Der Badenblogger » Dezember 2021

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Allgemein Essen & Trinken Menschen

Der Knopf im Ohr Teil 1

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So hörte Beethoven

Schon am Vorabend war die Weinstube gut besucht. Es herrschte eine angenehm gedämpfte Stimmung. Auf den Tischen standen Kerzen, von irgendwoher kam leise Musik. An den wenigen besetzten Tischen wurde ausnahmslos Wein getrunken. Auch der Wirt hatte sich ein Schluck eingeschenkt. In der Schwingtür, das Lokal gegen die Küche abschließend, tauchte kurz die Chefin auf. Sie war herb aber unersetzlich. War ihr Mann für die gute Stimmung im Lokal zuständig, kümmerte sie sich um die Buchhaltung. ‚Das Geld wird am Schreibtisch verdient‘, sagte sie. Aus der Küche kommend, streifte ihr Blick kurz die Gäste, erfasste beiläufig den möglichen Umsatz, und kam dann für die Dauer einer Millisekunde auf dem halb gefüllten Weinglas ihres Mannes zu ruhen.

Schon hatte sie sich zum Gehen halb nach hinten gedreht, da öffnete sich die Tür des Lokals. Der dunkelrote Samtvorhang – er stammte aus einem Ausverkauf des Theaters – bauschte sich, zwei Hände suchten den Vorhang zu teilen, bis in einem Schwall kalter Luft ein mächtiger Mann in der Weinstube stand. Hinter ihm noch eine Person, seine Begleiterin, schmal und vom Vorhang noch halb verdeckt. Erst als er ganz im Lokal stand, trat sie aus seinem  Schatten. Davor, vollständig übersehen zu werden, bewahrte sie allein ihr quergestreift schwarz-gelber Pullover, der irgendwie an die Biene Maja erinnerte.

Schnaubend legte der Mann seinen dunklen, mächtigen Mantel ab. Auch ohne ihn wirkte er sehr groß. Kahler Schädel, breite Schultern. Der massige Bauch lappte schwer über einen schmalen Gürtel. Dazu trug er breite, ausgetretene schwarze Schuhe.

Jeder Zoll seiner Erscheinung wies ihn als eine jener Personen aus, die die Nachjelzinaera in die Geldmetropolen Europas gespült hatte. Sein Hemdkragen war offen, die Krawatten hing auf Halbmast. Ohne zu fragen nahm der Gast am einem der Tische Platz. Mit dem Fuß schob er seiner Begleiterin wortlos einen Stuhl hin. Sie sollte sich wohl setzen.

Dann rief er nach der Bedienung und fragte, ob es hier eine Kleinigkeit zu Essen gäbe. Das mit dem Trinken sehe er ja. Kleine Karte, die hat man hier ja auch, oder? Und zu seiner Begleiterin blickend, sagte er: „Du isst ja mit“.

„Ich möchte heute nicht so viel essen, Sie sehen ja“, wandte er sich an das Ehepaar am Nachbartisch, die damit nicht gerechnet hatten. Den Satz verdeutlichend hatte er auf seinen mächtigen Bauch gedeutet. Als er merkte, dass die Herrschaften an einem Gespräch keineswegs interessiert waren, ließ er den Arm wieder sinken und widmete sich der mittlerweile eingetroffenen Speisekarte.

Er schob die Brille hoch, so dass sie schräg auf der Stirn saß, studierte das Angebot und sagte einmal mehr sich bestätigend: „Du isst ja mit“. Ihr Einverständnis voraussetzend nickte er. Er würde sich mit seiner Begleiterin eine Portion teilen.

Die wurde, zusammen mit einem zweiten Teller und dem Besteck, auch bald gebracht. Ebenso der Wein. Obwohl er keine Flasche bestellt hatte, inszenierte er zunächst eine Art Verkostung. Er hielt den einfachen Tafelwein gegen das Licht, schwenkte ihn im Glas, und beroch ihn dann mit knolliger Nase. Kein Kork. Großes Geschmackskino. Gut so. Die Bedienung ging, der Gast trank, und auch die Frau bekam ihren Schluck ins Glas.

