In jüngster Zeit wird Deutschland vermehrt als Einwanderungsland beschrieben, ein Sachverhalt, der nicht zu übersehen, aber schon gar nicht zu überhören ist. So drängen schon seit längerem jede Menge fremder Töne vielstimmig an die Öffentlichkeit, die auch noch in ihrer dissonantesten Form vorgeben, unser Leben zu bereichern.
Nicht zu überhören ist, dass dieses fröhliche Musizieren dem einen mehr, dem anderen weniger leicht von der Hand geht. Grundsätzlich aber weiß man sich staatlicher Hilfen – wie etwa des Bürgergelds – sicher. Umso löblicher, wenn die Neubürger bestrebt sind, ihren Teil zum Lebensunterhalt beizutragen.
Mögen dem einen oder anderen handwerkliche Fähigkeiten auch abgehen, so ist doch positiv zu vermerken, dass man sich nach besten Kräften bemüht, mit dem zu wuchern, was man hat. Im ungünstigen Fall ist es halt das Erzeugen von Musik, eine Kunst, in der sich in jüngster Zeit auch Stammesangehörige indianischer Völker in den Fußgängerzonen üben. Nicht selten handelt es sich dabei um familiäre Kleingruppen aus Mittelamerika, denen der Gesang scheinbar leicht von der Hand geht. Begleitet wird dieser meist mit einer Gitarre und einem sogenannten Cajon, eine Art Holzkiste, auf der der Musizierende sitzt und dort auch klopft, was die Illusion eines Schlagzeuges erzeugen soll.
Man wird den Musikanten nicht zu nahetreten, erinnern sie uns von ihrem Aussehen her an Angehörige des untergegangenen Volkes der Maya, ein Volk, das ob seiner damals ausgeübten Grausamkeit weithin gefürchtet war. Vielleicht aber war es der Musik geschuldet, die, traditionell lauthals vorgetragen, ebenfalls eine furchtbare Waffe gewesen sein muss. Vor allem ein Lied hätte es gewesen sein können, mit dessen Neuinterpretation sich noch heute die Nachfahren damaliger Ureinwohner gefallen. Dabei handelt es sich überwiegend um eine einzige Melodie, die das ganze Repertoire ausmacht und die in unseren Fußgängerzonen immer und immer wieder in einer für Außenstehende enervierender Zweistimmigkeit präsentiert wird.
Ursprünglich sollte die schlichte Weise wohl die Götter gnädig stimmen. War dieser Zweck nicht erreicht, hatte sich schon damals der bittende Gestus des Singsangs zu einem bedrohlich anschwellenden Gebrüll ausgewachsen, das Andengipfel bröslig werden ließ und die ortsansässigen Himmelsbewohner wohl derart erschreckte, dass er, weichgesungen vom Gesang der Gläubigen, endlich Manna vom Himmel regnen ließ.
Im Zuge der kontinentalen Völkerwanderung geriet diese Weise, bis vor kurzem ausschließlich im innerfamiliären Kreis tradiert, jetzt doch wieder verstärkt in die Öffentlichkeit. Dabei erfährt sie allerdings einen neuerlichen, zum Weltlichen hin tendierenden Bedeutungswandel.
Etwa dergestalt, dass diese Melodie – von verzweifelten, zugewanderten indogenen Familien stundenlang gesungen – als furchtbare Drohung dem Sozialamt gegenüber zu werten ist. Das wäre dann in etwa so zu verstehen: stockt gefälligst das Bürgergeld auf. Sonst singen wir weiter.
Nach allem, was man so täglich in den Fußgängerzonen hört, wäre das gut eingesetztes Geld.
Author Archives: Peter Ruhr
„Komm ein bisschen mit nach Italien…“
Nix wie hin – im Frühling nach Como
Die Ansage war kurz und knapp. Als Peter Alexander 1956 im Radio sang: „Komm ein bisschen mit nach Italien“ folgten dem Aufruf tausende deutsche Väter. Sie packten Frau und Kinder in den VW Käfer und machten sich auf den Weg. Über den Brenner oder den Gotthard. War man dann nach langer wassergekühlter Fahrt in Italien angekommen, begrüßte einen zunächst die Stadt Como, wo viele der Familien sich erst mal auf dem Campingplatz einrichteten. Dies war nicht selten der Anfang einer langen Freundschaft. Man kam immer wieder. Und in der Tat ist Como eine Stadt, in die man sich verlieben muß. Am unteren Ende des Comer Sees gelegen, empfängt sie den Besucher zunächst mit dem sich zum See öffnenden ‚Piazza Cavour‘, benannt nach dem Mitbegründer der italischen Einheit.
