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„Tolle Wolle“ Teil. 1

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Wie im Breisgau ein kleines Geschäft dem Zeitgeist trotzt

Als in Freiburg am 27. November 1944 infolge eines verheerenden Bombenhagels 14 000 Gebäude zerstört oder beschädigt wurden, kamen dabei 3000 Menschen ums Leben. Und doch geschahen zwei Wunder. Ein großes: das Münster wurde verschont. Und ein kleines: das sich in seinem Schatten duckende ‚Haus zum Tutenkolben´ überstand den Angriff ebenfalls unbeschadet.

Ein Glücksfall für die Schwestern Barbara und Friederike Strauß, die später dort einzogen und von dort aus seit 1976 Freiburg mit „Wäsche“ und „Wolle“ versorgen. Seit dieser Zeit ist die Adresse zu einer verlässlichen Anlaufstelle für Kurz-, aber ganz besonders für Strick- und Handarbeitswaren geworden.

So wie sich das kleinen Haus in eine Nebengasse, fast also im Windschatten des Münsters kauert, so findet sich dort – das Haus trägt die Jahreszahl ‚vor 1364´- auch ein unzeitgemäßes Angebot an all jene, die partout nicht einsehen wollen, dass man einen Pullover bereits nach zwei Monaten im Kleiderkontainer entsorgt. Wer dort einkauft, der hängt an der Nadel, die ihm Nachhaltigkeit verspricht.

Kein Wunder, lockt das dortige Sortiment bevorzugt jene an, die noch Freude am Machen und am Werden haben und für die noch der schrägste ‚Tatort´ als willkommener Vorwand dient, sich mit Wollzeug in der Hand neunzig Minuten lang zu vergnügen.

Dass diese Kunden, anders als noch in den 70er Jahren, nicht mehr die große Masse sind, weiss Friederike Strauß. Immerhin aber kann sie sich offensichtlich auf einen kleinen aber feinen Kundenkreis verlassen, der das Überleben dieses Geschäfts sicherstellt. Natürlich, sagt die Inhaberin, seien die grossen Zeiten des Selberstrickens vorbei. Damals, so könnte man sie interpretieren, sei durch das Aufkommen der Grünen Bewegung jede Übertragung aus dem Bundestag im Grunde genommen eine Werbeveranstaltung fürs Stricken gewesen. Keine Redebeitrag im Hohen Hause, der nicht durch das Stricknadelgeklapper großer Teile der Grünen Fraktion umspielt wurde. Als könnten unter dem steten Beschuss durch Wollknäuel Atomreaktoren bersten und die kritische Masse sich in Luftmaschen auflösen.


Die Zeiten seien vorbei. Natürlich würde die Inhaberin das so nie formulieren. Doch immerhin gelang es den zwei Schwestern durch die Verbreitung des Angebotes das Überleben des Geschäfts zu sichern. Dabei musste man sich immer wieder verändern, anpassen. Dieser Prozess beschreibt ein Stück weit auch die Geschichte Freiburgs, wie sich von Zu- und Abgezogenen halt nicht erzählt wird.

1928 finden wir das erste „Wäsche- und Wollgeschäft“ in der Eisenbahnstrasse am Rathausplatz. Das Angebot bestand damals in Tisch-und Bettwäsche, sah sich aber bald durch Strumpfwaren und Herrenhemden erweitert. Dann wird das Geschäft übergeben. Der Schwiegersohn übernimmt. Fortan also heißt man Rapp. Junge Frauen nähen ihre eigene ‚Aussteuer´. Dem vorhandenen Angebot wird Trikotunterwäsche beigemischt. Eine eigene Näherei stellt auch elegante Blusen her. 1935 – es wird kälter in Deutschland – wird das Portfolio um Woll- und Daunensteppdecken erweitert. Dann haben wir das Jahr 1942. Hemden und Blusen werden aus Mangel an Stoffen aus Fallschirmseide genäht. Das geht so, bis ein alliierte Luftangriff ihr erstes Geschäft – noch am Rathausplatz – zerstört. Dann das Kriegsende. Währungsreform.
Wir überspringen die Zeit…..

