Der Badenblogger » 8. August 2025

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Allgemein Stadtstreicher

„Tolle Wolle“ Teil. 1

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Wie im Breisgau ein kleines Geschäft dem Zeitgeist trotzt

Als in Freiburg am 27. November 1944 infolge eines verheerenden Bombenhagels 14 000 Gebäude zerstört oder beschädigt wurden, kamen dabei 3000 Menschen ums Leben. Und doch geschahen zwei Wunder. Ein großes: das Münster wurde verschont. Und ein kleines: das sich in seinem Schatten duckende ‚Haus zum Tutenkolben´ überstand den Angriff ebenfalls unbeschadet.

Ein Glücksfall für die Schwestern Barbara und Friederike Strauß, die später dort einzogen und von dort aus seit 1976 Freiburg mit „Wäsche“ und „Wolle“ versorgen. Seit dieser Zeit ist die Adresse zu einer verlässlichen Anlaufstelle für Kurz-, aber ganz besonders für Strick- und Handarbeitswaren geworden.

So wie sich das kleinen Haus in eine Nebengasse, fast also im Windschatten des Münsters kauert, so findet sich dort – das Haus trägt die Jahreszahl ‚vor 1364´- auch ein unzeitgemäßes Angebot an all jene, die partout nicht einsehen wollen, dass man einen Pullover bereits nach zwei Monaten im Kleiderkontainer entsorgt. Wer dort einkauft, der hängt an der Nadel, die ihm Nachhaltigkeit verspricht.

Kein Wunder, lockt das dortige Sortiment bevorzugt jene an, die noch Freude am Machen und am Werden haben und für die noch der schrägste ‚Tatort´ als willkommener Vorwand dient, sich mit Wollzeug in der Hand neunzig Minuten lang zu vergnügen.

Dass diese Kunden, anders als noch in den 70er Jahren, nicht mehr die große Masse sind, weiss Friederike Strauß. Immerhin aber kann sie sich offensichtlich auf einen kleinen aber feinen Kundenkreis verlassen, der das Überleben dieses Geschäfts sicherstellt. Natürlich, sagt die Inhaberin, seien die grossen Zeiten des Selberstrickens vorbei. Damals, so könnte man sie interpretieren, sei durch das Aufkommen der Grünen Bewegung jede Übertragung aus dem Bundestag im Grunde genommen eine Werbeveranstaltung fürs Stricken gewesen. Keine Redebeitrag im Hohen Hause, der nicht durch das Stricknadelgeklapper großer Teile der Grünen Fraktion umspielt wurde. Als könnten unter dem steten Beschuss durch Wollknäuel Atomreaktoren bersten und die kritische Masse sich in Luftmaschen auflösen.


Die Zeiten seien vorbei. Natürlich würde die Inhaberin das so nie formulieren. Doch immerhin gelang es den zwei Schwestern durch die Verbreitung des Angebotes das Überleben des Geschäfts zu sichern. Dabei musste man sich immer wieder verändern, anpassen. Dieser Prozess beschreibt ein Stück weit auch die Geschichte Freiburgs, wie sich von Zu- und Abgezogenen halt nicht erzählt wird.

1928 finden wir das erste „Wäsche- und Wollgeschäft“ in der Eisenbahnstrasse am Rathausplatz. Das Angebot bestand damals in Tisch-und Bettwäsche, sah sich aber bald durch Strumpfwaren und Herrenhemden erweitert. Dann wird das Geschäft übergeben. Der Schwiegersohn übernimmt. Fortan also heißt man Rapp. Junge Frauen nähen ihre eigene ‚Aussteuer´. Dem vorhandenen Angebot wird Trikotunterwäsche beigemischt. Eine eigene Näherei stellt auch elegante Blusen her. 1935 – es wird kälter in Deutschland – wird das Portfolio um Woll- und Daunensteppdecken erweitert. Dann haben wir das Jahr 1942. Hemden und Blusen werden aus Mangel an Stoffen aus Fallschirmseide genäht. Das geht so, bis ein alliierte Luftangriff ihr erstes Geschäft – noch am Rathausplatz – zerstört. Dann das Kriegsende. Währungsreform.
Wir überspringen die Zeit…..