Hat man erst einmal das hässliche Hotel an der Rückseite übersehen (dem man die Loriot’sche Steinlaus ins Gemäuer wünscht!), gelangt man an einer prächtigen Häuserzeile vorbei auf die ‚Piazza Duomo‘, die man sich merken sollte – der Dom ist eine der großen Sehenswürdigkeiten. Zunächst aber sollte man sich die Stadt und ihre geschmackvoll gekleideten Bewohner – ca 100 000 an der Zahl – durch das Flanieren erschließen. Und in der Tat: Como ist für den Besucher eine Stadt des Müssiggangs. Natürlich wird hier gearbeitet, und wie! Aber nach außen hin macht alles einen wunderbar entspannten Eindruck. Einzelne Personengruppen plaudern vor eleganten Geschäften, Paare diskutieren, vor stilvollen Cafes sitzend. Dazwischen gemächlich dahingleitende Fahrradfahrer. Das Radeln hier hat fast etwas Meditatives.
Das liegt natürlich auch daran, dass die Geschäfte mit ihren Auslagen überaus geschmackvoll sind. Das süsse Nichtstun wird durch den exquisiten Einkauf sinnvollerweise ergänzt. Ob Mode, Schmuck, Wohnungsaccessoires – Como ist eine einmalig schöne Einkaufsstadt. Das historische Zentrum mit seinen gepflasterten Gassen ist die Konsumverführung per se. Und das Erfreuliche dabei: nach dem Kauf bereut man nichts, nicht einmal den Preis…
Beim Durchstreifen der Altstadt wird man auf die ‚Piazza San Fedele‘ stossen. Dort sollte man sich am Café Aida niederlassen. Zwei, drei Spatzen zu Füssen warten dort schon auf Gebäckkrümel. Zwei Krümel haben sie schon im Mund, hätten aber noch Platz für einen weiteren. Es scheint, dass italienische Spatzen den Schnabel nicht voll genug kriegen können.
Lässt man dann den Blick über den Cappuccino und ein traumhaftes Gebäck aus Mürbeteig namens ‚Apollo‘ schweifen, entdeckt man gegenüber vom Café den Eingang der kleinen Basilika ‚San Fidele‘ aus dem 12. Jahrhundert, deren dunkles Inneres etwas aufgehellt wird durch eine in Signalfarben gekleidete russische Reisegruppe, die ergriffen vor einem ikonenähnlichen Marienbild steht.
Weit prunkvoller präsentiert sich da der Dom ‚Santa Maria Maggiore‘, der mit seiner prächtigen Fassade aus weißem Marmor eine der bedeutenden Sehenswürdigkeiten von Como, ja, ganz Oberitaliens ist. Rechts und links des Portals die Büsten der bekanntesten Bürger der Stadt: Plinius der Ältere und Plinius der Jüngere. Letzterer hat den Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. detailgenau in zwei Briefen an Tacitus festgehalten (und bei dem sein Onkel den Tod fand). Im Inneren der Kirche eine mächtige Orgel, und bei der Größe ist man froh, dass der Organist auf den vollen Einsatz sämtlicher Register verzichtet.
Tritt man wieder hinaus ans Tageslicht…
Demnächst mehr!
„Komm ein bisschen mit nach Italien“ Teil 2
Tritt man wieder hinaus ans Tageslicht fällt einem vielleicht das Brummen eines Wasserflugzeuges auf, das seine Runden über dem Comer See zieht. An Bord, so sagt man uns, seien oft Oligarchen, die auf diesem luftigen Weg mögliche Immobilien besichtigen. Und vielleicht werfen sie auch einmal einen Blick auf das Anwesen von George Clooney, in dessen an den See grenzenden Villa Teile von OCEAN 11 gedreht wurden. Die Letzte von Mr. Clooney hätte die Immobilie wohl gern verkauft. Bis dato hat sich seine Frau aber zu einem möglichen Verkauf der Immobilie noch nicht geäußert. Noch also gehört die Villa dem Star.
