Wenn ich mir manchmal meine Zeitung am Kiosk hole, nehme ich gern die Abkürzung über den Friedhof. Auf dem Rückweg setze ich mich dort bei passendem Wetter auf eine Bank und werfe schon einmal einen ersten Blick in das Blatt. Ich bin dann meist alleine. In der Regel ist es dort sehr still. Gut, letzte Woche war’s mal nicht so. Zehn Gräber weiter setzte ein junger Friedhofsgärtner Primeln auf ein noch frisches Grab. Die Pflänzchen nahm er von einem Pritschenwagen, aus dessem Inneren ‚No matter what’ von Boyzone tönte, was mich irgendwie beim Zeitungslesen störte. Nun wusste ich, dass ein Mitglied dieser Boygroup auch schon tot war; das ging dann irgendwie in Ordnung. Gestern aber war es anders.
Unbeobachtet, wie ich mich wähnte, hatte ich geglaubt, bei meiner Lektüre für einen kurzen Moment auf meine Maske verzichten zu können. Keine Primeln, keine Boyzone. Stille. Kontemplation. Wenig Publikumsverkehr. Plötzlich aber blaffte mich aus ca fünfzehn Meter Entfernung ein rüstiger Rentner an, doch gefälligst meinen Mundschutz anzulegen. Irgendwie war er einer von denen, denen ich normalerweise immer in den Nachrichten begegne, wenn sie in wasserabweisener roter Wetterkleidung gegen Stuttgart 21 oder am Hambaches Forst demonstrieren und sich für das Leben der Enkelgeneration stark machen. Ob ich denn nicht wisse, dass ich mit meinem Verhalten andere gefährde?
Von mir hatte er dabei gar nicht gesprochen. Mich hatte er glatt vergessen. Macht nix. Nach dem Rentnerrüffel band ich mir pflichtschuldigst meine Maske vors Gesicht und dachte: irgendwie hat er ja recht. Wie nachlässig von mir, nicht nur mich sondern auch noch die hier liegenden Toten in Lebensgefahr zu bringen.