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Der Glückspilz

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Gestern hörte ich von einem glücklichen Menschen. Dabei handelt es sich um einen jungen Mann, der mich in einem guten Baden-Badener Modegeschäft immer außerordentlich kompetent und zuvorkommend bedient hatte.

Er hatte aus seinem Schwulsein nie einen Hehl gemacht. Betrat ich das Geschäft, begrüßten wir uns freundlich ironisch. Ich nannte ihn beim Hereinkommen ‚schöner Mann’. Er  wiederum dankte es mir mit einem: ‚junger Freund’. Bei dieser Anrede stimmte weder das Adjektiv noch das Substantiv. Aber wir hielten es halt so. Ansonsten war damit der freundlichen Eingangsform genüge getan und man konnte zum meist erfreulichen Einkauf schreiten.

Eines Tages aber war er nicht mehr da. Auf Nachfrage erfuhr ich, er habe die Arbeitsstelle gewechselt. Nach mehreren beruflichen Stationen, hätte er nun ganz offensichtlich seine wahre Bestimmung gefunden. Er arbeite jetzt als Wurst- und Fleischfachverkäufer in einer Metzgerei.

Hatte er mir noch kürzlich zu dieser einzigartigen Verbindung aus Kaschmir und Seide geraten,  empfiehlt er  jetzt wahrscheinlich Schweineschnitzel vom Hals. Gut durchwachsen und derzeit im Angebot.

Es scheint, als gälte auch in diesem Fall: spätes Glück nicht ausgeschlossen.

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Wenn Frauen trinken

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Wie immer um einen passenden Vergleich ringend, formulieren wir es jetzt mal so: wie eine üppige Fischpopulation auf gute Wasserqualität verweist, so zeugt ein hoher Anteil von Frauen in Lokalen und Kneipen auf ein gut geführtes Haus. Spätestens da wird offensichtlich, dass es sich um keine dumpfe Bierwirtschaft handelt, wo Altlinke etwa der vergangenen Revolution nachtrinken, sondern es zeigt sich, dass an diesen Tischen die Neuzeit in ihrer emanzipatorischen Form Einzug gehalten hat. Recht so!

Allerdings müssen wir in unserem fortgesetzten Bemühen um eine ausgewogene Sichtung darauf hinweisen, dass das, was wir oben so süffig formuliert haben zugleich auch seine Schattenseiten hat. Natürlich muss jeder modernen Frau das Recht zugestanden werden, in der Gastronomie ihren Platz zu finden. Doch wird man dieses Recht nicht grundsätzlich in Frage stellen, wenn man darauf verweist dass eine gute Frauenbelegung dem Umsatz nicht unbedingt in dem Maß zuträglich ist, wie ein – sagen wir mal – euphorisch gestimmter Männerstammtisch. Dies liegt zum Großteil am üblicherweise gepflegten Zeitmanagement, was sich schon daran zeigt, dass an Frauentischen enorm viel Zeit verplempert wird durch ein unvorstellbar aufwändiges Begrüßungsritual.

Während der erfahrene (männliche) Stammgast bereits beim Betreten des Lokals durch eine kleine unscheinbare Geste dem Personal kundtut, dass er das Übliche nimmt, verplempert die schon anfänglich heiter gestimmte Frauengruppe lange vor der eigentlichen Bestellung viel Zeit mit einem aufwändigen Begrüßungsritual. Selbst wenn der Tisch bereits voll besetzt ist, fordert es ein ungeschriebenes Gesetz, dass die eben Eingetroffene jede der Freundinnen einzeln herzt, was durch ein Auf- und Abstreicheln des Rückens geschieht und Vertrautheit, ja, menschliche Nähe suggeriert. Unabdingbar für den Empfang der Streicheleinheiten dabei ist allerdings, dass alle, die sich bereits gesetzt hatten, noch einmal aufstehen, um sich, nunmehr hinter dem Tisch hervorgekommen, dem Prozedere zu unterziehen.

