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„Steig den Berg empor die Pfade“ Teil 1

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Ja, gehts noch?  Vom Wandern, Walken und Joggen!

Jetzt, da dieser fast beispiellose Sommer fast zu Ende ist, sollten wir noch kurz Jener gedenken, die wandernd und joggend vielleicht aus Fitnessgründen, vielleicht aber auch auf der Suche nach dem ewigen Leben durch Wald und Flur gejoggt oder gewandert sind, um sich körperlich und geistig zu ertüchtigen. Es macht den Kopf frei, so hört man sie allenthalben sagen, und jeder fragt sich: frei von was? Vom Sitzen, vom Liegen? Oder gar vom Denken?

Um#s gleich zu sagen: ich bin nicht so der Wandertyp.

Nicht, dass ich um die Segnungen körperlicher Ertüchtigung nicht wüsste: die Medien sind ja voll von derlei Glücksversprechen. Auch höre ich immer wieder, wie reizvoll es doch sei, beim Gehen den Wechsel der Landschaften ganz in sich aufzunehmen, ja manch einer behauptet sogar, die Landschaften zögen am Wanderer förmlich vorbei. Es sei ein sehr intensives Spüren der Umgebung – man stünde irgendwie „im Fluss“, oder, um es zeitgemäßer auszudrücken, im Flow.

Weiter heißt es, man könne das Leben erst beim Wandern in seiner vollen Schönheit erfahren. Wichtig sei in jedem Fall, von Zeit zu Zeit stehen zu bleiben, tief einzuatmen, die Bäume zu riechen und die Farne; man solle dem Plätschern der Quelle lauschen und dem Rauschen der Sträucher. Am besten einfach mal loslassen, sich ganz dem Moment hingeben, ja nicht einmal dem Quietschen der im Stand drehenden Reifen der Autos auf dem Waldparkplatz sein Ohr leihen. Das sind diese kostbaren Momente, wo einem plötzlich klar wird: stehst du allein im Wald, sieht die Welt doch ganz anders aus. Hier bist du Mensch. Hier darfst du sein.

Gut, dass ich nicht so der Wandertyp bin hat natürlich seine Vorgeschichte. Für eine solche brauche ich nicht auf die Wanderlust meiner Großmutter väterlicherseits zurückgreifen. Auch erzählt meine Familiengeschichte von keinem Urahn, der im 19. Jahrhundert schwer beladen mit Uhren aus Schwarzwälder Produktion bis tief ins Zarenreich vordrang.

Nein. Es mag genügen, dass ich hier meinen ersten Joggingversuch in Erinnerung rufe. Der fand – auf der Suche nach dem versprochenen Adrenalin – an einem hellen Frühlingsmorgen, gleich hinter dem Bauernhaus der Familie Keller in Frbg/ St. Georgen statt. Auf der Suche nach einer versprochenen spirituellen Erleuchtung war ich hinaus getreten. Ausgestattet mit ein paar neuen, preiswerten, dabei aber blütenweißen Turnschuhen der Marke Adidas, einem grauen T-Shirt und der grünen Sporthose des Max Planck Gymnasiums, so hatte ich mich aufgemacht, den Lebenssinn auf zwei Beinen zu suchen. Gleich nachdem ich unten an der Treppe angekommen war, wandte ich mich den hinter dem Haus liegenden Rebbergen zu („Trink aus Steinler den Weinler!“), machte spielerisch ein paar munter ausgreifende Schritte, blinzelte in die Sonne, sah anschließend an mir herunter, erkannte das ausgewaschene Grau meines T-Shirts, das Weiß meiner Beine,  und das noch viel weißere Weiß der günstigen Laufschuhe. Und fand mich nur noch komisch. Was andere über mich gedacht hätten, weiß ich nicht. Der Eindruck muss aber selbst für mich verheerend gewesen sein, denn ich drehte mich um, ging wieder ins Haus und trank einen Kaffee. Damit hatte es sich erst einmal.

Nun will ich keineswegs belehrend auf alle Wanderwilligen wirken.  Mehr davon demnächst. In Teil 2

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Steig den Berg empor die Pfade Teil 2

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Nun ist es ja nicht meine Absicht, Wanderwillige zu belehren. Das Ganze mag hie und da durchaus Sinn machen, und manch einer wird von einer Wandertour ja irgendwie geheilt zurückkommen. Fussmüde aber lebensfrisch.