Aber auch der Normalsterbliche kann Villen besichtigen. Dafür sollte er sich am besten auf eines der Schiffe begeben, die am Südufer gleich vor der Piazza Cavour regelmäßig ablegen. So eine Seefahrt ist nicht nur lustig, sondern sie zeigt einem die Landschaft von einer völlig neuen, nämlich der Wasser-Seite. Und man wird sich bei all dem, was man da am Ufer an hochherrschaftlichen Anwesen zu sehen bekommt, nicht schämen, wenn man da doch ein bisschen neidisch wird. Geschenkt. Jedenfalls gehört eine solche Seefahrt unbedingt dazu, will man den Comer See von seiner schönsten Seite entdecken. Den Anblick der gutaussehenden Italiener, die sich selbstverliebt am Bug des Ausflugdampfers präsentieren, gibt’s für die Damen gratis dazu!
Fällt die Italientour auf das letzte Maiwochenende, sollte man am Sonntag unbedingt an der Schiffsanlegestelle Cernobbio von Bord gehen. Dort in der Nähe findet im Park der Villa d’Erba alljährlich ein Oldtimertreff allererster Güte statt. Das Event nennt sich ‚Concorso d’Eleganza‘.
Von BMW gesponsert, findet man dort das Beste vom Besten. Einundfünfzig Fahrzeuge sind es wieder in diesem Jahr gewesen. Die reichsten Sammler der ganzen Welt wetteifern darum, ihre Automobilpretiosen präsentieren zu dürfen, wie etwa jener Schönheitschirurg aus Beverly Hills, dessen Maserati vom Restaurieren allerdings deutlich mehr profitiert hatte als seine Gattin. Nicht genug. Dieses Jahr war z.B. auch ein Jaguar XK 120 mit Plexiglaskuppel zu besichtigen, der 1953 mit 277 Km einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt hatte. Sinnvollerweise hatte der heutige Besitzer auch noch gleich Mister Norman Dewis, den damaligen Recordfahrer, mitgebracht. Der Herr ist beachtlich 94 Jahre alt, und wie er da so mit Fliege im Schatten sitzt und vergnügt an einem Sandwich mümmelt, könnte man meinen, es ginge gleich wieder los. Daneben döst hinter seinem Ferrari ein eleganter Herr auf einem Campingstühlchen. Er wird keine Angst haben, dass ihm seine 12 Zylinder abhanden kommen. Beim Starten des Motors würden ihn das Bellen und die Abgase vom Campingsessel blasen.
Doch zurück ins Stadtzentrum. Dort sollte man noch auf einen Bissen bei ‚Vesini‘ in der Via F. Ballerini 9 vorbeischauen. Dessen Käsetheke ist eine Sünde, ach was, ein ganzer Beichtstuhl wert. Verwöhnt und gestärkt, gilt es langsam Abschied zu nehmen von Como. Wer jetzt noch nicht genug hat, für den bietet sich auf dem Heimweg, gleich hinter der italienisch-schweizerischen Grenze, noch der Besuch im Outlet Centre in Mendrisio an. Auch dort ein Superlativ. Das Outlet hat so gar nichts vom Image eines Billigheimer Marktes. Markenmäßig versammelt ist dort alles, was Rang und Namen hat. Dort werden die Jäger der günstigen Gelegenheit stilvoll auf ihre Kosten kommen. Versprochen.
In Vatis VW Käfer wäre allerdings kein Platz mehr für derartige Schnäppchen gewesen. Das Zelt mit seinen Stangen hätte zu viel Platz gebraucht…
Sodele. Jetzetle!
Auf der Suche nach der Schwäbischen Seele
Eine der gastronomischen Besonderheiten Südbadens sind die Straussi-Wirtschaften. Manche nennen sie auch Besen- oder Besenwirtschaften. Sind wir einigermaßen richtig informiert scheint sich ihre Existenz aus vorherigen Jahrhunderten herzuleiten, wo der Fürst nach allfälligen Kriegen seiner geschundenen Landbevölkerung huldvoll die Möglichkeit einräumte, eigene Produkte (Wein, Brot Speck) weitgehend unversteuert unters Volk zu bringen. Es musste ja weitergehen. „Wo’s Sträussli hängt, wird ausgeschenkt“, heißt es seitdem, auch lange noch nach Erbfolgekriegen und anderen Metzeleien. Zwar sind die Schlachten nunmehr geschlagen, die bitterste Not behoben, doch ist das Straussi – Wesen im Südbadischen noch immer eine liebegewordene Einrichtung, zumal es
dort nicht nur Wein und Speck sondern auch noch das gibt, was der heutigen Gesellschaft ähnlich lieb und teuer ist: das gesellige Zusammensitzen mit nicht unbedingt Altbekannten. Man redet miteinander, egal, ob man sich kennt oder nicht, fremd oder eben nicht. Letzteres ließe sich ja vielleicht ändern.
