Der Badenblogger » März 2024

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Allgemein

Kannnixdafür

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Normalerweise beschäftigen wir uns hier vorwiegend mit den wichtigen Dingen des Lebens wie etwa diesen, dass wir kürzlich mit unserem Blog die Millionengrenze gerissen haben. Ein andermal gehen wir der Frage nach, warum Katzen auf Bäume klettern und zu guter Letzt von der Feuerwehr geborgen werden müssen. Weiter hatten wir ein jüngst das Thema, dass ein Jagdhund durch ein fallendes Herbstblatt so irritiert war, dass er einfach stehen blieb, dem sanften Fall des Blattes aufmerksam  zusah und deshalb bei der finalen Eignungsprüfung durchfiel.

Das nur einige wenige Beispiele, die uns aber so wichtig erscheinen, dass wir glaubten, uns mit ihnen hier näher beschäftigen zu müssen. Neulich aber flog uns ein Thema förmlich zu, das eher abstrakt ist. Es dreht sich um die Frage: warum hat eigentlich heutzutage niemand mehr Schuld an irgendetwas?

Zunächst hier mal ein aktuelles, wenn auch fast politisch – philosophisches Beispiel: warum kann nach der aktuellen Lage offensichtlich niemand etwas dafür, wenn uns u.U. in nicht zu ferner Zukunft irgendwelche freundlich Zugezogenen sagen, wie wir zu leben haben. 

Machen wir’s mal ne Nummer kleiner und bringen noch zwei andere Fälle. Wer ist z.B. letztlich Schuld, wenn der eigene Rechner immer mal wieder aus heiterem Himmel abstützt und unsere Daten im Nirgendwo verschwinden? Wo könnte man sich beschweren? Beim Vorstand eines Internetgiganten? Und wie verhält es sich mit den Finanzämtern? Alljährlich fragt man sich, warum unsere Steuerrückzahlungen erst nach gefühlt jahrelanger Verspätung auf unserem Konto eingehen, obwohl doch jede Verzögerung unserseits pünktlich mit massiven Strafzinsen geahndet werden. Fragt man am Amt nach, können die Leute dort dafür nun aber wirklich nichts. Ansonsten ist der Kollege dort eben mit Corona beschäftige, lebt im Mutterschutz oder musste mal raus.

Das alles mag ziemlich ärgerlich ein; verglichen mit der Bahn ist das aber gar nichts!

Die Tatsache ist doch die: trotz offensichtlich größten Bemühungen seitens des Bahnbetriebs nimmt die Zahl der verspäteten oder ausgefallen Züge ständig zu. Da liegt die Frage nahe, wer eigentlich die Verantwortung für diese Unannehmlichkeiten oder Verspätungen letztlich trägt? Wer entschädigt den Reisenden für geplatzte Geschäftstermine, verpasste Flugverbindungen oder gar ausgefallene Begrüßungsküsse?
Erfahrungsgemäß wird ein Nachfragen wenig bringen. Nach Gründen für den Ausfall des Zuges gefragt erhält man ausweichende, wenn auch regional fein abgestimmt Antworten. In Berlin etwa wird die Antwort etwa so lauten: „Wees ik doch nich. Bin ik die Lok“? Oder weiter südlich: „Kann ich ihnen nich‘ sagen. Is‘ immer so“.
So bleibt nur zu konstatieren: nach Lage der Dinge kann neuerdings niemand mehr für irgendetwas. Keiner ist mehr Schuld. Es droht eine Zukunft der allgemeinen Nichtzuständigkeit.
Angesichts dieses Zustandes dürfen wir uns dann auch nicht wundern, wenn als schlüssiger Ausdruck all dieser Unzuständigkeiten neuerdings das Schulterzucken zur alles bestimmenden Geste der Schuld- oder Verantwortungslosigkeit zu werden droht. Ja, wie manch einer sich regelmäßig der körperlichen Ertüchtigung hingibt, so steht zu vermuten, dass ganze Heerscharen von Nichtverantwortungtragenden sich den lieben langen Tag in einem kollektiven Schulterzucken üben. Derart verbreitet, scheint das Heben und Senken der Schulter mittlerweile zu einem regelrechten Massenphänomen geworden zu sein.