Freilich muss man sagen, dass dieses Gefühl eigener optischer Unzulänglichkeit gerade in der heutigen Zeit draußen in freier Natur nicht allzu häufig anzutreffen ist. Was oder wer da so läuft (oder Fahrrad fährt!), täte bisweilen gut daran, sich im Spiegel zu betrachten. Könnte sein, dass Umweltzerstörung auch eine optische Komponente hat, das Äußere des Wanderers (Helm etc.) betreffend. Immerhin: die Tiere des Waldes wird’s nicht stören.

Konnte man vor – sagen wir mal – 500 Jahren noch davon ausgehen, dass der Wanderer sich weitgehend allein in Gesellschaft von Wildschweinen, Rehen oder Eidechsen durchs Unterholz schlug, so hat sich das in jüngster Zeit doch ziemlich geändert. Selbst ein erfahrener Käferbeschauer, der darauf verweist, dass man es im Wald ursprünglich mit etwa 1600 Tierchen zu tun hatte, muss heute einen eklatanten Mangel an eben diesen vermelden. Da krabbelt fast nichts mehr. Dies führt also dazu, dass der Wanderer auf manchen Wandertouren im Forst nahezu alleine ist. Ja, in ortsansässigen Tümpeln ist selbst die Kaulquappe ein seltener Gast. Da begegnet einem allenfalls noch eine Wildsau, die mit ihren putziger Frischlingen einerseits eine interessante Abwechslung, andererseits aber auch eine echten Bedrohung darstellt. Allein schon deshalb ist von emotional gesteuerter Kontaktaufnahme dringend abzuraten.

Doch sucht der übliche Wanderer in der Regel ohnehin vielbegangene Wege auf, die ihn der Mühe entheben, das Kleinkind zu bespaßen, z.B. durch einen kindgerechten Streichelzoo, der als Zwischenstation auf dem Berggipfel ohnehin fest eingeplant war. Könnte freilich sein, dass die dort gehaltenen Rehkitze durch das fortwährende Betatschen quengelnder Stadtkinder derzeit in therapeutischer Behandlung sind.

Dass die Kinder plötzlich haptisch aktiv geworden waren, mag auch daran liegen, dass der Vater seinen gut genährten Kleinen in einem vati – und kindgerechten Tragegestell über viele Höhenmeter Richtung Gipfel geschleppt hatte, wobei die liebe Last bereits kurz nach Abmarsch in einen tiefen Schlaf gefallen war, worauf der Kopf des Kindes   wanderbedingt leicht schaukelte. Bei knappem Hinsehen hätte man denken können, hier führe der Träger eine Puppe mit sich.

Da ist man froh, wenn die lange anvisierte Wanderhütte endlich hinter den Bäumen auftaucht, wo bereits höhenmetergestählte Jungrentner es sich mit ihren Frauen gemütlich gemacht haben. Die schlichte Wanderhütte hier hat sich über all die Jahre zu einer stattlichen Gastronomie gemausert. Sie wartet neuerdings mit „allerlei Schmakerl“ auf. Stellvertretend hervorzuheben wären hier der Wurstalat in seiner normalen und elsässischen Variante. Dann aber auch im Angebot „Russische Eier“, was man seltener findet. Das alles „reichhaltig“ und in der Karte mit jeder Menge kleiner Ziffern versehen, was auf die beigefügten Geschmacksstoffe verweist. Sie versprechen dem Wanderer natürliche Speisen in domestizierter Form.

Der Vater hat mittlerweile das Kind aufgeweckt und auf die Bank gesetzt. Sein verschwitztes Hemd hat er, wie viele andere auch, über den hölzernen Handlauf gehängt. Von Ferne betrachtet hatten die farbigen, im Wind flatternden Hemden noch an die Gebetswimpel eines Basislagers am K2 erinnert.

Die ältere Dame, die später neben mir steht, hat ihr Hemd nicht abgelegt…

Demnächst wird weitergewandert. In Teil 3. Wandern Sie mit!

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Steig den Berg empor die Pfade Teil 3

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Die ältere Dame, die später neben mir steht, hat ihr Hemd nicht abgelegt. Ob sie schon im Himalaya war, muss ungeklärt bleiben. Zwei ca 10 cm lange Schnitte längs über den nackten Knien weisen sie als erfahrene Berggängerin aus. Sie ist Amerikanerin, und so wie die Narben ausschauen, ist das mit der Leibesertüchtigung schon mal gründlich schief gegangen ist. Könnte also durchaus sein, dass die Besteigung dieses weniger anspruchsvollen Hügels Teil eines Rehaprogramms ist.