Da die Gruppe das Aufhängen von Mänteln an der vorgesehenen Garderobe nicht ernstlich in Betracht zieht, ist kaum zu vermeiden, dass grellfarbige Kunstpelze, aber auch lustige selbstgestrickte Mützen (mit Öhrchen) und Schals aus Ländern ohne funktionierende Zivilgesellschaft von der Stuhllehne rutschen, worauf der Stuhl vor der herzlichen Wucht der Begrüßungszeremonie kapituliert und umfällt.

Überflüssig zu erwähnen, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Bestellung abgegeben wurde, weshalb unnötige Zeit verstrichen ist. Obwohl ein eventuell zu erwirtschaftender Umsatz lediglich mit Mineralwasser erzielt, also denkbar gering sein wird, gelingt es den weiblichen Gästen schon vor der eigentlichen Konsumation mühelos, durch hochfrequenzige Lärmerzeugung (Lachen. Quieken. Kichern.) jeden Männerstammtisch um Dezibel zu übertönen.

Ist der Lärm an sich schon enorm, kann er allerdings noch gesteigert werden durch das Zuführen auch kleinster Mengen Alkohol. Selbst das Nippen an einem normalen Gläschen Sekt – der traditionelle Aufwärmer – reicht vollständig aus, um die Anwesenden glauben zu machen, die Stimmung habe sich schon früh dem Siedepunkt genähert. Das wäre dann wie Kochen ohne Wasser.

Nüchtern betrachtet könnte es also auf einen Vergleich etwa dergestalt zulaufen: ein fideler Frauenstammtisch auf Mineralwasserbasis – das ist etwa so, als sei der Kölsche Karneval letztlich nur eine Illusion, hervorgebracht durch das Hochwerfen eines einzelnen  Konfetti-Schnipsels.

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Besser zu zweit

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Foto 2Dort, in der Sophienstraße, wo Baden-Baden ein bisschen an Münchens Maximilianstraße erinnert, und wo die Einkaufstüten von Hermes und Escada den Winterpelz auf Anmutigste schmücken, kann man in diesen Tagen ein schönes Beispiel der Entschleunigung sehen. Jetzt, da das jetzt fast schon vergangene Jahr sich seinem baldigen Ende zuschiebt, erleben wir dort einen älteren Herrn mit seinem wirklich sehr alten Hund beim täglichen Spaziergang auf dem breiten Spazierstreifen der Allee. An sich nichts Besonderes. Allerdings auf, wie behutsam, ja, man muss  fast sagen, sorgsam und altersgerecht der eine mit dem anderen umgeht. So hinfällig jeder für sich selbst ist, so sehr nimmt er doch auf den anderen Rücksicht. Erst geht der ältere Herr ein paar Schritte, dann wartet er auf seinen Hund. Der wiederum kommt langsam heran, geht an seinem Herrn vorbei, blickt sich um, und wartet, bis, ja, man möchte fast sagen: Gleichstand erreicht ist. So schiebt sich das alte Duo allmählich vorwärts. Einer wartet, bis der andere nachkommt. Der Fortschritt ist halt manchmal eine Schnecke.

Unter all den guten Wünschen, mit denen wir den Jahreswechsel begleiten, sollte auch der sein, dass die beiden sich noch lange haben. Eine schöne Schicksalsgemeinschaft. Beide brauchen sich. So geht es voran. Zwar langsam, aber immerhin. Das wünschen wir für uns alle, ganz besonders aber für die beiden in der Sophienstraße.

Denen ganz besonders ein schönes und vor allem gemeinsames Fest. Zu Zweit fällt er halt leichter: der Schritt ins Neue Jahr!