Nach einer gewissen Zeit bestellte der Gast „einen zweiten Halben“. In der Weinstube hatte der Lärm zwischenzeitlich zugenommen. Offensichtlich wurde es dem Gast jetzt wohl doch etwas zu laut. Er trug ein Hörgerät und nestelte an seinem Ohr herum. Zunächst versuchte er, die Lautstärke des Geräts dem Lärm der Umgebung anzupassen. Scheinbar ohne Erfolg. Er beschloss, die beiden kleinen Hörgeräte, die ihm bei geringerer Lautstärke offensichtlich gute Dienste geleistet hatten jetzt erst mal aus dem Ohr zu nehmen.

Die Bewegungen verrieten eine gewisse Beiläufigkeit. Anscheinend machte er das öfters. Zunächst legte er die beiden kleinen Knöpfe vorsichtig auf den Tisch, aber da sie so rund waren, machten sie keine Anstalt, dort auch liegen zu bleiben. Also legte er die unscheinbaren Teilchen weiter oben hin, neben den leergegessenen Teller, auf dem sich noch übriggebliebene Speiserest befanden. Petersilie, blassrote Tomaten und hellgrüne Ziergurken. Ein Salatblatt lappte über den Tellerrand und verdeckte das eine der beiden Hörgeräte.

Er müsse jetzt mal um die Ecke, sagte er zu seiner Frau und entschwand in Richtung der Toiletten….

Demnächst Teil 2. HIER.

Allgemein

Der Knopf im Ohr Teil 2

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Zuhören kann eine Kunst sein

Kaum war er weg, kam die Bedienung und fragte, ob es geschmeckt hätte und ob sie abtragen dürfe? Die Dame sagte „sehr gut“, bejahte zerstreut auch die Frage nach dem Abtragen und schaute zur Tür, ob ihr Mann nicht bald käme. Ohne ihn fühlte sie sich sichtlich unwohl. Dann nahm sie noch einen kleinen Schluck.

Routiniert fasste die Bedienung nach den Tellern, erkannte das Hörgerät, ließ es liegen, griff mit spitzen Fingern nach dem müden Salatblatt, legte es auf den Teller und entfernte sich Richtung Tresen, wo sie mit einem routinierten Tritt ihres Fußes den Deckel des Abfalleimers hochschnellen ließ und die vom Teller gestreiften Speisereste entsorgte.


Mittlerweile war die Tür aufgegangen und der massige Körper, von der Toilette kommend, trat wieder ins Innere des Lokals. Als er seine nassen Hände am Sakkorevers abwischte, hätte man meinen können, er streichele sich lustvoll die Randflächen seines Bauchs. Am Tische angekommen nahm er Platz, wischte einmal mehr mit seiner Serviette über die feuchten Lippen, rief nach der Rechnung und wollte jetzt wieder seine Hörgeräte einsetzen. Doch auf dem Tisch lag nur eines der beiden. Das andere musste die Bedienung wohl mit dem schmutzigen Geschirr abgetragen haben.

Als er aufstand, fiel sein Stuhl laut nach hinten und knallte mit der Lehne auf den Boden. In der Weinstube war es plötzlich still. Dann rief er laut nach dem Chef und forderte die Herausgabe seiner verschwundenen Hörhilfe. „Tausend Euro“, rief er, „tausend Euro haben Dinger gekostet. Hab‘ ich bezahlt“. Und: „Ich werde Laden haftbar machen. Müssen doch da sein!“, rief er durchs ganze Lokal. An den Tischen eine Mischung aus Ratlosigkeit und Betroffenheit. Ganz hinten feixte einer: das Haus verliert nichts.

Unmittelbar danach zog sich das Personal mit dem Abfalleimer in die Küche zurück, um dort, zwischen all den fetten Resten von Mayonnaise, Zwiebelschalen und müden Salatblättern nach dem Hörgerät zu suchen. Vorne, in der Gaststätte versuchte der Chef des Hauses mit einer Cognacflasche wedelnd, zwischenzeitlich die quälende Zeit des Suchens zu überbrücken. Später wird er sagen, er habe „mit dem ganzen Zeug nichts zu tun haben wollen“.

Derweilen suchten andere lang und gründlich, aber das Hörgerät blieb trotz größtmöglicher Sorgfalt unauffindbar. Es war, als sei es von einem Salatblatt verschluckt worden. War der Gast wegen des Verlustes zunächst noch aufgebracht, stand er jetzt an seinem Tisch und betrachtete wortlos das ihm noch verbliebe Teil, so, als wäre es ihm plötzlich fremd geworden.

