Der Badenblogger » 25. Oktober 2025

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Sphinx in Tracht

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Hoch droben im Schwarzwald liegt in überaus gesunder Luft der Ort Freiamt. Verschwindet dort die Sonne hinter den Bergen, versinkt die Welt in abendlicher Stille. Es ist eine Gegend, wo, so scheint’s, sich Hund und Katz‘ gute Nacht sagen.

Doch im Sommer, am Wochenende, bricht die Stille auf. Die Blaskapellen rufen zu Volksfesten, und aus den versprengten Weilern strömen Männer und Frauen in Tracht zum Festplatz, so, als gälte es, vor Touristen einem althergebrachten Bild zu entsprechen.

Doch hat das Bild ein jüngster Zeit eine neue Schattierung erfahren. Das Bild traditioneller Schwarzmädels und -buben hat sich gewandelt. Ja, manchmal scheint es, als hätte sich die Tracht in ihrer traditionellen Form langsam vom Acker gemacht.

Der, der diesen Wandel mit angestoßen hat, heißt Sebastian Wehrle. Einer aus dem Schwarzwald, der sich, nach seiner Ausbildung als Kachelofenbauer und einer 17.000 Km langen Fahrradreise durch Länder wie Peru und Patagonien frischen Wind hatte um die Nase wehen lassen. Dann war er endlich heimgekehrt, um hier, in seiner Heimat, die Tracht in neuem Licht zu zeigen.

Während also das „Schwarzwaldmädel“ in seiner Operettenfassung ein eher kümmerliches Dasein fristet, feiert es in den Fotoarbeiten des Künstlers fröhliche Auferstehung, freilich in etwas überarbeiteter Form.

Dabei scheinen die abgebildeten Trachtenträgerinnen eher nach der Titelseite der Vogue als nach dem Bauernkalender zu schielen. Als agierten sie in ihrer eigenen Welt, die nicht notwendigerweise der Stall ist. Wären wir hier im Feuilleton einer renommierten Zeitung, sprächen wie von ‚verstörend´, wie sich die Idee der Tracht in neuer Form findet. Brauchtum 2025 – irritierend? Es mag die Darstellung des Sujets sein, die unsere Aufmerksamkeit fordert, die Blicke der Abgebildeten, rätselhaft unnahbar, fast überstilisiert und zeitgeistig cool Sie zeigen tätowiert ihre Nasenpiercings,  und haben dabei so gar nichts gemein, mit den Nasenringen der abgelichteten Ochsen, die eine weitere Schattierung seines Schaffens zeigen.

Für Traditionalisten ein Graus. Als würden da Hühner gezüchtet, die eckige Eier legen. Das und vieles andere dürfte Sebastian Wehrle, der sich als Künstler sieht, bewusst sein. Es ist dieser ganz bestimmte Ausdruck, den er bei seinen Models sucht. „Ich habe dem Schwarzwald ein neues Gesicht verpasst“, formuliert er selbstbewusst und wundert sich kaum, dass die Gralshüter des Volkstümlichen auf diesen Angriff verschreckt reagieren. Das Trachtenmuseum in Haslach könnte man hier anführen, aber auch der ‚Bund Heimat und Volksleben´. Sie alle stehen irritiert und versteinert am Rande und schauen dem Zug der Zeit hinterher.

Die Tracht muss sich weiter entwickeln. Daran hält Wehle eisern fest. So ist es nur logisch, dass sich die Art der Selbstdarstellung der Trägerinnen ebenfalls weiterentwickelt, so wie auch ihr Ausdruck, ihr ‚G´schau´, das mehr stylisch als kuhwarm, mehr cool als herzig ist.

Immerhin sind diese Bilder, diese Portraits teil eines Projekts, das etwa 2014 begann und sich bis heute auf beste entwickelt hat. Natürlich Männer, Frauen, Tiere. Dann aber auch Schwarzwaldlandschaften, auch Autos, alles Motive, die ihn inspirieren und fordern. Wehrle fotografiert selbst, er ist Autodidakt. Das Studio befindet sich derzeit noch in einem Haus von ca 120 qm, wo ein Zimmer abgedunkelt zur Alchemistenkammer umfunktioniert wird.

Fotografieren Sie Ihren Liebling? Auch das ist möglich, kostet aber aufwandbedingt ca. siebentausend Euro. Eingebunden sind da bis zu sechs Mitarbeiter, u.a. Garderobieren, Visagisten. Er meint es ernst; er ist gründlich. Selbst die Kühe, Ochsen und Geißen sind handverlesen, bevor ihnen der Schmuck ins borsteige Haar geflochten und Blumen aufgeklebt werden, handverlesen. Stillhalten ist dann das Gebot der Stunde. Nicht alle halten durch, was auch schon zum Abbruch des Shootings geführt hatte. Dann geht´s halt wieder in den Stall. Da ist Der Künstler schmerzfrei, was sicherlich auch daran liegt, dass er in seinem früheren Leben als Ofenbauer „traditionell konservativ“ aufgewachsen ist und früher bis zu vierzehn Stunden am Bau „gebuckelt“ hatte.

Den schmeißt so leicht nichts um, auch kein Stier, der sich aufgeklebten Blümchen verweigert.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Sebastian Wehrle

Kontakt über: sebastian-wehrle.de

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