Sie ist Teil einer amerikanischen Touristentruppe, manche jünger, viele älter. Allesamt sehr bunt gekleidet. Das erleichtert das Auffinden von eventuell Zurückgebliebenen. Da bei Wanderungen die Gefahr der Dehydrierung kaum zu unterschätzen ist, führen die meisten beachtliche Wassermengen mit sich, für die am Rucksack separate Halterungen vorgesehen sind. Da ist es gut, dass die Wanderstöcke aus Titan sind, was diese Gehhilfen so wunderbar leicht macht, dass sie – verglichen mit an den Rucksäcken fixierten Behältern – kaum ins Gewicht fallen. So lässt sich munter ausschreiten!

Und doch: so wichtig die Stöcke für den Wanderer sind, im Ruhezustand stören sie nur. Irgendwo angelehnt, fallen sie um und liege auf dem Boden. Will man zur Theke, sollte man darauf achten, nicht über fremde Wanderstöcke zu stolpern. Das gilt es unbedingt zu beachten,  denn schließlich verspricht der Hersteller, dass durch deren Einsatz Gelenke und Muskeln „im Unterkörper“ geschont werden. Kein Wunder. Gerade beim Abstieg kann die Belastung der Gelenke „je nach Dauer der Tour einige Tonnen betragen“. Da fallen die Einwände nölender Kritiker kaum ins Gewicht, wenn sie anmerken, „dass man durch exzessiven Stockeinsatz den Gleichgewichtssinn trainiert“ (ich zitiere aus einschlägiger Fachliteratur). 

Nun steht es uns nicht zu, über den Einsatz von Stöcken beim Wandern final zu urteilen, aber es hat den Anschein, als tobten wegen derer Verwendung Kämpfe, von deren Härte der überwiegend Sitzende kaum etwas ahnt. Welche Stöcke zu welchem Anlass? Sind die Stockträger am Stock ausgebildet? Wer geht am Stock und wie? Welcher Stock aus welchem Material empfiehlt sich für welches Gelände? Kann der Stock verkanten und den Tourengeher in Gefahr bringen? Man schauert förmlich schon bei der Formulierung einzelner in diesem Zusammenhang relevanter Fragen und ahnt, dass die Gehilfe große Gefahren mit sich bringen könnte.

Dabei ist die Bewegung an der frischen Luft heute so wichtig wie nie. Es soll hier nicht aus unzähligen Untersuchungen zitiert werden, die belegen, dass Fettleibigkeit und Trägheit zu den Grundübeln des modernen Menschen zählen. Der Mensch muss sich bewegen, so das Credo aller Ärzte, die sich mit dem Thema befassen. „Komm! ins Offene! Freund!“ hatte schon Hölderlin einem vermeintlich Wanderwilligen zugerufen, und auch Johann Gottlieb Seume stellte in seinem Buch „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ fest: Es würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge“ . Ähnlich, wenngleich aktueller formuliert, sieht es auch Harpe Kerkeling in seinem Wanderbuch „Ich bin dann mal weg“.

Dass sowohl Seumes´ als auch Kerkelings Buch in ihrer jeweiligen Zeit Bestseller wurden, sollte uns aber schon zu denken geben, gerade dann, wenn wir tagtäglich jede Menge Wanderer verschwitzt an uns vorüberziehen sehen. Mit oder ohne Stöcken. Aber glücklich.

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Die lästige Etikette

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20150906_133621Unsere Kolumne ist ja ein Stück weit bekannt dafür, dass sie im Kleinen das Große und im Großen das Kleine sucht. Ja, bisweilen sucht sie sogar das Wichtige im Unwichtigen. Gut, vielleicht könnte man sagen: ein bisschen viel Umstand, um zum Thema zu kommen. Aber erst jetzt sind wir da, wo wir hinwollten. Beim Hemdkragen und seiner Innenseite. Nicht ganz unwichtig, oder? Neulich hatte ich nämlich zwei Hemden gekauft. Die sind richtig schön, waren aber nicht ganz billig. Ich sage das nicht ohne Grund, denn je teurer das Hemd, desto schwieriger ist der Umgang mit ihm. Dabei spielt das Thema ‚pflegeleicht’ eigentlich keine Rolle mehr. Die Zeiten, wo man Hemden nass aufhängt, trocknen lässt und anschließend im Büro ‚bellafigura’ macht, sind in Zeiten des Hausmanns lang vorbei. Wer schwitzt sich heute noch in einem Nyltesthemd um seine Karriere?