So bleibt uns Geschädigten nur noch zu hoffen, dass sich die täglich vermehrende Masse der Nichtverantwortlichen beim alltäglichen Schulterzucken wenigstens die Schulter verrenkt. Was zugegebenermaßen ein eher schwacher Trost ist.

Aber dafür können wir ja nun wirklich nichts.

Allgemein Kultur Musik

Simon Rattle – geschenkt!

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Das Rheingold/Richard Wagner/Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle

Einmal dabei: zum Konzert in die Isarphilharmonie

Ich gehe gern ins Konzert, wobei ich sagen muss, dass mich das Symphonische ganz besonders anspricht – vor allem natürlich dann, wenn ich eingeladen bin. Gestern z.B. war wieder einmal so ein Tag, der es gut mit mir meinte. Das freute mich ganz besonders, weil die Konzertkarte stolze € 81 gekostet hätte. In so einem Fall genieße ich das natürlich doppelt, vor allem, weil das ja nicht alltäglich ist. Freilich sollte man -auch wenn man eingeladen ist – etwas dafür bekommen.
Versprochen war ein Konzert des Symphonieorchesters des Bayrischen Rundfunks unter der Leitung von Simon Rattle. Freunde gepflegten Orchesterklangs dürfte er bestens bekannt sein, schon allein wegen seiner Frisur, die, eine Überfülle weißgelockter Haare, auch die Hülle seiner Schallplatten ziert. Man könnte sie durchaus als ein Markenzeichen von ihm bezeichnen, zumal sie ihm sowohl auf der Plattenhülle als auch beim Auftritt gut zu Gesicht steht. Dies dürfte auch am englischen Königshof nicht ganz unbemerkt geblieben sein, denn man hatte ihm – auch seiner enormen Musikalität wegen – schon vor geraumer Zeit den Titel ‚Sir‘ verliehen. An besagtem Abend also dirigierte Sir Simon Rattle.

Stilistisch betrachtet gab’s Spätromantisches. Berlioz, Debussy und Ravel. Dazu kam das Werk des nicht so bekannten Charles Koechlin. Dem Namen nach Elsässer, war er aber doch – wie ich dem Programmheft entnahm – ein waschechter Franzose, was einmal mehr unterstreicht, dass der Erwerb eines Programmheftes eine sinnvolle Investition sein kann. Dort war er zudem als „Stilles Genie unter Krachmachern“ angekündigt, was aber nicht ganz stimmte. An b1esagtem Abend verdankten wir ihm  das lauteste Stück!

Dass ich das so empfand, lag ein Stück weit auch an meinem Sitzplatz in der 4. Reihe. Die Reihen 1-3 waren gar nicht vorhanden, weshalb dort, wo die Reihe 1 hätte sein müssen, schon das Orchester saß, das nun begierig darauf wartete, sich unter die ‚Stabführung‘ des Maestro zu begeben. Das Orchester war erstaunlich groß. Allein sieben Streichbässe!  Manch einer mochte sich fragen, ob’s ein oder zwei Bässe weniger nicht auch getan hätten. Jedenfalls gab es an diesem Abend ungewohnt viele Musiker für vergleichsweise wenig Geld.

Das Programmheft hatte dem Dirigenten im Vorfeld „Bezwingendes Charisma“ bescheinigt, doch als er dann endlich aus der Kulisse trat und hochdynamisch dem Podest zustrebte, kam er – die Höhe falsch einschätzend – beim Ersteigen des Podests fast zu Fall. Dass so etwas einem erfahrenen Dirigenten passiert!