Dem Badener ist dieses Zusammensitzen nicht fremd, doch haben dies mittlerweile auch andere bemerkt, weshalb sie bereit sind, erstaunlich lange Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, um in das Glücksgefühl geselligen Miteinanders einzutauchen. Hier anzuführen wären Z.B. unsere schwäbischen Mitbürger, die, auf diesen Punkt angesprochen, tatsächlich erzählen, ihr Rentnerdasein mit wöchentlich bis zu dreimaligen Besuchen in so einer Straussi zu verschönern. Das will etwas heißen, nimmt man doch Anfahrtswege bis zu 80Km in Kauf. Schwarzwaldkilometer, wohlgemerkt, wo selbst im Frühjahr bei der Rückfahrt noch mit Schnee, Glätte und Nebel zu rechnen ist. Mag man für die Strecke Freudenstadt – Ulm/Oberachern – also das Renchtal herunter- noch Verständnis aufbringen, so gewinnt die Anfahrt aus Altensteig herunten schon ganz anders an. Selbst bei moderaten Verzehrpreisen drängt sich da die Frage auf: Warum macht der Schwabe das?
Nun gut – der Preis eines schwäbischen Wurstsalates ist uns derzeit nicht geläufig. Doch dürften die Koster für Sprit diesen bei weitem übertreffen. Es müssen also andere Gründe vorliegen. Fragt man behutsam nach (und lässt in der Ansprache besser jetzt mal das zu oft gebrachte „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ weg), erfährt man, dass der Schwabe sich bei uns Badener wohlfühlt. Soweit noch banal. Bleibt man am Thema, erfährt man dann aber, dass man uns als offener, zugänglicher und herzlicher empfindet. Das mag einem etwas drastisch erscheinen, doch wie stark muss das Bedürfnis nach offener Gesprächskultur (und ein Mangel an einer solchen!) sein, schon beträchtlich sein, nimmt man derartige Strecken auf sich.
Noch ist der Weißburgunder nicht ausgetrunken, da fragt man weiter: warum ist das im Schwäbischen nicht so? Jetzt erfährt man, dass Schwaben, also das engere Königreich Württemberg, früher sehr arm gewesen sei. Die Natur herb. Die Böden karg. So ganz anders wie z.B. im Markgräflerland, wo es hieß: „Drei Jahre Frieden, und der Bauer fährt mit einem goldenen Pflug durchs Feld“. Derlei träfe auf einen schwäbischen Acker nicht zu. Von der (rauen) Alb nicht zu reden. Ludwig Uhland, der schwäbische Dichter, wusste, wovon er sprach, als er in seinem Gedicht von „Kaiser Rotbart lobesam“ den Zug des Kaisers ins Hl. Land mit dem Satz einleitete: „Viel Steine gab’s und wenig Brot“.
Das hatte sich dort lange nicht geändert, und so hatte man nichts zu verschenken. Das Leben war hart, und man selbst tat gut daran, sich dem anzupassen und selbst so zu werden. In dieser Umgebung wollte die rechte (weinselige) Stimmung so gar nicht aufkommen. Nicht so im Badischen, wo der Bauer nicht jede Knolle einzeln dem Acker abschwatzen musste. Da war noch Platz und Zeit fürs gemütliche Miteinander. „Hocke halt her und schwätze ä bissle“.
Ein kurzer Blick ins Politische
sei hier anlassbezogen auch noch angefügt. So haben sich in Bayern die Franken traditionell stark in der bayrischen Politik eingebracht. In München angekommen, vertreten sie traditionell stark die Interessen ihres fränkischen Wählerschar. Ja, einer von ihnen – Söder – hat es sogar zum Ministerpräsidenten gebracht. Anders in Baden-Württemberg. Dort, in Stuttgart, der Landeshauptstadt, fehlt es seit langem an einer unüberhörbar starken badischen Stimme. Was so bedauerlich wie verständlich ist. Der Badener will nicht nach Stuttgart. Warum auch? Daheim ist es schöner.
