Der Badenblogger » 23. August 2019

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Allgemein Stadtstreicher

Handelskrieg

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Glück gehabt. Wie ein Uhrenhändler versucht, eine Uhr zu verkaufen 

Man sieht es dem Mann an: Verkaufen kann ein wirklich hartes Geschäft sein, zumindest so hart wie – sagen wir mal – putzen. Mindestens. Das einzig Gute daran ist, dass man seine Arbeit stehend verrichtet. Anders als beim Putzen, muss man sich beim Verkaufen aber kaum bücken. Allein schon deshalb tritt der schlanke, hochgewachsene Uhrenverkäufe in Baden-Badens bester Lage aufrecht hinter einer weißen Halb-Wand hervor. Noch im Schreiten fragte er, was ich will. Nachdem ich freundlich das Naheliegende – eine Uhr –formuliert hatte, geriet er irgendwie kurz ins Stocken, fasste sich aber gleich wieder. Die eben entstandene Stille war mir ein bisschen unangenehm. Wortlos deutete ich in Richtung Schaufenster, wo ich eine Uhr gesehen hatte, die um zwanzig Prozent runtergesetzt war. Sie gefiel mir.

Sein Blick schwenkte jetzt, der Richtung meines Blickes folgend, ebenfalls in Richtung Schaufenster. Noch stand er da, aufrecht, unternahm aber bis zu dem Zeitpunkt keine Anstalten, sich in Richtung Auslage zu bequemen. Ich wollte ihn gnädig stimmen und fragte, ob ich ihm die Uhr mal zeigen dürfte. Jetzt trat er ein Stückchen vor und blickte mit mir gemeinsam vom Inneren des Geschäfts über die Rückwand des Schaufensters in die Auslage. Ich deutete auf die Uhr, die er nach meinem zweimaligen Korrigieren auch als die ausmachte, die mein Interesse erweckte. „Sie wissen aber, dass Männer heutzutage größere Uhren tragen?“

Er hatte mich auf dem falschen Fuß erwischt. Welcher Mann will sich schon durch den Kauf einer Uhr als durch und durch feminin outen, zumindest als jemand, des sich allein schon durch das Tragen einer Uhr nicht mehr deutlich zum eigenen Geschlecht bekennt. Eigentlich fiel mir jetzt gar nichts mehr ein, und ich erst mal: „Na ja…“

Da trat er nach. Es sei außerdem eine Automatik. Ich perplex. Offen gestanden war ich auf eine verbale Auseinandersetzung mit einem Uhrmacher nicht recht vorbereitet. Was soll so schlimm an einer Automatik sein? Gibt es Menschen, die das Aufziehen einer Uhr als beglückend empfinden? Unter Boxern hätte man gesagt: ich bekam die Arme nicht hoch. Jedenfalls nicht jetzt. Deshalb verabschiedete ich mich fürs erste mal, gedachte aber wieder kommen, um dann, nachdem ich Kraft geschöpft und taktisch besser eingestellt war, erneut in den Ring zu steigen.

Meinen ersten Angriff hatte der Mann vom Einzelhandel also abgewehrt. Aber, wie ich wusste, zeichnet sich ein echter Kämpfer dadurch aus, dass er immer wieder aufsteht, sich überwindet und wieder kommt. Der Kampf ist so lange nicht verloren, wie du ihn nicht verloren gibst, sagte ich mir. Die nächsten zwei Tage strich ich immer mal wieder an der Auslage vorbei, um zu schauen, ob es vielleicht zwischenzeitlich einem wirklichen Mann gelungen war, die Bastion des Verkäufers zu stürmen. Aber noch war keiner gekommen. Noch immer lag die Uhr da, schön, irgendwie weiblich und leider nicht mein.

Zwei Tage später, nach einem längeren, mich mental stärkenden Spaziergang durch die Allee, erneutes Erklimmen der Bastion. Ich betrete das Geschäft, Händler kommt aus der Tiefe des Raumes. Ich presse die Luft aus der Lunge, stelle mich mittels Atemtechnik ruhig und bitte darum, mir eine Uhr ansehen zu dürfen. Er: „Welche Uhr? Sie müssen sie mir schon mal zeigen?“ Offensichtlich hatte er mich nicht wiedererkannte. „Meistersinger“, sagte ich und nannte die Marke der Uhr. Ich deutete auf das Exemplar. Diese Marke lässt er jetzt auslaufen, deshalb gibt’s die Prozente, sagte er. Die Frage, ob der Kunde diese Marke nicht mag, verkneife ich mir. Bin ja selber einer.

Während er die Uhr aus der Auslage fischte und ich sie mir an mein Handgelenk legte, tritt er nach. Die Uhr habe nur einen Zeiger. Sie zeige lediglich die Stunde, nicht aber die Minuten an. Ob ich das wüsste? Irgendwie schon, dachte ich.

Meiner leichten Kurzsichtigkeit konnte ich durch das Tragen einer Brille seit Jahren entgegenwirken, und so war mir schon beim Betrachten der Uhr im Schaufenster aufgefallen, dass es sich um eine sogenannte ‚Einzeigeruhr’ handelte. Aber da ich weder vorhatte, die Laufzeiten meines joggenden Nachbarn zu stoppen noch die Uhr bei Außenarbeiten an der ISS zu tragen, konnte ich das Fehlen eines Minutenzeigers leicht verschmerzen.

Ich mache es kurz. Es kam zu einem dritten Besuch des Geschäfts. Ungeachtet seiner nicht besser gewordenen Laune hatte ich die Uhr dann gekauft. Was hatte ich nicht alles weggesteckt? Die Uhr sei für mich eigentlich zu groß – geschenkt. Eine Automatik? Dann brauche ich sie ja nicht aufziehen. Weiter: offensichtlich will keiner diese Uhren kaufen, weshalb er die Marke auslaufen lässt und sie mit Rabatten verramscht? Ach was!

Ich trage die Uhr mit großer Freude. Sie schmückt mein schmales Handgelenk. Auch haben mich Freunde wiederholt auf das Schmuckstück angesprochen.

Außerdem habe durch den Kauf ich zum ersten mal in meinem Leben begriffen, was es heißt: Jemandem auf den Zeiger zu gehen.

 

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