Schwer atmend fasste er es mit fleischigen Fingern, ließ es in seine Sakkotasche gleiten und griff nach seiner Begleiterin. Und während er sie schon aus dem Lokal schob, drehte er sich, schon halb unter dem Baldachin stehend, noch einmal um und teilte den teils perplexen, teils amüsierten Gästen mit, er wolle jetzt gehen sich beschweren. Wo, sagte er nicht.

Dann ging er. Endgültig.

 

Allgemein Kultur Malen & Schnitzen Menschen

Der Einpack-Esel

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Grundsätzlich schenke ich gern. Obwohl ich mich als ein eher leichtgläubiger Christ sehe, achte ich die Feiertage. Ostern z.B,, ein wirklich hohes Fest, aber auch Geburtstage, Jubiläen. Sogar den Muttertag habe ich mir notiert, einschließlich der Telefonnummer von Fleurop. Aber ganz besonders beschäftigt mich Weihnachten. Das Fest der Liebe. Da hab ich emotional und handwerklich sozusagen Großeinsatz.

Bereits im Juli schon bin ich auf der Suche nach möglichen Gaben. Jeder noch so kleine Zettel muss herhalten, fällt mir bei 30 Grad im Schatten etwas ein, das sich als Geschenk für das heilige, besinnliche Fest in hoffentlich verschneiter Umgebung eignen könnte.

Dabei bin ich nicht geizig. In jedem verschenkten Buch steckt ja eine Menge Arbeit. Da opfert so ein Schreiberling viele Jahre seines Lebens, um mir ein Geschenk an die Hand zu geben, mit dem ich neben dem Baum gut dastehe. Auch eine CD will schließlich aufgenommen werden. Der Sänger muss die Musiker bezahlen, das Studio kostet. Hüllen wollen gestaltet, Fotos sollen gemacht werden. Alles Kosten, die so anfallen. Da will ich mich mal beim Kauf nicht knausrig zeigen.

Doch kämen all die Geschenke, mit denen ich mich an Weihnachten so präsentiere, nur halb so gut an, wenn sie nicht Zeugnis ablegten von meinem Bemühen, sie ansprechend zu verpacken. Wäre man zynisch könnte man sagen: egal was drin ist, Hauptsache es sieht von außen gut aus. Dabei fällt beim Verpacken jedes Jahr eine Menge Arbeit an, zumal das Verpackungsmaterial mein natürlicher Feind ist. Vor allem das günstige Papier vom DM Markt hat seine Tücken. Es sieht zwar gut aus, ist aber unverschämt dünn und schwer zu verarbeiten. Es reißt leicht.

So widersetzt sich das Verpackungsmaterial fortwährend meinem Gestaltungswillen. Dabei meine ich es immer gut. Es versteht sich von selbst, dass ich mir immer wieder große Mühe gebe, meine Geschenke mit einer ansprechenden Verpackung hochpreisig erscheinen zu lassen. Etwaige Löcher im Geschenkpapier: undenkbar. Ich verstecke sie hinter lustigen Aufklebern, die ich saisonalbezogen in großen Mengen verarbeite. Den Hinweis habe ich von einem Freund bekommen, der mit alten Autos handelt und seine Rostkisten mit aufgeklebten Rennstreifen dekoriert, hinten denen sich leichte Karosserieschwächen verbergen.

Insgesamt darf ich sagen: meine Konzept stimmt. Natürlich laufe ich immer Gefahr, mit einer boshaften, neidtriefenden Aussage konfrontiert zu werden, etwa dergestalt: Oh, da hat sich mal wieder einer richtig Mühe gegeben! Schwamm drüber.

Erfahrungsgemäß aber schwer tut man sich mit Festteilnehmern, die aus dem Verpacken eine Religion machen. Nach jahrelanger Erfahrung scheint mir, als machten sie ein Jahr lang nichts anderes, als sich zum Verpackungskünstler ausbilden zu lassen, so wie etwa Christo mit seinem Reichstag.

Null Chancen hingegen hat man gegen schenkende Kinder. Deren Selbstgebasteltes treiben jeder Oma die Tränen in die Augen und lassen einen redlich bemühten Einpacker wie mich ziemlich alt aussehen. 

Und das alle Jahre wieder.

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