Kannnixdafür
Normalerweise beschäftigen wir uns hier vorwiegend mit den wichtigen Dingen des Lebens wie etwa diesen, dass wir kürzlich mit unserem Blog die Millionengrenze gerissen haben. Ein andermal gehen wir der Frage nach, warum Katzen auf Bäume klettern und zu guter Letzt von der Feuerwehr geborgen werden müssen. Weiter hatten wir jüngst das Thema, dass ein Jagdhund durch ein fallendes Herbstblatt so irritiert war, dass er einfach stehen blieb, dem sanften Fall des Blattes aufmerksam zusah und deshalb bei der finalen Eignungsprüfung durchfiel.
Das nur einige wenige Beispiele, die uns aber so wichtig erscheinen, dass wir glaubten, uns mit ihnen hier näher beschäftigen zu müssen. Neulich aber flog uns ein Thema förmlich zu, das eher abstrakt ist. Es dreht sich um die Frage: warum hat eigentlich heutzutage niemand mehr Schuld an irgendetwas?
Zunächst hier mal ein aktuelles, wenn auch fast politisch – philosophisches Beispiel: warum kann nach der aktuellen Lage offensichtlich niemand etwas dafür, wenn uns u.U. in nicht zu ferner Zukunft irgendwelche freundlich Zugezogenen sagen, wie wir zu leben haben.
Machen wir’s mal ne Nummer kleiner und bringen noch zwei andere Fälle. Wer ist z.B. letztlich Schuld, wenn der eigene Rechner immer mal wieder aus heiterem Himmel abstützt und unsere Daten im Nirgendwo verschwinden? Wo könnte man sich beschweren? Beim Vorstand eines Internetgiganten? Und wie verhält es sich mit den Finanzämtern? Alljährlich fragt man sich, warum unsere Steuerrückzahlungen erst nach gefühlt jahrelanger Verspätung auf unserem Konto eingehen, obwohl doch jede Verzögerung unserseits pünktlich mit massiven Strafzinsen geahndet werden. Fragt man am Amt nach, können die Leute dort dafür nun aber wirklich nichts. Ansonsten ist der Kollege dort eben mit Corona beschäftigt, lebt im Mutterschutz oder musste mal raus.
Das alles mag ziemlich ärgerlich ein; verglichen mit der Bahn ist das aber gar nichts!
Die Tatsache ist doch die: trotz offensichtlich größten Bemühungen seitens des Bahnbetriebs nimmt die Zahl der verspäteten oder ausgefallen Züge ständig zu. Da liegt die Frage nahe, wer eigentlich die Verantwortung für diese Unannehmlichkeiten oder Verspätungen letztlich trägt? Wer entschädigt den Reisenden für geplatzte Geschäftstermine, verpasste Flugverbindungen oder gar ausgefallene Begrüßungsküsse?
Erfahrungsgemäß wird ein Nachfragen wenig bringen. Nach Gründen für den Ausfall des Zuges gefragt erhält man ausweichende, wenn auch regional fein abgestimmt Antworten. In Berlin etwa wird die Antwort etwa so lauten: „Wees ik doch nich. Bin ik die Lok“? Oder weiter südlich: „Kann ich ihnen nich‘ sagen. Is‘ immer so“.
So bleibt nur zu konstatieren: nach Lage der Dinge kann neuerdings niemand mehr für irgendetwas. Keiner ist mehr Schuld. Es droht eine Zukunft der allgemeinen Nichtzuständigkeit.
Angesichts dieses Zustandes dürfen wir uns dann auch nicht wundern, wenn als schlüssiger Ausdruck all dieser Unzuständigkeiten neuerdings das Schulterzucken zur alles bestimmenden Geste der Schuld- oder Verantwortungslosigkeit zu werden droht. Ja, wie manch einer sich regelmäßig der körperlichen Ertüchtigung hingibt, so steht zu vermuten, dass ganze Heerscharen von Nichtverantwortungtragenden sich den lieben langen Tag in einem kollektiven Schulterzucken üben. Derart verbreitet, scheint das Heben und Senken der Schulter mittlerweile zu einem regelrechten Massenphänomen geworden zu sein.
So bleibt uns Geschädigten nur noch zu hoffen, dass sich die täglich vermehrende Masse der Nichtverantwortlichen beim alltäglichen Schulterzucken wenigstens die Schulter verrenkt. Was zugegebenermaßen ein eher schwacher Trost ist.
Aber dafür können wir ja nun wirklich nichts.