Der Badenblogger » 4. Januar 2022

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Hoffentlich hoch ansteckend!

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Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa sieht Baden-Baden im Festival-Fieber

Der „Russische Winter“ hat in Baden-Baden bei frühlingshafter Witterung Abschied genommen, Ballett und Orchester des Mariinsky

Arcadi Volodos
Photo: Marco Borggreve

Theaters haben ihr traditionelles Gastspiel allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz mit gewohnter Bravour auf die Bühne des Festspielhauses gezaubert. Nach dem traditionellen Silvesterkonzert werden die Weichen umgestellt: Zum Jahresende beschwor Intendant Benedikt Stampa voller Optimismus eine Neuausrichtung seines Hauses herauf: Ein Festivalvirus soll nicht nur die dafür besonders anfällige Zielgruppe befallen, sondern ein Festivalfieber Bürger, Gastronomie, Tourismus und Stadtverwaltung in gemeinsame Rauschzustände versetzen, um dem Weltkulturerbe neue Energie zu verleihen.
Im Pressegespräch wurde Stampa konkret: „Der Festspiel-Gedanke, die Gründungsidee des Hauses, soll wieder ins Rampenlicht geholt werden und damit die im 19. Jahrhundert von Hector Berlioz gegründete Festival-Tradition mit europäischem Anspruch in die Zukunft gedacht werden.“ Kern der Neuausrichtung sind acht Festivals mit bedeutenden Stars als Kuratoren. Zukunftsmusik im weitesten Sinne des Klangs bietet vom 4. bis 6. Februar „Takeover“, eine Mischung aus Techno, Tanz und Teamgeist samt Workshops, Shows und Party. Außerhalb des Festspielhauses soll das ständig aktualisierte Rahmenprogramm auch in der Innenstadt Festival-Feeling vermitteln. Die Osterfestspiele vom 9. bis 18. April stehen im Zeichen der Berliner Philharmoniker, geleitet von Kirill Petrenko, mit Opernstars wie Asmik Grigorian, Anna Netrebko und Sonya Yoncheva. Die Pfingstfestspiele (28. Mai bis 6. Juni) werden unter dem Stichwort „Presence“ zur Residenz des SWR Symphonieorchesters. Als Festival der Romantik in Baden-Baden ist „La Capitale d´E´té“ mit dem Chamber Orchestra of Europe konzipiert, das vom 8. Bis 17. Juli geplant ist. Disneys Musical „Die Schöne und das Biest“ vom 21. Bis 24. Juli dient als Appetithäppchen für künftige „BB-Nights“ mit Shows und Musicals.
Dem SWR3 New Pop Festival (15. bis 17. September) folgt mit “The World of John Neumeier” ein neues Tanzfestival vom 30. September bis 9. Oktober. Die Herbstfestspiele stehen unter dem Motto „La Grande Gare“ – schön passend zum Baden-Badener Alten Bahnhof, in dem Thomas Hengelbrock und Teodor Currentzis betont europäische Werke dirigieren werden. Zum „Russischen Winter“ reisen vom 20.bis 27. Dezember die Gäste aus St. Petersburg mit Tänzern und Orchester an.
Nicht als einsame Kulturinsel, sondern als Mittelpunkt eines Sehnsuchtsorts sieht Stampa sein Haus ideal aufgestellt: „Ein Megatrend im Tourismus wird die Suche nach Selbsterfahrung. Wenn es uns gelingt, dies mit Erlebnissen bei Festivals in Sehnsuchtsorten wie Baden-Baden zu bieten, bedeutet das eine neue Energie für die europäische Festival-Landschaft.“ Partizipation des Publikums gehört zu den Visionen Stampas – Seminare, Künstlerbegegnungen, Naturerleben und literarisch-philosophische Reflektionen bilden kein Beiprogramm, sondern sind in das Hauptprogramm integriert.
Damit nicht nur die unmittelbare Region vom heilsamen Festival-Fieber ergriffen wird, begleitet in den kommenden Monaten eine Imagekampagne die neuen Pläne. Für „Einfach mehr Festival“ hat der Hamburger Starfotograf Kai-Uwe Gundlach die Festival-Stadt mit viel Augenzwinkern in Szene gesetzt.
Und was bietet die Stadt Baden-Baden? Nicht viel Neues. Zwar verspricht die Baden-Baden Events laut ihrer Chefin Nora Waggershauser ein „mit viel Liebe zusammengestelltes Programm mit genau richtigen Events für verschiedene Zielgruppen“, aber Visionäres ist da kaum zu finden: Bewährte Tanz-Angebote sind der European Dance Award (7.Mai), die 27. Welttanzgala (5. November) sowie die Argentinische Tangonacht am 12. November. Altbewährt sind der Weihnachtstanztee und der Silvesterball, kein Hinweis findet sich auf den Grand Prix Ball, eigentlich das gesellschaftliche Mega-Event im Kurhaus. Ansonsten Insider-Galas wie „Made in Baden-Award“ am 3. Juni und „Sportler des Jahres“ am 18. Dezember. Als die von Benedikt Stampa erträumten Touristenmagnete könnten sich wie bisher die Baden-Badener Sommernächte (30. Juni bis 3. Juli), das Kurpark-Meeting (26. August bis 4. September), das Marktplatzfest (22. bis 24. Juni), die Philharmonische Parknacht (30. Juli) und natürlich der Christkindelsmarkt (ab 24. November) entpuppen.
Hinter all diesen wunderbaren „Events“ steht natürlich nach wie vor das riesige Fragezeichen „Corona“. Was ist erlaubt, was lässt sich organisatorisch und natürlich auch finanziell verwirklichen, wie groß ist die Lust auf derartige Veranstaltungen überhaupt? Es bedarf wohl des scheinbar unerschütterlichen Optimismus eines Intendanten aus Leidenschaft, um sich einer derartigen Herausforderung zu stellen – getrieben von Festival-Fieber.

Irene Schröder

 

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