Gerade aus diesem Grund kümmert Mann sich mit großer Leidenschaft selbst um sein Hemd. Bügeln inklusive. Dabei ist der Umgang mit dem Bügeleisen nicht eigentlich das Problem. Was mich echt stresst, sind die kleinen Etiketten unterhalb des Kragens. Das sind diese Stoffdinger, die Marke, Qualität, Größe usw. anzeigen. Das Ekelhafte daran ist, dass diese Teilchen mich beim Tragen des Hemdes furchtbar stören. Hatte ich stören gesagt? Nein: sie machen mich fast wahnsinnig. Das ständige Jucken vergällt mir die Freude am Hemd. Doch das war gestern. Heute stelle ich mich dem Thema. Mit großem Ernst und Eifer. Um das Hemd für den Alltag tauglich zu machen, verhalte ich mich z.B. wie der Tuner eines Autos, der Teile des Motors nacharbeitet, oder etwa Metall entgratet (dieser Artikel wendet sich ausschließlich an Männer, an richtige Männer). Frauen werden das nie verstehen. Jedenfalls muss der Einnäher raus. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört.20150906_133341

Denn diese kleinen Teile sind derart gemein mit dem Hemd vernäht, dass es für mich immer den Anschein hat, als wär’s für alle Ewigkeit. Auch wenn das Hemd der letzte Mist sein sollte – diese Teile halten bis an den Jüngsten Tag. Mit Gewalt geht da gar nichts. Da ruiniert man sich allenfalls sein Hemd. Deshalb ist es wichtig, dass man sich beim Versuch, das eingenähte Teil zu entfernen, Zeit lässt. Man muss den Alltag vollständig ausblenden. Zweckmäßigerweise tritt man ein in die Phase der Meditation. Man muss voll konzentriert und ganz bei sich sein. Dort, im Inneren des Hemdes, knapp unterhalb des Kragens, übe ich das Handwerk des Mich-Findens in aller Stille aus. 20150825_235010Hier empfiehlt sich ggf eine meditative Musik. Aber auch eine CD kann hilfreich sein, auf der z.B. ein zeitgenössischer Autor aus seinem neuen, sterbens-langweiligen Roman vorliest. All das hilft mir, mich ‚runterzufahren’. So konzentriere ich mich auf das Wesentliche, nämlich mein neuerworbenes Hemd tragbar zu machen. Und das geht so: Nachdem ich die Schreibtischlampe voll auf den Problempunkt auf der Innenrückseite des Hemdkragens gerichtet habe, erkenne ich in aller Klarheit die Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe. Überaus behutsam versuche ich mich am ersten Schnitt. Hierzu bediene ich mich am liebsten eines kleinen Teppichmessers. Natürlich gibt es auch andere Werkzeuge. Die bekommt man meist in Handarbeitsgeschäften. Es wäre mir allerdings ein bisschen peinlich, wenn Bekannte mich dabei ertappten, wie ich aus so einem Geschäft komme. Die könnten ja denken, ich hätte mir eben eine Strickliesel gekauft. Nein, nein. Deshalb also das andere Messerchen. Mit ihm setze ich jetzt die nötigen mikroskopisch feinen Schnitte, die es braucht; mit ruhiger Hand, wie ein Augenchirurg sein Skalpell. Aber genug der Details.

20150906_133509Ich will Sie hier nicht langweilen. Weder mit der Wiedergabe der einzelnen Arbeitsschritte noch mit dem Inhalt des vorgetragenen Romans. Jedenfalls kommt es dank der Abfolge präziser Schnitte dann endlich doch zu dem angestrebten Ergebnis: der im Krageninneren angenähte Fremdkörper ist entfernt, ohne dabei – und das ist die Kunst! – den Stoff zu beschädigen. Am Ende fusseln sie um mich herum, diese Unzahl kleiner, ja allerkleinster Fadenreste, die ich dem Kragen abgerungen habe und was letztlich dazu führte, dass das Hemd seinen Einnäher FREIGEGEBEN hat. Einmal mehr war es mir gelungen, ein von mir gekauftes Hemd so zu bearbeiten, dass man es tragen kann.

Ich kann gar nicht sagen, wie stolz ich bin. Auf mich und mein Hemd.

 

 

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