Baden-Baden in der Klammer des Corona Virus
Ich weiß ja: der Virus wütet überall. Auch hier in Baden-Baden. Der ‚Backpeter‘ musste seine elsässischen Bedienungen bitten, daheim zu bleiben. Filialen werden geschlossen. In der Dengler Klinik, so hört man, gibt’s in der Cafeteria keinen Kaffee mehr. Die Verpflegung wird ab sofort nur noch mittels Essenpaketen sichergestellt. Seit mehreren Tagen gibt’s im DM- Markt keinen Reis mehr. Das weiß ich, weil ich gern Reis gehabt hätte. Nicht als Notration, eher zum Essen. Klopapier ist genügend da, obwohl alle sagen, es sein neuerdings immer aus. Kann man aber nicht kochen.
Alles Corona, oder was?
Doch hat das Virus jenseits von ‚kein Kaffee im Dengler‘ und elsässerfreien Filialen vom ‚Backpeter‘ noch weitere Auswirkungen. Die Innenstadt ist wie leergefegt. In der Fußgängerzone findet man seit einer Woche keine Chinesen. Die gelbe Gefahr scheint einstweilen gebannt. Dabei waren die Chinesen – als hätten sie es geahnt – schon lange zuvor mit Mundschutz hinter ihrem Führer hergelaufen. Irgendwie kommt’s einem vor, als gäbe es im Moment auch weniger Russen. Deren Begleiterinnen mit stark blondiertem Haar und aufgespritzten Lippen gehörten irgendwie zum innerstädtischen Bild. Wie sie über das unebene Pflaster stöckelten, im Gleichgewicht gehalten nur durch eine Einkaufstüte von ‚Bogner‘ in der Linken und einer ‚Hermes‘ Tüte in der Rechten.
Auch am Sonnenplatz herrscht schon länger Ruhe. Nach dem Brand wird derzeit das mächtige Haus renoviert, weshalb der türkische Gemüsehändler den Handel bis auf Weiteres einstellen musste. Dies ist einerseits zwar bedauerlich, andererseits aber auch beruhigend. So gibt’s dort seit längerer Zeit kein Muttirennen mit Porsche Cayennes mehr. Direkt vor dem Geschäft rangelten üblicherweise die SUVistinnen um die besten Parkplätze für den Einkauf. Jetzt transportiert Mutti ihre Prinzen und Prinzessinnen mit 500 PS unter der Haube halt ohne Gemüse direkt zum Pädagogium, wo man sich seit Jahren redlich bemüht, die Kinder der besseren Stände zum Abitur zu führen. Deshalb also am Sonnenplatz bis auf weiteres kein störendes Falschparken mehr.
Ähnlich am Platz vor dem Löwenbräu, wo man sich durch die lebensmittelanliefernden Lastwagen bislang vorkam, als stünde man am Hafenbecken von Ostende und müsste brexitbedingt lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Auch kein Lärmen mehr durch die Motoren der Kühlaggregate auf den Fahrerkabinen. Sie sollen verhindern, dass im Inneren des Trucks die Kühlkette unterbrochen wird. Auch hat man die übliche ganztägige Beschallung des Biergartens mit volkstümlicher Musik erst einmal eingestellt. Jetzt also Ruhe. Stille.
Nix los. Oder doch?
Auf einmal sehen wir wieder Badenerinnen, die sich gemütlich zum Schwätzchen finden. Sie grüßen sich freundlich und bleiben stehen. Ihnen zugesellt sich ein ziemlich großer, schlanker Mitarbeiter des Ordnungsamtes, der das Verteilen von Strafmandaten schon bislang als willkommenen Vorwand nutzte, möglichst gutaussehende Damen in längere Gespräche zu verwickeln. Aufgrund des morgendlichen Kleinlasterverkehrs sah er sich bislang immer mal wieder genötigt, sein Lachen & Scherzen kurz zu unterbrechen und zur Seite zu treten. Diese Störungen fallen jetzt erst mal weg. Ja, man könnte sagen: weniger Transport, dafür mehr Verkehr.
Vor dem Capri sitzen jetzt in aller Stille die älteren, besseren Herren, trinken Kaffee und wissen alles besser. Aber das machen sie schon länger.
Doch scheint es jetzt, als wäre die Zeit der Flaneure angebrochen. In aller Ruhe kann man durch Baden-Baden schlendern. Und auch die Allee zeigt sich in ihrer stillen vorfrühlingshaften Schönheit. Die Osterglocken stehen gelb und stumm. Kaum Lärm, wenig Touristen. Niemand unterwegs, der die Enten fotografiert. Niemand zwingt sie, in irgendein Handy zu lächeln. Dass weniger Weißbrot verfüttert wird – das werden sie verkraften.
In diesen Tagen ist die Stadt auf einmal kein ‚touristischer Hotspot’ mehr. Und auch keine ‚Destination’. Kein Anlass im Moment, zu sagen, Baden-Baden sei eine französische, gar ein ‚russische‘ Stadt. Letzteres schon gar nicht.
Nein. Durch den im Moment grassierenden Virus – so schlimm es sein mag – ist Baden-Baden plötzlich wieder eine badische Stadt. Die Leute leben hier. Man kennt sich, man grüßt sich. Im Moment jedenfalls ist diese alte, schöne und beschauliche Stadt wieder die Stadt ihrer Einwohner. Sie ist wieder unsere Stadt.