Der Badenblogger » 21. September 2022

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Steig den Berg empor die Pfade Teil 3

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Die ältere Dame, die später neben mir steht, hat ihr Hemd nicht abgelegt. Ob sie schon im Himalaya war, muss ungeklärt bleiben. Zwei ca 10 cm lange Schnitte längs über den nackten Knien weisen sie als erfahrene Berggängerin aus. Sie ist Amerikanerin, und so wie die Narben ausschauen, ist das mit der Leibesertüchtigung schon mal gründlich schief gegangen ist. Könnte also durchaus sein, dass die Besteigung dieses weniger anspruchsvollen Hügels Teil eines Rehaprogramms ist.

Sie ist Teil einer amerikanischen Touristentruppe, manche jünger, viele älter. Allesamt sehr bunt gekleidet. Das erleichtert das Auffinden von eventuell Zurückgebliebenen. Da bei Wanderungen die Gefahr der Dehydrierung kaum zu unterschätzen ist, führen die meisten beachtliche Wassermengen mit sich, für die am Rucksack separate Halterungen vorgesehen sind. Da ist es gut, dass die Wanderstöcke aus Titan sind, was diese Gehhilfen so wunderbar leicht macht, dass sie – verglichen mit an den Rucksäcken fixierten Behältern – kaum ins Gewicht fallen. So lässt sich munter ausschreiten!

Und doch: so wichtig die Stöcke für den Wanderer sind, im Ruhezustand stören sie nur. Irgendwo angelehnt, fallen sie um und liege auf dem Boden. Will man zur Theke, sollte man darauf achten, nicht über fremde Wanderstöcke zu stolpern. Das gilt es unbedingt zu beachten,  denn schließlich verspricht der Hersteller, dass durch deren Einsatz Gelenke und Muskeln „im Unterkörper“ geschont werden. Kein Wunder. Gerade beim Abstieg kann die Belastung der Gelenke „je nach Dauer der Tour einige Tonnen betragen“. Da fallen die Einwände nölender Kritiker kaum ins Gewicht, wenn sie anmerken, „dass man durch exzessiven Stockeinsatz den Gleichgewichtssinn trainiert“ (ich zitiere aus einschlägiger Fachliteratur). 

Nun steht es uns nicht zu, über den Einsatz von Stöcken beim Wandern final zu urteilen, aber es hat den Anschein, als tobten wegen derer Verwendung Kämpfe, von deren Härte der überwiegend Sitzende kaum etwas ahnt. Welche Stöcke zu welchem Anlass? Sind die Stockträger am Stock ausgebildet? Wer geht am Stock und wie? Welcher Stock aus welchem Material empfiehlt sich für welches Gelände? Kann der Stock verkanten und den Tourengeher in Gefahr bringen? Man schauert förmlich schon bei der Formulierung einzelner in diesem Zusammenhang relevanter Fragen und ahnt, dass die Gehilfe große Gefahren mit sich bringen könnte.

Dabei ist die Bewegung an der frischen Luft heute so wichtig wie nie. Es soll hier nicht aus unzähligen Untersuchungen zitiert werden, die belegen, dass Fettleibigkeit und Trägheit zu den Grundübeln des modernen Menschen zählen. Der Mensch muss sich bewegen, so das Credo aller Ärzte, die sich mit dem Thema befassen. „Komm! ins Offene! Freund!“ hatte schon Hölderlin einem vermeintlich Wanderwilligen zugerufen, und auch Johann Gottlieb Seume stellte in seinem Buch „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ fest: Es würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge“ . Ähnlich, wenngleich aktueller formuliert, sieht es auch Harpe Kerkeling in seinem Wanderbuch „Ich bin dann mal weg“.

Dass sowohl Seumes´ als auch Kerkelings Buch in ihrer jeweiligen Zeit Bestseller wurden, sollte uns aber schon zu denken geben, gerade dann, wenn wir tagtäglich jede Menge Wanderer verschwitzt an uns vorüberziehen sehen. Mit oder ohne Stöcken. Aber glücklich.

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