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Baden in Schönheit

Dass „Baden in Schönheit“ mit Baden-Baden in unmittelbarem Zusammenhang steht, ist fast schon selbstverständlich. Dass gerade diese Ausstellung über die Optimierung des Körpers im 19. Jahrhundert  unter Corona-Vorzeichnen aber neue Aktualität gewinnt, war bei der Planung noch nicht abzusehen. Die Entwicklung des von Gott gegebenen Leibs zum selbstverantwortlich gestählten und gepflegten Körper mit Hilfe von Technik und Medizin entspricht nämlich nicht nur dem Konzept des Museums, sondern spannt den Bogen zur Gegenwart: Was You-Tube-Nutzern ihr Fitness-Video war den körperlich weniger als früher beanspruchten Bürgern des 19. Jahrhunderts ihr illustriertes Gymnastikprogramm.

Geräte wie der samtbezogene Rumpfdrehstuhl dienten als Vorläufer des Fitness-Studios der Körperoptimierung, Prothesen ersetzten, was Krieg oder Unfall dem Körper geraubt hatten. Das große Corona-Zauberwort „Hygiene“ zog mit Badezimmern samt Wasserklosetts in die Wohnungen ein. Badehäuser und Schwimmbäder erlebten ihre erste große Blütezeit. Sportliche Betätigung im Wasser und an der frischen Luft – sogar hüllenlos, aber natürlich nach Geschlechtern getrennt – war „in“, ebenso Behandlungen mit Strom für mehr Vitalität. Das Korsett sorgte als „shape wear“ quer durch die sozialen Schichten für schlanke Damentaillen, Paraffin als frühe Botox-Variante für straffe Gesichtszüge. Auch Verschwörungstheorien gehören keineswegs exklusiv ins Corona-Umfeld: Kokovone Menschen schworen auf die Kokosnuss als einzig wahres Lebensmittel, büßten allerdings im Aussteiger-Domizil in der deutschen Kolonie Neu-Guinea einiges an Gesundheit ein.
Wie eine Schnittstelle zwischen den Bereichen „Kunst“ und „Technik“, beziehungsweise Medizin wirkt Julius Kollmanns Buch „Plastische Anatomie des menschlichen Körpers für Künstler und Freunde der Kunst“ aufbauend auf Zeichnungen Michel Angelos. Die befreiten Körper in der Natur, vor allem beim Baden, wurden ein großes Thema, von Künstlern wie Ludwig von Hoffmann oder Sascha Schneider nicht länger nach klassischem Ideal sondern durchaus realistisch gemalt. Skulpturen von Karl Albiker und Aristide Maillol zeigen „echte“ Menschen in natürlicher Bewegung statt in erstarrter Pose.. Nicht nur Maler und Bildhauer huldigten dem unverpackten Körper: Das neue Medium Fotografie entwickelte bald eine eigene Variation – die Pornografie. Die „Schmuddelecke“ in der Ausstellung ist nachdrücklich für Kinderaugen gesperrt.
Neue gesellschaftliche Entwicklungen rufen in jeder Epoche sofort auch die Karikaturisten auf den Plan. Matthias Winzen hat einem seiner besonderen Lieblinge dieses Genres viel Platz im Museum eingeräumt: Honoré Daumier ätzte mit spitzer Feder über die Absonderlichkeiten der Menschen im Bad – Mark Twain sparte auch nicht mit bissigen Kommentaren.
Im Dreiklang des Kooperationsprojekts „Baden“ mit Stadtmuseum und Kunsthalle entfaltet das LA8 seine ganz spezielle Sichtweise auf „Körperwelten“, ergänzt durch einen – wie üblich exzellent gestalteten – Katalog. (Bis 23. Februar 2021). Irene Schröder

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