Er hatte sich aber schnell wieder gefasst, und so konnte das Konzert mit Berlioz’ ‚Romeo et Juliette’ beginnen, ein Stück, dessen Interpretation ein Kritiker später als bezwingend lobte und dessen wuchtiger Klang noch dem letzten Besucher klarmachte, wofür man die enorme Menge an MusikantInnen aufgeboten hatte – von den sieben Bässen gar nicht zu reden. Wunderbar auch, dass man endlich einmal die Harfe zu sehen bekam. Normalerweise versteckt man das an sich doch schöne Instrument im Orchestergraben. Und auch eine Harfenistin war zu sehen, die, wie oft genug, keineswegs blass und blond war, sondern die Zuhörer mit lebendigem Teint und dunklem Haar für sich einnahm. Gut zu sehen auch, dass sie bei diesem Repertoire alle Hände voll zu tun hatte.

Meiner vorgeschobenen Sitzposition verdankte ich außerdem eine klare Sicht auch eine ca 40 jährige Violonistin, die in meinem unmittelbaren Blickfeld musizierte und als eine der wenigen, soweit ersichtlich, keinen schwarzen Punkt am Kinn hatte, eine Art Druckstelle, die, so versicherte man mir,  in der Regel auf fleißige Übungtätigkeit verweist. Über weite Strecken geigte sie überaus engagiert auf. War sie musikalisch nicht gefordert, lugte sie ganz entspannt in die Gegend. Ein klarer Hinweis darauf, dass die wahre Arbeit so einer Geigerin im häuslichen Kreis stattfindet.

In den stilleren Passagen des Werks fand die Muse, mich umzudrehen und die hinter mir sitzenden Konzertbesucher einmal näher zu betrachten. So kam ich nicht umhin, eine vergleichsweise hohe Dichte fernöstlicher Besucher zu konstatieren. Bei abschwellendem Orchesterlärm erstaunte mich das derart, dass ich mich fragte, ob China angesichts dieser enormen Verluste an Menschen nicht fast leer sein müsse? Nicht genug! Es gab sie auch im Orchester. In den kurzen Pausen des Werks, fragte ich mich bisweilen, was diese fernöstlichen Musiker bei so einem Werk fühlen und warum es sie deswegen in den Westen treibt. Was hat Musiker und Zuhörer aus dem fernen Kulturkreis bewogen, über den Rand ihrer Teetassen hinauszublicken und sich an die Isar aufzumachen? Was hören sie da? Sie, die vom Reis in dünnwandigen Schüsselchen groß geworden, hatten in Vorzeiten anlassbezogen noch „Tora, Tora“ gerufen; heute sitzen sie  hier im Westen, um Musikern in speckigen schwarzen Anzügen mit Schwalbenschwänzen zuzujubeln. Was macht das mit ihnen, haben sie tausende von Euro ausgegeben, um z.B. anlässlich des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker im Publikum zu sitzen? Warum macht es sie Stolz, sehen sie ihre Töchter beim Wiener Opernball übers Parkett schweben? Erinnert sie das an den langen Marsch? Rätselhafter ferner Osten!

„Ungeheuer schwierig aufzuführen“, so stand es im Programmheft. Verständlich, dass nach „Romeo et Juliette“ sowohl den Musikern als auch den Konzertbesuchern der Sinn nach einer Pause stand, über die hier nicht viel erzählt werden soll.

Zu groß war die Spannung bezüglich des noch folgenden Programms. Versprochen war noch Claude Debussy’s „Jeux“, weiter den oben bereits angeführten Charles Koechlin und, als Abschluss: Maurice Ravel, von dem man sich natürlich fragte, ob er gut ausgehen würde. Und in der Tat endete der Konzertabend so, wie man es sich wünscht. Von dem Wunsch beseelt, das Publikum nicht gänzlich zu verschrecken, hält man es üblicherweise für geboten, ein noch so dissonantes Programm versöhnlich enden zu lassen, am besten mit einem Walzer, oder, wie im vorliegenden Fall mit dem ‚La valse‘ von Ravel. Zwar bescheinigt das Programm dem Schluss des Werkes ein „fataler (…) fratzenhafter Abgang auf ein ganzes Jahrhundert“. 

Aber die meisten Besucher werden gedacht haben: besser als nichts. Großer Beifall. 


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