Allgemein Stadtstreicher

Die Meistersinger aus Tibet

800px-Bhutan_10Kein Zweifel. Baden-Baden ist eine durch und durch musikalische Stadt. Das fängt ja schon mit Richard Wagner an, dessen Bayreuth um ein Haar in Baden-Baden gestanden hätte. Von der Idee übrig geblieben ist heute leider nur noch ein Gymnasium gleichen Namens. Später kam dann ja das Festspielhaus hinzu, das neuerdings neidisch mitansehen muss, dass die besten russischen Sänger sich in der Fußgängerzone die Klinke in die Hand geben.

Im Sommer gibt’s von Zeit zu Zeit das Kurkonzert einer Blaskapelle aus einer Reblandgemeinde. Manchmal haben wir auch noch einige Kinder an der Blockflöte, die sich das Taschengeld aufbessern. Und dann gibts ja auch noch Marc Marshall, der aber nicht so oft singt. Und wenn, dann am liebsten bei schönem Wetter, denn dann werden seine tollen Schuhe und die Hosenträger nicht schmutzig.

Was wir aber kürzlich in der Fußgängerzone hatten, war ein exotisches Gesangs-Ensemble. Von der Statur her war das Ensemble ziemlich klein, untersetzt, ja, irgendwie quadratisch. Sie kamen wahrscheinlich aus den Anden. Oder aus Tibet. Doch, aus Tibet hätten sie eher sein können, denn sie haben total hoch gesungen, und weil man im Himalaya einen etwas anderen oder sagen wir: gestreckten Zeitbegriff hat, sangen sie auch ziemlich lang. Lang und hoch. Tibet halt.

Das wäre mir gar nicht so aufgefallen, wenn sie ein anderes Lied gesungen hätten, vielleicht noch ein Lied, ein zusätzliches also. Sie hatten jedoch nur eines dabei gehabt. Ich hatte aufgepasst, denn nachdem ich € 2 gespendet hatte, blieb ich noch ein ganzes Weilchen stehen.

Weil sie nun aber über eine längere Zeit immer wieder dieselbe Melodie sangen, konnte ich mich auf den Text konzentrieren, der sich freilich, soweit ich des Tibetischen mächtig bin, immer wieder änderte. Sehr viele Strophen drangen also an und in mein Ohr. Vor allem die vielstimmigen Frauenstimmen setzten mir zu. Ich denke jetzt mal, das war so ein tibetanisches Heldenepos, eine Art Odyssee der Berge. Allerdings – wie schon gesagt – ein bisschen gleichförmig.

Der ältere Herr neben mir hatte wohl ein Gefühl, das in die ähnliche Richtung ging, denn immer wenn ich ihn ansah, pendelte er mit seinem Körper ganz sachte nach vorne und dann nach hinten. Es war offensichtlich: er ging mit der Musik mit. Sie hatte ja auch etwas Meditatives.

Nach etwa 20 Minuten – meine € 2 waren inzwischen aufgebraucht – bin ich kurz nach Hause. Ich wollte nur kurz meine Kamera holen, um das Ereignis für den BLOG zu bebildern. Beim Weggehen dachte ich noch, dass allenfalls die Enkelkinder des älteren Herren das Ende des gesungenen Epos noch erleben würden. Deshalb beeilte ich mich nicht übermäßig mit meiner Rückkehr, zumal die Frauenstimmen beim Weggehen noch ganz kräftig klangen. Als ich dann wieder zurückkam, war die Gruppe weg. Plötzlich hatte es sich ausgesungen. Stille. Es war, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Vielleicht war der ganze Chor in eine von ihm selbst besungene Gletscherspalte gerutscht? Man weiß ja nie.

Und der ältere Herr, der war auch nicht mehr da. Ich schätze, den hatten sie gleich mitgenommen bei ihrer Höllenfahrt.

PS So wie auf dem Bild, hatte der Chor nicht ausgesehen.

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