Die ‚PRAGER STUBEN‘ in Baden-Baden. Daheim in der Fremde
Die Mutter gibt sich zeitgemäß. Sie trägt einen lila Pullover mit eingewirkten Goldfäden von zweifelsfrei provinzieller Eleganz. Zum wiederholten Mal bedient sie sich an der Salattheke, deren Kühlaggregat wie zu sehen die Temperatur immer zwischen 7,2 und 10,8 Grad pendeln lässt. Dem darüber hängenden Stillleben – alter holländischer Meister, frühes 17. Jahrhundert – wird die Temperatur egal sein, wie auch der auf dem Bild gemalten Ente, deren Kopf merkwürdig verdreht den Betrachter anblickt.
Über all das hat der Wirt ein waches Auge. Er steht hinter seinem mattweiß lackierten Tresen, der dem Partyraum eines Bauunternehmers in den Siebzigern alle Ehre gemacht hätte. Hängender Aufbau, hängende Gläser. Über dem Tresen eine holzfarbige Uhr, die an irgendeinem längst vergangenen Tag um 15,32 Uhr stehen geblieben war. Vielleicht hatte man sie nicht mehr aufgezogen, vielleicht aber hatte sie einfach beschlossen, dass es jetzt genug sei. Dieser Ansicht ist der Wirt nicht. Geschlossen wird, wenn der letzte Gast gegangen ist. Immer wieder durchschreitet er den Raum, eine massige Gestalt. Dem Gewicht des Bauches versucht er mit einem durchgedrückten Hohlkreuz etwas entgegen zu setzen. Ein Blickfang, vor allem aber auch die Schürze, die er Tag für Tag trägt. Darauf erkennt man das Motiv eines Anzugsakkos. Aufgedruckt auch eine darunter getragene roten Weste nebst Fliege. Niemand kann sich erinnern, ihn je in anderer Aufmachung gesehen zu haben. In seinem Wirteleben muss er hunderte dieser Schürzen aufgetragen haben. Dass er gebürtiger Tscheche ist, steht außer Frage, denn wer sonst wüsste auf seiner Website von einer Pfarrersköchin Rosinka zu berichten, die mit dem altböhmischen Tafelspitz „die uneingeschränkte Zuneigung des Konsistorialrats Povondra gewann und ihn bis zu seinem 108 Lebensjahr damit verwöhnte“. Geschichten. Legenden.
Ganz real aber ist das tschechische Bier…
…und demnächst gehts weiter. Mit Teil 3