsbeigabe. Aufgeblasene Schreiberlinge würden das eine ‚kongeniale Ergänzung‘ nennen. Wir aber nennen es Bratkartoffeln. Manche sagen Brägele, was in Ordnung geht. Hauptsache, man weiß, was gemeint ist. Das Dümmste allerdings ist, wenn man uns sogenannte ‚Bratkartöffele‘ andrehen will. Da krieg ich die Krise.

Ansonsten habe ich die Bratkartoffeln gern fein geschnitten. Können auch ein bisschen fett sein. So zünden sie die nächste Stufe in der Geschmacksrakete. Natürlich tut’s Brot auch, erfahrungsgemäß sparen Wirte aber oft am Brot. Sehe ich manchmal die zwei Scheiben auf dem Teller, kommt es mir vor, als würde ich die schon vom ALDI kennen. Dem entgeht man, wenn man gleich der Bratkartoffel sein Ja-Wort gibt. Brot kann dann weg. Ich persönlich finde, dass erst durch die Beilage – die alte DDR hätte es eine ‚Sättigungsbeilage‘ genannt – so ein Wurstsalat zu einem richtigen Essen wird.

Das Hors d’oeuvre kann dann entfallen. Das Dessert nehmen wir morgen. Selbst wenn die Wetterlage stabil scheint, tut man im Biergarten gut daran, sich auf’s Wesentliche zu konzentrieren. Auf einen Wurstsalat.

Allgemein Essen & Trinken

Essen auf Rädern

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220px-ICE_3_FahlenbachGestern war’s wieder mal toll im Zug. Er war pünktlich abgefahren, und kaum hatte er den Bahnhof verlassen, duftete es nach Essen, dass es nur so eine Art hatte. Was geruchsmäßig schon mal ganz toll roch, waren zunächst Fleischküchle mit Kartoffelsalat, beides  mit offensichtlich hohem Zwiebelanteil. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang auch den einzigartigen Duft von Romadur auf  Baguette! Weiter registriert die Nase ‚Sushi‘, aber auch Curryhühnchen an Reis. Immer wieder gern genommen. Hatte ich schon vom Salat mit Knoblauchdip erzählt? Und von dem unverwüstlichen Speisekartenknaller: kaltes Schnitzel ‚Wiener Art’, ebenfalls ergänzt durch einen Kartoffelsalat, der durch die Beigabe von etwas Knoblauch an Geschmack und Geruch sogar noch zulegen kann?

Wem jetzt schon mal das Wasser im Mund zusammenläuft, der sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass sich diese wunderbaren und unverwechselbaren Düfte keineswegs am dafür vorgesehenen Ort, nämlich im Speisewagen, entfalten, sondern im Großraumabteil des ICE von München nach Karlsruhe, wo man schon mal den Eindruck hätte gewinnen können, der 2. Weltkrieg sei eben zu Ende gegangen. Froh, dem Grauen entkommen zu sein, reist man jetzt durch das Nachkriegsdeutschland. Vielleicht arm an Geld, aber unzweifelhaft reich an mitgebrachtem Proviant.

An manchen Tagen scheint es, als wäre eine normale Zugfahrt nicht mehr vorstellbar ohne das, was man früher vielleicht als das große Fressen bezeichnet hätte. Kurz: der ganze Wagen stank nach Essen, dass man mit Mühe den Brechreiz unterdrücken konnte. Dabei präsentierte sich ein äußerst breitgefächertes Geruchsportfolio, einmal quer durch die kalte Küche. Jede geöffnete Tupperware wird so zu einer Büchse der Pandora.

Vorbei die Zeiten, da der Duft von Kaffee die Nasen der Reisenden umschmeichelte und das einzige Geräusch, das das Ohr eines still Lesenden erreichte, das Knacken eines Schokoriegels war.

Heute aber, so scheint es, reisen ganze Heerscharen ausgehungerter Reisender, die weniger die Sorge umtreibt, dass der Zug pünktlich abfährt, als vielmehr, dass er zu früh ankommt.

Könnte ja sein, dass man mit dem Essen noch nicht fertig ist.

Allgemein Menschen

Des Glückes Schmied Teil 1

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Franz Botschek – der Mann am Feuer

Bei der Besetzung des ‚Mime’, des Schmiedes in der Oper ‚Siegfried’, hätte Richard Wagner an einem wie ihm seine helle Freude gehabt. Mächtig steht er da, ein Baum von einem Mann. Mit starken Armen, riesigen vom Rauch geschwärzten Händen und einem Lederschurz, der ihn vor der stärksten Hitze schützt. Schade nur, dass Franz Botschek nicht singen kann und Wagners Opern nicht kennt. Dafür aber liebt er ‚Truck Stop’ und steht auf Büchsenwurst.

Letztere braucht er auch, wenn er an seinen vier verschiedenen Feuerstellen arbeitet, die er sich zwischen seinem ererbten Elternhaus und einem angebauten Holzhaus eingerichtet hat. In Lauf, einem kleinen Dorf in der Ortenau. Dort geht er seinem schweren Handwerk nach, inmitten eines höher gelegenen Wohngebietes, wobei er an der Feuersicherheit seines Arbeitsplatzes nicht den geringsten Zweifel aufkommen lässt. In der Ferne liegt die Rheinebene und ganz unten das gemütliche Dorf. Neben sich hat er Bier und Büchsenwurst, und hinter sich eine Säulenbohrmaschine von 1910. Und für einen kurzen Augenblick lang mag man sich der trügerischen Illusion hingeben, dass diese Vergangenheit doch noch ein Morgen haben könnte, ohne Gedanken an die Globalisierung, ohne Bits und Bytes. Gern möchte man sich noch eine Art Zukunft vorstellen, geschaffen durch eines rechten Mannes Hände Arbeit, übriggeblieben aus einer Zeit, in der hochqualifizierte Arbeitskräfte sich nicht entscheiden mussten, ob sie zum Arbeiten entweder das iPhone oder den Becher Latte Macciato aus der Hand legen sollen.

„Hey Boss, ich brauch‘ mehr Geld“ hört man Gunter Gabriel im kleinen Kofferradio singen, das schwarz, von Ruß, mit scharfkantig abgebrochener Antenne in der Ecke hängt. Gunter Gabriel übt – wenn man so will – ebenfalls eine Art  Handwerk aus: das eines Barden. Auch dieses Handwerk hat einer Art Zukunft, nämlich im RTL Dschungelkamp, in das demnächst der Barde mit Gitarre und Toupet für viel Geld einzieht. So etwas ist Botschek von Haus aus suspekt. Nichts für ihn. Schall und Rauch.

Doch kommt auch das Schmiedehandwerk ohne beides nicht aus….

(sämtliche Fotos mir freundlicher Genehmigung von Samuel Hess. Siehe auch    www.samuelhess.de)

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