Allgemein

„Tolle Wolle“ Teil 2

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Wir überspringen die Zeit, da Ernst Rapp Anfang der 50er Jahre mit Hotelwäsche umherreist, ein Reisender, wie man ihn heute nicht mehr kennt. Umherziehen, Waren anpreisen, Klinken putzen.

Zur Ruhe kommt das Ganze erst wieder, als man – das kleine Wunder war geschehen – in den jetzigen ‚Laden´ in der Buttergasse, nahe des Münsters einzieht, im Gepäck auch die Kunstfasern Nylon und Perlon, der neueste Schrei also. Sehr gefragt damals muss auch die Kunst der sogenannten Kragenerneuerung gewesen sein. Man nannte das „von unten und ansetzen“, eine Fähigkeit, die heute in Freiburg nur noch von ganz naturbelassenen NäherInnen gepflegt wird.

In ihrem anlässlich des hundertjährigen Bestehens verschenkten Notizblock erinnern uns die Schwestern Strauß weiter daran, wie man Mitte der 60er Jahre das überaus dehnbare ‚Chinchillan‘ im  Angebot hatte, eine Gewebe, das hochelastisch zum Markenzeichen von Feinstrumpfhosen geworden war, am Po und Schenkel sozusagen mitwuchs.

Genug der Geschichte, an der auch wir mitgewachsen sind. Heute präsentiert sich das kleine Geschäft im Schatten des ehrwürdigen Münsters wie ein Relikt, das wie durch ein Schlüsselloch den Blick freigibt ins Innere einer vergangenen Zeit, als man sich auch noch auf die hohe Kunst des Knopflochnähens verstand.

Wo sonst noch findet man eine so reiche Auswahl an Nadeln, Knöpfen und Druckknöpfen, kurz, all die vielen Dinge, die uns unter dem spröden Begriff ‚Kurzwaren‘ brav dienen. Dinge des täglichen Bedarfs, die, nie groß beachtet, das Leben ein gutes Stück weit am Laufen halten. Schnürsenkel z.B., aber auch Klettverschlüsse. Weiter im Angebot Unterwäsche, Leibchen auch, deren Haltbarkeitsdaten weit in die Zukunft weisen. Daneben finden sich hier noch die gute alte Unterhose mit Eingriff, eher Schlüpfer als String. Auch Büstenhalter hat’s dort, gebaut, um zu helfen, zu tragen, statt zu präsentieren, zu formen. Kurz: die ganze zweckmäßige Palette, mehr praktisch und nützlich als stylish und sexy.

Nun gut. Die großen Zeiten sind vorbei, aber, wie man so sagt: noch immer ernährt das Geschäft seine Eignerinnen. Mehr hatten sie ja auch nie gewollt. Expandieren, erweitern, Filialen eröffnen? An so etwas hatten die Schwestern nie gedacht. Immerhin können sie davon leben. Um sie herum macht alles schnell auf und bald wieder zu. Sie, die Damen, sind immer noch da, mit ihrem Handwerk von gestern, das sich allerdings immer auch wieder anpassen musste an die sich verändernde Zeit. Da sind sie auf ihre Art wieder auch wieder aktuell, dem Jetzt zugewandt.

Und doch – was ist vom Gestern noch geblieben? Vielleicht kleine Reste, wie die: wo denn sonst sieht man in der heutigen, ‚schnelllebigen´ Zeit noch zwei Damen in ihrem engen, übervollen Wollgeschäft, wo sie, ist gerade nicht viel zu tun, noch eben die Ferse eines Kindersöckens zu Ende stricken, um es in ihren Laden dann zu verkaufen? Wo gibt‘s denn heute noch sowas? Nirgends.

Nur dort halt.

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