Allgemein Stadtstreicher

Das perforierte Glück

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Irgendwie geht das alte Jahr immer stressig zu Ende. Erst natürlich die Vorweihnachtszeit mit den Geschenken, an deren Nutzwert man ja selber zweifelt. Dann der Hl. Abend mit dem Gebot der Nächstenliebe. Hat man das alles glücklich überstanden, naht Silvester, ein Knaller sozusagen, bei dem man immer vergisst, allen Leuten alles Gute zu wünschen. Und hat man den Jahreswechsel dann endlich geschafft, kann man immer noch nicht sicher sein, die Liste gänzlich abgearbeitet zu haben.

Jetzt stellt das neue, kommende Jahr die Herausforderungen. Ein Taschenkalender muss besorgt werden. Denn man weiß: auch dieses Jahrwerden die bevorzugten Exemplare schnell, allzu schnell vergriffen sein. Da gilt es zu handeln und zwar fix. Wieder Stress.

Dabei ist es die kurze, aber alles entscheidende Spanne zwischen ‚leider noch nicht da’ und ‚leider nicht mehr da’, die konzentriertes, schnelles Kaufen erfordert. Mitten in unserer kapitalistisch durchorganisierten Welt mache ich plötzlich Reste der Planwirtschaft aus, so, als herrsche auf dem Kalendermarkt nicht Nachfrage und Angebot, sondern Übernachfrage und Zuteilung.

In solchen Zeiten ist man nicht gern allein. Jetzt ist die Stunde der Freunde. Sie wissen um meine Nöte, kennen Fabrikat und Format des Taschenkalenders. Zwei Tage auf einer Seite ist ein unbedingtes Muss, ebenso die Perforation am unteren Ende eines jedes Blattes. Und natürlich die Adressenliste!

Wer immer also in diesen Tagen auf der Suche nach Kinderkleidung oder Mehrfachsteckern durch die Kaufhäuser streift und dabei zufällig auf einen solchen Kalender stößt, ist gehalten, umgehend zum Kauf zu schreiten. Selbstverständlich haben meine Freunde unbegrenzte Deckungszusage, überflüssiger Goldschnitt eingeschlossen. Natürlich bin auch ich, sooft es geht, unmittelbar vor Ort.

Der Herr neben mir, wie ich zwischen Radiergummis und Geschenkpapier einem Kalender auf der Spur, hat sich ähnlich organisiert. Auch er klagt über Versorgungsengpässe, die unorthodoxe Maßnahmen notwendig machten und ohne gezielte Informationen kaum zu überwinden seien. Zum Beispiel bei ‚Wagner’, so erfahre ich beiläufig, sei heute morgen nochmal eine Lieferung eingetroffen (wie konnte Heinz das übersehen?), das meiste allerdings aus  Leder (ich bevorzuge Plastik).

Überaus dankbar nehme ich diese Information zur Kenntnis und lasse mich nun auch meinerseits nicht lumpen. Ob ihm denn schon aufgefallen sei, dass die von ihm gesuchten Exemplare der Firma K. mit denen des Hauses Y. nahezu identisch seien? Bei geringerem Preis enthielten diese zudem noch die Seite ‚Verhalten bei einem Notfall auf der Autobahn’ („Vertrauen Sie sich keinem wilden Abschleppdienst an“ – interessant gerade auch für Frauen), dafür vermisste ich allerdings auf der ersten Seite die Spalte mit dem Rhesusfaktor. „Bewegliche Feste“ – nun, das verstehe sich von selbst.
Gemeinsames Bedauern dann, dass die Tagesheiligen nicht mehr aufgeführt seien, dafür enthielten nunmehr alle die Anzahl der monatlichen Arbeitstage. So richtig melancholisch werden wir beide dann bei den ‚Autokennzeichen der DDR’, die es nun seit langem ja auch nicht mehr gebe. Schade eigentlich, aber daran könne man ja schließlich auch sehen, dass die Welt nicht stehenbleibe. Aber trotz allem sind wir uns einig: gut, dass es den ‚Wissenswerten Anhang’ gibt.

So, jetzt muss ich weiter. Die neue Lieferung bei ‚Wagner’ sichten.

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