Stadtstreicher

Die Amtseinführung

Das hätte Johann Jakob Friedrich Weinbrenner sicher gefallen: dass der matte Schein des riesigen Lüsters in dem nach ihm benannten Saal auf soviel Gerechte und vielleicht nicht ganz so Gerechte gefallen war. Anlässlich der Inthronisierung der neuen Oberbürgermeisterin hatte sich gestern von Reihe 1 bis 15 (16 bis 20 waren auch zu besetzen, aber nicht reserviert) all die Hochwohlgeborenen…

 

unserer kleinen aber edlen Stadt versammelt, um der neunen Regentin zu huldigen. D. h. man hatte seine Aufwartung bereits im Foyer gemacht, wo es zu einem bürgerschaftlichen Auflauf gekommen war, neben dem die Neujahrseinladung des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue zu einem mäßig prunkvollen Event geriet.

Alles, was vielleicht Rang, sicher aber Namen hatte, gab sich ein Stelldichein. Gedeckt in der Kleidung, rot im Gesicht. Und selbst der Feuerwehrkommandant war in Uniform erschienen. Beruhigend – die Feuerwehr kommt selbst dann, wenn es nicht brennt.

Zunächst aber übte sich neue Oberbürgermeisterin – an Ihrer Seite der Gatte – in der hohen Kunst des noch zu nichts verpflichtenden Gunstbezeugens. Noch trug sie zum beige-goldenen Kostüm eine Kette aus Perlen. Die Amtskette kam dann später, war aber etwas zu groß, was zu allerlei Spässchen Anlass gab.

Das Klarinetten-Ensemble der Clara-Schuhmann-Musikschule leitete zunächst stilvoll über in die sogenannte ‚Gemeinderatsitzung‘ – auch hier bürgerschaftliches Schmunzeln. Allenfalls der ‚Tanz der Rohrflöten‘ geriet etwas wackelig, mit leichten Anklängen an Dissonanz. Was aber insofern ganz passend war, als dass die Veranstaltung immer wieder durchzogen war von leichten Irritationen. Man mag das den sprachlichen Ungeschick der Vortragenden zuschreiben. In jedem Fall aber blitzte hinter der festlichen Fassade öfter das wirkliche Leben auf, etwa wenn der erste Bürgermeister Werner Hirth das gemütliche Wort ‚Schlangengrube‘ in den Vorabend warf, um dann das Hintanstellen von Partikularinteressen anzumahnen und altersmilde den gesunden Menschenverstand als Gegengift empfahl.

Andere Redner arbeiteten sich an der sprachlichen Nähe von Gestaltungswille und Sturheit ab, beides anlassgemäß der neuen Oberbürgermeisterin zugeschrieben, die ja aus dem Münsterland kommt, wo dergleichen Charaktereigenschaften wohl weit verbreitet sind; ein weiterer Festredner wies fröhlich darauf hin, dass die frisch gekürte Bürgermeisterin schließlich 15 Jahre daran gearbeitet (sagte er ‚gebaggert‘?) hätte, ein kommunales Spitzenamt zu ergattern. Als Anerkennung über soviel Entsagungsbereitschaft präsentierte er einen Vitaminkorb. Immerhin wußte da einer, wovon er sprach.

Dann wurden die Festgäste auch noch eingeführt in die weiten Verästelungen des Bürgerstiftungswesens und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren: da füllt einer Redezeit. Eine festlich gestimmt Karin Oesterle gab anschließend Einblick in die schien unübersehbare Fülle christlicher Glaubensgemeinschaften, und manch einer mag sich gewundert haben über soviel Glauben in unserer Stadt.

Die Rede der neuen Oberbürgermeisterin geriet routiniert. Sie setzt auf die Jugend, was ja löblich und wichtig ist. Und auf die Gäste aus dem Ausland. Wer freilich durch die Fussgängerzone läuft kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Die sind schon da. Man wird sehen.

Zum Abschluss gab es für alle noch die ‚Polka Française‘ von Johann Strauss, dargeboten von der Baden-Badener Philharmonie. Mit überaus demutsvoller Geste sowie gescheiteltem weißen Haupthaar präsentiert und dirigiert von Pavel Belauf.

Nachdem die Polka verklungen war, begaben sich die festlich Gestimmten anschließend hinüber in den Runden Saal zum Stehempfang. Getreu dem Motte, das Margret Merken in ihrer Rede schon thematisiert hatte: Baden-Baden in Bewegung.

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